Erweiterung der Grenzen der Pflanzenproduktion durch Pflanzenzüchtung und Biotechnologie#
Von
Peter Ruckenbauer
Einleitung#
Die Pflanzenzüchtung leistet, ebenso wie die Tierzucht, ihre Beiträge zur Steigerung und Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion durch genetische Verbesserung ihrer Zuchtobjekte. Es sind ihr, wie der Tierzucht, die Grundelemente des Lebens, die in den Chromosomen und zum Teil im Zellplasma lokalisierten Gene, vorgegeben. Sie allein haben Beständigkeit und werden unverändert von einem Individuum auf das nachkommende weitergegeben. Sie und ihre codierten Befehle lenken das Leben, beispielsweise die Differenzierung der Organe und ihre entsprechenden Funktionsaufgaben. Unterschiede zwischen Individuen der gleichen Art können somit neben umweltbedingten Veränderungen - den sogenannten Modifikationen - nur durch Veränderungen im genetischen Code bewirkt werden. Diese erblich fixierbaren Veränderungen entstehen entweder durch Neukombinationen der vorhandenen Gene, durch Zufuhr von Genen aus anderen Arten oder durch Änderungen der Gene für sich, die wir als Mutationen bezeichnen.
Seit der Wiederentdeckung der MENDELSchen Vererbungsgesetze wurden die Kenntnisse um die genetischen Vorgänge und die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung von Eigenschaften unerhört erweitert und zu einer gezielten Entwicklung in der Pflanzenzüchtung benützt. Sie führten in der Folge bei den verschiedensten Kulturpflanzenarten zu wesentlich verbesserten Sorten. Da gleichzeitig durch die Lehren des Justus von liebig auch die Mineraldüngung Fuß faßte, war der Züchter durch verbesserte Selektionsbedingungen in der Lage, aus den alten, lokal begrenzten Landsortenpopulationen genotypisch leistungsstarke Individuen zu isolieren. Die gegenüber dem Mittelwert der Ausgangspopulation durch Prüfungen gefundene bessere Leistung der Einzellinien führte zu einer Leistungssteigerung im weitesten Sinne. Da diese Auslese bald erschöpft war, ging man dazu über, Einzellinien miteinander zu kreuzen, also die Kombinationszüchtung einzuführen. Sie hat bis heute noch eine sehr vielfältige Bedeutung und Berechtigung.
Man schuf somit im Laufe der Jahre eine weitaus größere genetische Variabilität innerhalb der Kulturpflanzenarten, als jemals unter natürlichen Selektionsbedingungen vorhanden war. Durch die stetige Anreicherung und Addition von Leistungsgenen in den Kultursorten wurde ihre genetische Vielfalt wesentlich erweitert. Dies bewirkte nicht nur eine Steigerung der Leistung in bezug auf Ertrag und Qualität, sondern auch im Hinblick auf die unumgänglich notwendige Ertragssicherheit.
Aufgaben und Beitrag der Pflanzenzüchtung zur Leistungssteigerung in der Pflanzenproduktion#
Unter den verschiedenen Disziplinen der landwirtschaftlichen Produktion spielt die Pflanzenzüchtung bei der Optimierung der Beziehungen Pflanze-Pflanzenbestand - Umwelt eine hervorragende Rolle, weil sie, wie aus den eingangs erwähnten Erläuterungen hervorgeht, als einzige die Möglichkeit einer gezielten Anpassung eines bestimmten Genotyps an nicht zu verändernde Umweltfaktoren besitzt.
Aufgabe der Pflanzenzüchtung ist es, die Pflanzenproduktion mit den bestmöglichen Genotypen der jeweiligen Kulturpflanzenart zu versorgen. Diese Aufgabe wird zwischen den Pflanzenzüchtern und den Landwirten durch die Überlassung von Saat- bzw. Pflanzgut von Sorten ermöglicht, die in den meisten entwickelten Agrarwirtschaften die Grundlagen des Pflanzenbaues geworden sind. Diese entscheidende Wechselwirkung zwischen der Produktionstechnik und der Pflanzenzüchtung ist in der heutigen Zeit zum eigentlichen kreativen Moment in der modernen Pflanzenproduktion geworden. Die Erwartungen der Landwirtschaft von den Produkten der Pflanzenzüchtung, den Sorten, die dann nach Standortbedingungen und der Erzeugungsrichtung ausgewählt werden können, sind in Abb. 1 festgehalten.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, muß der Pflanzenzüchter alle produktionstechnischen Voraussetzungen der jeweiligen Agrarwirtschaft sehr genau kennen. Auch dadurch ist es der Pflanzenzüchtung gelungen, viele als unüberwindbar geltende Leistungsgrenzen durch gezielte züchterische Arbeit zu überwinden. Das hohe Leistungs- und Qualitätsniveau der pflanzlichen Produktion auf nationaler und internationaler Ebene bezeugt dies in auffallender Weise.
Zur Überwindung vorgegebener Leistungsgrenzen klimatischer, edaphischer, biologischer und anthropogener Natur bedient sich der Pflanzenzüchter eigentlich aller Einflußmöglichkeiten, die auch die natürliche Evolution der Kulturpflanzen gesteuert haben, wobei die Anpassung an bestimmte Wachstums- und Entwicklungsbedingungen die hervorragendste Rolle gespielt haben dürfte. Die Pflanzenzüchtung kann man mit Fug und Recht als die gegenwärtige Phase der Kulturpflanzenevolution bezeichnen. Was sie von der natürlich ablaufenden Evolution unter-scheidet, ist, daß die Auswahl einzelner Pflanzentypen nach ganz bestimmten, von der jeweiligen Agrarwirtschaft geforderten Kriterien erfolgt; die natürliche Auslese wurde von dieser gezielten Auslese - aus ganz bestimmten und erklärbaren Gründen - in den Hintergrund gedrängt.
Da für die hohen Anforderungen, die gegenwärtig an das zentrale Betriebsmittel Sorte gestellt werden, die natürlich vorhandenen Artenpopulationen nicht mehr ausreichen, wird versucht, diese Basis laufend zu verbreitern. Die Erweiterung der genetischen Variabilität wird m den meisten Fällen durch eine gezielte Veränderung der genetischen Konstitution bewirkt, wie es die Evolution durch Kombination und auch Mutation vorzeichnete. Da jedoch die zufällige Verteilung der Eigenschaftsstrukturen der mütterlichen und väterlichen Partner auf ihre Nachkommenschaft nahezu unendlich viele Varianten ermöglicht, bedient man sich spezifischer, den blühbiologischen Gegebenheiten entsprechenden Zuchtmethoden, um diese Evolutions faktoren Kombination und Mutation so weit wie möglich zu nutzen.
Welche Beiträge hat nun die Pflanzenzüchtung zum gegenwärtig hohen Niveau der Agrarproduktion in Österreich und in den entwickelten Ländern geleistet und wo liegen die noch ausschöpfbaren Reserven, um eine weitere Leistungssteigerung im Hinblick auf die geforderten Kriterien mit neuen Sorten zu erzielen?
Ertragsleistung#
Der in den letzten Jahren nahezu lineare Trend der Steigerung der Hektarerträge war auch in den vergangenen 10 Jahren deutlich demonstrierbar. So stiegen in Österreich die Getreideerträge im Durchschnitt um fast 0,8 bis 1,2 t/ha bei Getreide und Mais, bei Zuckerrüben sogar um über 8 t (Abb. 2). Für österreichische Verhältnisse ist dabei eine sortenbedingte, genetische Mehrleistung mit 45 bis 50 kg/Jahr bei Winterweizen, Wintergerste und Sommergerste zu veranschlagen (hansel, 1982). Dieser auch in der Bundesrepublik Deutschland und in Gesamteuropa gültige Trend ist aber nicht nur den verbesserten Produktionsbedingungen wie Saattechnik, Düngung und Pflanzenschutz zuzuschreiben, sondern auch auf die wesentlich verbesserten Sortenleistungen zurückzuführen. Der genetisch bedingte Anteil an der Ertragssteigerung dürfte nach Schätzung einer Reihe von Autoren zwischen l und 2% pro Jahr liegen (Abb. 3).
Dieses für die Steigerung der Flächenproduktivität ab 1950 günstige Zusammentreffen der entsprechenden Faktoren für die Ausschöpfung des genetischen Potentials der Kulturpflanzen ist an einem einmaligen Glücksfall überzeugend demonstrierbar. Bei Aufräumungsarbeiten in den Nachkriegsjahren entdeckte man 1956 im Grundstein des Nürnberger Stadttheaters einige im Jahre 1832 eingemauerte Phiolen mit Samen verschiedener Kulturpflanzen, darunter Körner von Gerste und Hafer. Da 15 von diesen Gerstenkörnern noch keimfähig waren, konnte am Nachbau dieser Landsorten - im Vergleich mit den heutigen Zuchtsorten - der genetisch bedingte züchterische Fortschritt von 150 Jahren einwandfrei überprüft werden. Unter den heutigen Kulturbedingungen waren die modernen Zuchtsorten den alten Formen im Kornertrag um 40% überlegen, bei gesteigerter Stickstoffdüngung sogar um 50%. Diese Überlegenheit erklärt sich zum größten Teil durch Anpassung der Zuchtsorten an die verbesserten Kulturbedingungen, vor allem durch die erhöhte Standfestigkeit und Düngerverträglichkeit (AUFHAMMER und FISCHBECK, 1964).
Qualität#
Diese Leistungen der Pflanzenzüchtung wären für die Agrarwirtschaft nur wenig attraktiv, wenn man nicht auch erhebliche Wertsteigerungen durch verbesserte Qualitätseigenschaften erzielen hätte können.
Die oft negative Beziehung zwischen Ertragsleistung und Gehalt an Inhaltsstoffen stellt für den Züchter nicht selten eine schwierig zu überwindende Hürde dar. Trotzdem gelingt es, wenn auch mit temporären Leistungsrückgängen, diesen Forderungen zu entsprechen. Die in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte, schrittweise und gezielte Umstellung der Winterrapssorten auf erucasäurefreie und glucosinolatarme Sorten ist dafür ein spezifisches Beispiel. In einem der entscheidendsten Züchtungserfolge der beiden letzten Jahrzehnte konnte sowohl die für die Margarine- und Speiseölerzeugung hinderliche Erucasäure als auch das für die Verwendung des Rapsschrotes als Viehfutter störende Glucosinolat aus dem Winterraps züchterisch praktisch eliminiert werden (RÖBBELEN, 1976, 1985). In der Tab. l ist mit der Einführung einer neuen Qualitätsstufe zwar jeweils ein Ertragsrückgang zu erkennen, doch dieser Rückgang war bereits nach wenigen Jahren durch die Einkreuzung neuen Zuchtmaterials überwunden, und bald konnten die Leistungen der alten Sorten noch übertroffen werden.
Ertragssicherheit#
Neben diesen für die Pflanzenproduktion entscheidenden Sortenkriterien Ertragsleistung und Qualität ist eine ebenso große Bedeutung der Ertragssicherheit zuzuordnen. Das ständige Hinaufschieben der Leistungsgrenzen ist nur möglich, wenn alle Eigenschaften innerhalb der Pflanze harmonisch aufeinander abgestimmt sind und sich ungestört entwickeln können. So verlief beispielsweise bei Getreide die Gewichtsaufteilung der gebildeten Trockensubstanz zwischen Korn und Stroh bei Winterweizen von l: 1,8 auf die heutigen Werte von fast 1:1 nicht abrupt, sondern allmählich und konnte nur erfolgen, weil gleichzeitig nicht nur die Anpassung an hohe Stickstoffmengen, sondern auch die Resistenzen gegen Ähren- und Blattkrankheiten erhöht werden konnten. In der Abb. 4 ist diese auch ertragsphysiologisch interessante Umschichtung zwischen den Korn- und Stroherträgen bei alten und neuen Winterweizensorten demonstrierbar. Eine Verkürzung der Halmlänge um mehr als 60 cm in den vergangenen 40 Jahren dieses Vergleiches wäre schon aus Resistenzgründen nicht möglich gewesen, da durch hohe Luftfeuchtigkeit und engen Standraum nichtresistente kurzhalmige Sorten von Ähren- und Blattkrankheiten befallen worden wären. Die Ertragssicherung durch Krankheits- und Schädlingsresistenz nimmt heute in der Pflanzenzüchtung einen hervorragenden Stellenwert ein, der insbesondere durch eine Reihe von biotechnologischen Verfahren, die noch Erwähnung finden werden, neue Impulse erhält.
Stabile Ertragsleistungen über lange Zeitabschnitte und bei unterschiedlichen Produktionsbedingungen spiegeln auch die Intensität der züchterischen Bearbeitung der einzelnen Kulturarten wider. So ist bei allen Getreidearten - bedingt durch die hohen Flächenanteile und durch die starke Konkurrenz der um höhere Sortenanteile bemühten Züchter - ein weitaus höheres Bearbeitungsniveau zu verzeichnen, als dies beispielsweise bei Futterleguminosen mit geringeren Flächenanteilen der Fall ist. In der Abb. 5 ist dies an den Durchschnittserträgen der beiden Sommer kulturarten Ackerbohne und Sommerweizen demonstrierbar.
Die bisher „ertragsstabilste" Ackerbohnensorte in der Bundesrepublik Deutschland, Herz Freya, weist in einer vierzehnjährigen Versuchsserie an zwölf Standorten Ertragsschwankungen von 59 bis 127%, gemessen am Durchschnittswert von 41,9 dt/ha, auf. Die Sommerweizensorte Kolibri hingegen besitzt mit nur 30% Ertragsfluktuation eine fast doppelt so hohe Ertragsstabilität, wenn man die individuellen Jahreserträge auf den vierzehnjährigen Durchschnittswert von 54,9 dt/ha bezieht.
Arbeitserleichterung#
Die Auflistung der züchterischen Lösungen für die Pflanzenproduktion wäre nicht vollständig, wenn man nicht auch den Forderungen nach Arbeitserleichterung entsprechen hätte können. Hier gelang es bei einer Reihe von Kulturpflanzen, morphologische und blühbiologische Gegebenheiten durch das Auffinden und Einkreuzen von mutierten Merkmalen drastisch zu verändern. Als Beispiel sei die Schaffung von Zuckerrübensorten mit genetisch einkeimigem Saatgut angeführt. Dank ihrer guten Feldaufgänge konnten diese Hybridsorten nicht nur einen höheren Ertrag bringen, sondern sie ermöglichen auch heute fast überall den handarbeitslosen Zuckerrübenanbau. Die Beta-Rübe legt ursprünglich als Frucht einen Knäuel mit mehreren Samenanlagen an. Durch die Einkreuzung einer einzelfrüchtigen Mutante in die bisherigen polycarpen Rübensortimente entstand eine einzelfrüchtige Form, die eine einzige Pflanze pro Legestelle hervorbringt. Damit war der Anbau auf Endabstand und eine vollkommene Technisierung des Zuckerrübenanbaues möglich. Unter Verwendung von mutierten Merkmalen zur völligen Veränderung des Pflanzentyps schuf man beispielsweise auch eine blattlose Erbse, die als Trockenspeiseerbse praktisch mähdruschreif gemacht werden konnte und unter den klimatisch ungünstigen Lagen Nordeuropas die Voraussetzung für eine problemlose Kultur erbrachte (SNOAD, 1974).
Ausschöpfung des genotypisch möglichen Ertragspotentials durch „konventionelle" Zuchtmethoden#
Trotz dieser entscheidenden züchterischen Verbesserung haben wir die potentiellen Leistungsmöglichkeiten der pflanzlichen Produktion noch lange nicht ausgeschöpft. In einer 1982 herausgegebenen Studie hat BOYER (1982) für die Hauptkulturarten der USA die bisher erzielten Rekorderträge den Durchschnittserträgen pro Hektar gegenübergestellt (Tab. 2). So werden, vor allem durch ungünstige Umweltbedingungen, aber auch durch die geringe Bewirtschaftungsintensität, je nach Kulturart nur etwa 13 bis 35% der tatsächlich realisierbaren Leistungsreserven ausgeschöpft. Wenn auch diese Verhältnisse nicht unbedingt mit den wesentlich höheren Durchschnittsleistungen der europäischen Landwirtschaft verglichen werden können, so zeigen sie doch das genetisch mögliche Ertragspotential auf, das es in einer Welt der nur geringfügig erweiterbaren Ackerflächen weiterhin zu nutzen gilt. Diese bisher erzielten genetischen Verbesserungen der Nutzpflanzen wurden fast ausschließlich mit „konventionellen" Zuchtmethoden erzielt, und der überall spürbare Aufbruch in Richtung Gentechnik hat auch in der Pflanzenzüchtung an Boden gewonnen, wenn auch gegenwärtig fast ausschließlich in der Züchtungsforschung.
Welche zukünftigen Möglichkeiten bieten diese neuen Techniken, und in welcher Phase der Züchtung werden sie einsetzbar sein? Um diese Frage zu untersuchen, bedarf es einer kurzen Skizzierung der grundlegenden zuchtmethodischen Voraussetzungen.
Die Leistungsfähigkeit einer Sorte ist durch ihr erbliches Vermögen determiniert, bei entsprechenden Anbaubedingungen eine bestimmte Leistungshöhe zu erreichen. Es darf vorausgesetzt werden, daß dieses erbliche Vermögen durch die jeweils wirksamen Erbanlagen oder Gene gesteuert wird. Die Merkmalsstruktur einer Sorte hängt aber nicht nur davon ab, welche Gene im Erb- oder Genotyp vorliegen, sondern wie diese Gene strukturell einander zu-geordnet sind. In jedem Genotyp sind die Chromosomen immer paarweise anzutreffen, von denen das eine Chromosom vom mütterlichen, das andere vom väterlichen Elternteil stammt. Für die Zuordnung der Gene ist nun entscheidend, ob die entsprechenden Genorte an diesen beiden sogenannten „homologen" Chromosomen mit gleichen oder ungleichen Genen besetzt sind. Im Falle einer Gleichbesetzung sprechen wir von Homozygotie oder Reinerbigkeit. Heterozygotie liegt hingegen dann vor, wenn diese Genorte mit verschiedenen Genen besetzt sind. Wieviele Genorte nun homozygot oder heterozygot besetzt sind, ist für die Merkmalsausprägung der Nachkommenschaften, aber auch für das Auftreten der sogenannten Hybridwüchsigkeit von entscheidender Bedeutung. Homozygote Genotypen sind an der unveränderten Merkmalsstruktur ihrer Selbstungsnachkommen (durch Selbstbefruchtung entstanden) erkennbar; heterozygote hingegen zeigen in den nachfolgenden Generationen eine Aufspaltung oder Verteilung der ursprünglichen elterlichen Merkmale. Falls nun homozygote Eltern miteinander gekreuzt werden, so sind in den Bastarden alle Genorte heterozygot. Dieser Zustand führt bei vielen quantitativ meßbaren Merkmalen wie Kornertrag, Fruchtgewicht oder Wuchshöhe zu einer Mehrleistung (Heterosis) der Bastarde gegenüber ihren reinerbigen Eltern. Die Nutzung dieses genetischen Phänomens ist in der Hybridzüchtung die Basis einer eigenen Züchtungskategorie geworden. Zu diesen genetischen Grundlagen kommen jedoch noch weitere entscheidende Fakten hinzu, die die Zusammensetzung einer Sorte aus genetisch einheitlichen oder verschiedenen Individuen bestimmen.
Es sind dies die vier Fortpflanzungsprozesse, die hauptsächlich in Betracht kommen:
1. Die vegetative Vermehrung, die als pflanzenzüchterische Maßnahme auch Klonung genannt wird,
2. die Selbstbefruchtung oder „Selbstung",
3. die Fremdbefruchtung durch offenes Abblühen innerhalb von Populationen sowie
4. die kontrollierte Kreuzung oder Hybridisierung von eigens entwickelten Erbkomponenten.
Jeder dieser Fortpflanzungsprozesse führt zu einer genetisch anderen Struktur der daraus resultierenden Sorten (schnell, 1969). Es sind demnach vier Grundtypen der Sortenstruktur zu unterscheiden, die zweckmäßigerweise nach dem sie bedingenden Prozeß benannt werden:
Klonsorten
Liniensorten
Populationssorten
Hybridsorten
Die Schaffung eines bestimmten Sortentyps ist jeweils durch ein bestimmtes Züchtungsverfahren möglich, wie aus einer vergleichenden Gegenüberstellung zu entnehmen ist (Abb. 6). Allen vier als Züchtungskategorien bezeichneten Verfahren liegt ein dreistufiger Aufbau zugrunde, der trotz der verschiedenartigen genetischen Voraussetzungen eine gewisse Vergleichbarkeit untereinander bedingt. Diese drei Züchtungsphasen, nämlich
1. Phase: Bereitstellung der Ausgangsvariation,
2. Phase: Bildung und Selektion potentieller Sorteneltern,
3. Phase: Prüfung von Experimentalsorten
sind in allen vier Kategorien erkennbar. Aus den verschiedensten Gründen sind jedoch die Phasen unterschiedlich lang; auch die Dimensionierung im Anbau der Stämme und Experimentalsorten weist eine beträchtliche Differenzierung auf.
Bei der Klonzüchtung, die beispielsweise bei der Kartoffel oder der Weinrebe betrieben wird, umfassen die beiden ersten Phasen nur jeweils eine Generation, während 6 bis 8 Generationen zur Prüfung der neuen Genotypen aufgewendet werden müssen. Der potentielle neue Genotyp ist nach der Kreuzung ausgewählter Eltern bereits in der ersten Kreuzungsgeneration als Sämling vorhanden. Er muß jedoch, bedingt durch die niedrigen Vermehrungskoeffizienten und die geringen Selektionsmöglichkeiten, über 6 bis 8 Generationen innerhalb einer großen Zahl von Sämlingen schrittweise gefunden werden. Da bei dieser vegetativen Art der Vermehrung auch Krankheiten übertragen werden können und während der langen Sortenprüfungsphasen oft ungenügende Prüfmöglichkeiten vorliegen, sind hier Verbesserungen zur Beschleunigung des Züchtungsablaufes unabdingbar. Sie liegen wahrscheinlich auf dem Gebiet der Mikrosporenkultur und der In-vitro-Selektion von Gewebeteilen.
Bei der Linienzüchtung - wie sie bei den selbstbefruchtenden Kulturarten wie Weizen, Gerste oder Erbse betrieben wird - dauert ein Zyklus von der Kreuzung bis zur Eintragung einer neuen Sorte im günstigsten Fall 12 Jahre und erfordert einen enormen Arbeitsaufwand. In einem mittelständischen Getreidezuchtbetrieb sind beispielsweise für die Züchtung einer Qualitätsweizensorte rund 80.000 Beobachtungen an 15.000 Beobachtungseinheiten und rund 5.000 Laborprüfungen notwendig. Probleme in dieser Kategorie sind vor allem die Schaffung geeigneter Variabilität und die lange Zeitdauer des Ausleseverfahrens, die den züchterischen Fortschritt deutlich begrenzen.
In der Populationszüchtung, die bei offen abblühenden Kulturarten wie beispielsweise Roggen, Luzerne oder auch bei Gräsern betrieben wird, liegt wieder eine völlig neue Situation vor. Während es sich bei der Züchtung von offen abblühenden Sorten um eine direkte Populationsverbesserung handelt, die mit Hilfe von Bestäubungslenkungstechniken in einem zyklischen Verfahren abgewickelt wird, geht man bei manchen Fremdbefruchtern noch einen Schritt weiter. Bei den sogenannten synthetischen Sorten prüft man auf experimenteller Basis die Kombinationsfähigkeit individueller Genotypen untereinander und stellt dann die besten als Sorteneltern für die Saatgutproduktcion zusammen. Die Ausgangsgenotypen werden durch Klonung oder Selbstung vollständig oder Stichprobenhaft über die notwendige Dauer erhalten. Solche synthetischen Sorten haben überraschend hohe Leistungsreserven mobilisieren können und gewinnen bei den entsprechenden Kulturarten zunehmend an Bedeutung und Verbreitung. Probleme sind dabei vor allem die Erhaltung des Ausgangsmaterials und die Überwindung von Inkompatibilitätsbarrieren bzw. Art- und Gattungsschranken.
Die Hybridzüchtung stellt die strengste Form der Befruchtungslenkung dar. Sie ist eine neue Züchtungskategorie, die eine genaue Identifikation des genetischen Aus gangsmaterials erzwingt und über den Weg homozygoter, nicht aufspaltender Inzuchtlinien die Voraussetzung für die Produktion des besten Bastards in beliebigem Umfang und also die volle Ausschöpfung des Heterosiseffektes bietet. Auch bei dieser Methodik ist ein zeitraubender Ablauf zur Bildung und Testung der Sorteneltern erforderlich. Die züchterisch aber außerordentlich wertvollen Möglichkeiten der „Gametenidentifikation" haben nach den triumphalen Erfolgen der Hybridmaiszüchtung bei vielen anderen Kulturarten eine Umstellung und Hinwendung auf diese Züchtungskategorie bewirkt. So werden heute im Zierpflanzenbau und bei vielen Gemüsearten fast ausschließlich Hybridsorten angeboten.
Ein besonderes Problem ist die Bestäubungslenkung zwischen dem weiblichen Saatelternteil und dem Pollenspender, vor allem bei Nutzpflanzen mit zwittrigen Blüten. Durch das Auffinden genetischer und cytoplasmatischer Faktoren für Androsterilität und entsprechender Restorer-Gene für die Wiederherstellung der männlichen Fertilität hat diese ursprünglich nur für Fremdbefruchter entwickelte Züchtungskategorie auch für Selbstbefruchter eine wachsende Bedeutung erlangt. So fieberhaft indessen an der Hybridzüchtung bei vielen lohnenden Objekten gearbeitet wird, so groß sind auch die Hindernisse, die in jedem einzelnen Fall zu überwinden sind. Der mühsame Weg der Hybridweizenzüchtung sei hier als Beispiel jahrelanger, noch immer nicht erfolgversprechender Bemühungen erwähnt.
Diese starken Verschiebungen innerhalb der klassischen Züchtungskategorien zugunsten der Hybridzüchtung haben jedoch die Suche nach neuen, unterstützenden Ansätzen für den effizienten Ablauf der einzelnen Züchtungsmethoden nicht beeinträchtigt. Die zuweilen in der Öffentlichkeit verbreitete Meinung, daß die Gentechnologie bereits daran sei, die bisherigen Methoden der Pflanzenzüchtung völlig zu verändern, bedarf jedoch einer kräftigen Korrektur.
Neue Möglichkeiten durch den Einsatz biotechnologischer Verfahren#
Wie dem eingangs dargestellten Überblick zu entnehmen war, handelt es sich bei allen Züchtungsmethoden um einen zyklischen Prozeß, bei dem die besten Endprodukte eines Zyklus - die Sorten - wieder am Anfang eines neuen Zyklus stehen, um weitere genetische Verbesserungen zu erzielen. Das gesamte System ist also kein geschlossenes, sondern man kann es mit einem offenen Gefäßsystem vergleichen, wo ständig neue Produkte entstehen, entweder durch Wiederverwendung der alten oder durch neu zugeführte Produkte, die aus anderen Ressourcen stammen. In diesem System können auch ständig verbesserte Verbindungswege untereinander versucht werden, um den „Reaktionsprozeß" weiter zu beschleunigen, mit dem Ziel, das erwünschte Endprodukt noch rascher und kostengünstiger zu produzieren. Die Pflanzenzüchtung hat sich daher der besonderen Notwendigkeit und Faszination jener Retortenprozesse mit Einzelzellen in Sterilkulturen nicht entziehen können, die heute in Pharmazie und Mikrobiologie zu Routinemethoden mit spektakulären Erfolgen geworden sind.
Welche Möglichkeiten sind der Pflanzenzüchtung mit Einzelzellen aus den verschiedensten Organen der Pflanze gegeben, und wieweit können solche In-vitro-Methoden heute bereits Teilbereiche der individuellen Züchtungsphasen abdecken? In der Abb. 7 sind an einer Modellart die in Frage kommenden Möglichkeiten skizziert.
Arbeitsgebiet Haploide#
Über besondere Kulturverfahren gelingt es, aus Mikrosporen (Pollen- oder Eizellen) Pflanzen zu regenerieren, die zunächst nur den halben Chromosomensatz aufweisen, später in der Entwicklung entweder spontan oder über Behandlung mit Colchizin ihre Chromosomenzahl verdoppeln. Eine solche Haploidisierung und nachfolgende Chromosomenverdoppelung über eine Antherenkultur oder durch Nutzung der Parthenogenese (Reizbefruchtung) und Chromosomenelimination bietet zwei interessante Aspekte: zum einen in nur einer Generation aus einer heterozygoten Elternpflanze eine Vielzahl von homozygoten Nachkommenschaften zu entwickeln, zum anderen Mal mit diesen sogenannten Doppelhaploiden den Zeitaufwand zur Erreichung der erwünschten Homozygotie drastisch zu verkürzen. Haploide sind heute bereits mit vielen Kulturpflanzen möglich, bei Gramineen, Solanaceen und Brassicaceen sind die Arbeiten bisher am weitesten gediehen. In den letzten Jahren ist speziell bei der Sommergerste der Sprung von der Grundlagenforschung in die züchterische Phase gelungen. In einer Grundstudie an 53 verschiedenen Sommergerstenkreuzungen, in der friedt (1982) den züchterischen Wert der Antherenkultur im Vergleich zu anderen konventionellen Zuchtverfahren wie der Pedigree- oder Ramschmethode oder der Einkorn-Ramschmethode prüfte, konnte zwar ein enormer Zeitgewinn von der Kreuzung bis zum fertigen Zuchtstamm demonstriert werden, eine deutliche ertragsmäßige Überlegenheit der Doppelhaploiden war jedoch nicht nachweisbar. Nur einige Linien erreichten das Ertragsniveau der besten Kreuzungseltern. Ähnliche Ergebnisse wurden auch von einer kanadischen Gruppe mit Gerste und von US-Züchtungsforschungsinstituten mit Tabak erzielt.
Bei spezifischen Problemen, wie beispielsweise einer raschen homozygoten Einlagerung von Resistenzgenen, ist die Haploidentechnik ein deutlicher Fortschritt. Das Auf treten des „barley yellow mosaic virus" in Europa - nicht zuletzt bedingt durch die explosionsartige Vermehrung der Wintergerstenfläche - hat eine fieberhafte Suche nach Resistenzquellen ausgelöst.
Nach dem Auffinden von dominant- bzw. rezessiv wirkenden Genfaktoren und dem Nachweis der eindeutig monogenen Vererbungsweise hat man Träger dieser Gene in das bundesdeutsche Wintergerstensortiment eingekreuzt. Innerhalb kürzester Zeit gelang es, mit der Haploidenmethode rund 300 uniforme Linien zu entwickeln, von denen etwa zwei Drittel eine aus-reichende Resistenz aufwiesen (Tab. 3).
Arbeitsgebiet Gewebekultur#
Pflanzliche Gewebekulturen werden bereits seit vielen Jahren in der Pflanzenzüchtung für die Anzucht virusfreier Nachkommenschaften oder zur Erhaltung von wertvollem Pflanzenmaterial verwendet.
Es liegt eine Fülle sicherer Befunde vor, daß in fast allen Teilen von zweikeimblättrigen Pflanzen Zellen vorhanden sind, die zu erneuten Teilungen und zum Aufbau eines ganzen Pflanzenkörpers befähigt sind. Diese Zellkulturtauglichkeit ist auch bei einigen einkeimblättrigen Arten, allerdings mit weitaus geringeren Regenerationserfolgen, gefunden worden. Bei den Getreidearten geht diese Teilungsfähigkeit mit zunehmendem Gewebealter wieder verloren. Gewebekulturen eignen sich besonders für die In-vitro-Selektion auf Krankheitsresistenz.
Es hat sich gezeigt, daß die Reaktion von Gewebestücken auf Schaderregergifte, sogenannte Pathotoxine, in der Regel der Reaktion der Pflanze selbst entspricht. So war es erstmals 1975 gelungen, Kalluskulturen von Mais zu produzieren, die gegen das Toxin der Streifenkrankheit des Maises (Helminthosporium maydis) resistent waren. Diese Pilzkrankheit hatte in den siebziger Jahren einen katastrophalen Ertragseinbruch in den USA verursacht, der vor allem durch die fast ausschließliche Verwendung einer bestimmten männlich sterilen Linie noch begünstigt wur de. Gegenwärtig sind etwa 120 Toxine von Krankheitserregern bekannt, nur wenige davon sind jedoch spezifisch oder selektiv wirksam.
Gewebekulturen sind daher Werkzeuge zur unbegrenzten Vermehrung eines regenerierfähigen Pflanzentyps und bieten sichere Selektionsmöglichkeiten für einige ausgewählte Pilzkrankheiten.
Durch In-vitro-Selektion konnte z. B. die Kraut- und Knollenfäuleresistenz bei Kartoffeln (behnke, mo), sowie die Resistenz gegen Phoma Ungarn bei Raps (sacristan, 1982) entscheidend verbessert werden. Bei Raps lassen sich einige Epidermiszellen so beeinflussen, daß sie zu Embryoiden und anschließend zu neuen Pflänzchen heranwachsen. Da es sich um außerordentlich viele Zellen mit der Potenz zur vollen Regeneration handelt, bietet dieses System die Möglichkeit, viele Individuen auf kleinstem Raum zu nutzen. Wenn nun das Nährmedium mit dem Toxin des Schaderregers angereichert wird, dann können mutierte Zellen mit einer höheren Toxintoleranz selektiert und in der Folge zu Resistenzentypen regeneriert werden.
Arbeitsgebiet Protoplasten#
Als Protoplasten bezeichnet man Einzelzellen, die mittels enzymatischer Behandlung von ihrer Zellwand befreit wurden. Die besten Ausbeuten regenerationsfähiger Protoplasten erzielt man aus dem Mesophyll der Blättern. Die nackten Protoplasten werden in einer osmotischen Gleichgewichtslösung gehalten und den verschiedensten Manipulationen ausgesetzt. Nach diesen Behandlungen werden sie wieder auf Nährmedien gebracht, die die Kallusbildung fördern und die erneute Regeneration zu einer intakten Pflanze ermöglichen. Vor rund zehn Jahren ist dieses Verfahren erstmals an Tabak gelungen, 1980 erstmals an einer einkeimblättrigen Kulturart, der Perlhirse. Bei diesem biotechnologischen Verfahren haben sich zwei neue Möglichkeiten der züchterischen Nutzung ergeben, die unser Interesse beanspruchen: die sogenannte somaklonale Variation und die Protoplastenfusion.
Die somaklonale Variation: Während des Durchlaufens vieler Teilungspassagen kommt es zum Auftreten von veränderten Zellen, was wir als somaklonale Variation bezeichnen und was geringfügige, aber eventuell entscheidende Merkmalsveränderungen an den regenerierten Pflanzen bewirkt. Nach den bisherigen Erfahrungen besteht somaklonale Variabilität bei vielen Pflanzenarten. Eine in geringem Maß in Zellen und Protoplasten bereits vorhandene Variabilität wird jedoch durch Veränderungen während der In-vitro-Kulturphase ausgelöst (LÖRZ und SCOWCROFT, 1983). Viele dieser auftretenden Veränderungen stellen echte Mutationen dar und führen zwangsläufig zu der Schlußfolgerung, daß die derzeit angewandten Methoden der Protoplasten- und Zellregeneration eine mutagene Behandlung darstellen. Da die Kultur von isolierten Protoplasten oder Suspensionszellen das Arbeiten mit unerhört hohen Individuenzahlen erlaubt, die auf Feldflächen nicht realisierbar wären, werden diesem Arbeitsgebiet vor allem für die Resistenzzüchtung große Zukunftshoffnungen eingeräumt. In der Tab. 4 sind Beispiele angeführt, in denen es gelungen ist, durch In-vitro-Selektion Pflanzen mit verbesserter Krankheitsresistenz zu isolieren (LÖRZ, 1985). Da im Prinzip alle unter In-vitro-Bedingungen möglichen Streßreaktionen für die Selektion eingesetzt werden können, bieten sich solche Verfahren auch für Untersuchungen auf Herbizid- und Salztoleranz an.
Die Protoplastenfusion: Protoplasten können unter bestimmten Bedingungen verschmolzen oder fusioniert werden. Die Bildung solcher „somatischer" Hybride über die Protoplastenfusion ermöglicht Kreuzungsperspektiven über die Art- und Gattungsgrenzen hinaus. Die an Stechapfel und Tabak bereits 1975 geglückten Artbastardierungen sind jetzt durch französische Arbeiten mit Luzernearten und die 1982 erstmals vorgestellte Resynthese von Raps aus der Protoplastenfusion zwischen Kohl und Rüb sen (schenk und röbbelen, 1982) in das Anwendungsfeld pflanzenzüchterischer Aktivität gerückt. Bei anderen Kulturpflanzenarten hat die Protoplastenfusion das Stadium der Grundlagenforschung noch nicht überschritten. Bisher wurden über 60 Kombinationen erzielt, davon 38 Kreuzungen innerhalb der Art und 13 zwischen den Arten. Sie gilt vor allem dann als Erfolg, wenn Inkompatibilität vorliegt oder wenn genetische Kombinationen aus chromosomalen oder zytoplasmatischen Gründen nicht möglich sind.
Arbeitsgebiet Genmanipulation („Genetic Engineering")#
Alle bereits vorgestellten konventionellen Züchtungsmethoden beinhalten die Neuanordnung und Durchmischung des gesamten Genbestandes aus verschiedenen Ausgangspflanzen. In vielen Fällen ist dies völlig unnötig, es wäre vielmehr wünschenswert, wenn man gezielt einzelne Merkmalsträger in Form ihrer DNA isolieren und in die Empfängerpflanzen einschleusen könnte. Man könnte beispielsweise daran denken, aus einer resistenten Pflanze das dazugehörige Resistenzgen zu isolieren, um es in eine völlig andere Pflanze, sogar über die Artgrenze hinaus, einzuführen. Bisher mußte man, wenn man Resistenzen aus Wildformen in die Kultursorten einkreuzte, immer viele leistungsmindernde Gene mit in Kauf nehmen. Die Realisierung einer gezielten Genübertragung ist aber bisher nur bei wenigen, für die Pflanzenzüchtung kaum interessanten Merkmalen gelungen. Mit den in den letzten Jahren entdeckten Vektorsystemen über pflanzliche Viren oder bakterielle Plasmide sind einige in Tab. 5 angeführte Transfers von Genen gelungen. So konnte eine Antibiotika-Resistenz vom Bakterium Escherichia coli in die Petunie und in den Tabak überführt werden. Als ein interessantes Ergebnis ist auch die Übertragung eines Gens für Speicherprotein von der Bohne in die Sonnenblume zu nennen. Es gelang bei diesem Experiment nicht nur, das Gen für die Produktion von Phaseolin zu übertragen, sondern Phaseolin tatsächlich auch in der Sonnenblume nachzuweisen.
Da wir es im Hinblick auf Leistung, auf Qualitäts- und Resistenzeigenschaften bei den Nutzpflanzen fast immer mit einer Vielzahl von Genen zu tun haben, die nicht nur gleichsinnig, sondern vor allem auch sequenzielle Steuerungsmöglichkeiten besitzen, ist die Frage der Isolierung solcher Gene bisher - auch nur ansatzweise - nicht gelöst.
Wie identifiziert man Gene für Kälteresistenz oder für die Backqualität? Allein bei den bisher bekannten Genfaktoren für die Zusammensetzung des Eiweißes im 42chromosomigen Weizen sind mehr als 30.000 Kombinationen möglich. Selbst wenn man alle für die Kleberqualität wichtigen Gene isolieren könnte, wüßte niemand, wie und wo man sie in die Doppelhelix der einzelnen Chromosomen einbauen sollte. Auch die bisher gelungenen Gentransfers sind praktisch nur mit jeweils einem Gen gelungen und haben für die Nutzpflanzenforschung nur Anregung für experimentelle Ansätze gegeben. Der gezielte Einbau eines Gens für die Herbizidresistenz bei Tabak ist in dieser Richtung ein bereits vielversprechender Erfolg.
Zusammenfassung und Perspektiven#
Aus den beschriebenen Züchtungsmethoden und vorgestellten Einsatzmöglichkeiten biotechnologischer Verfahren sind für die zukünftige Entwicklung der Pflanzenzüchtung die in Tab. 6 angeführten Kombinationen denkbar.
Durch den Einsatz von Mikrosporen, beispielsweise in der Antherenkultur, können durch große Individuenzahlen aus einzelnen Kreuzungen in der Klon- und Linienzüchtung die Chancen zur Auffindung seltener Typen erhöht werden. Darüber hinaus ist durch eine spontane oder induzierte Verdoppelung des haploiden Chromosomensatzes die Schaffung von homozygoten Genotypen in nur einer Generation möglich!
Die Bedeutung eines solchen Verfahrens für die Züchtung von Kartoffeln, Reben, Getreide- und Gemüsesorten, auch im Hinblick auf die rasche Fixierung neuer Resistenzgene, sollte besonders herausgestellt werden.
Die beispielhaft aufgezeigten Perspektiven der Gewebe-, Zell- und Protoplastenkulturen für die Schaffung neuer Ausgangsvariationen durch Nutzung der somaklonalen Variabilität oder der Fusionsmöglichkeiten von Zellen mit verschiedenen Genomen sind ein ebenfalls zukunftsträchtiger Bereich. Er könnte uns einmal zu völlig neuen Nutzpflanzen führen. Die zusätzlichen biotechnologischen Möglichkeiten, unter Laborbedingungen auf engstem Raum gezielt das Resistenzverhalten bestimmter genetischer Kombinationen zu erforschen, werden in den nächsten Jahren die stärkste Intensivierung erfahren. Dies gilt ebenso für somatische Kulturverfahren, die auch mit Arten möglich sein werden, die gegenwärtig noch keine Pflanzen aus Einzelzellen bilden können.
Die in Österreich überwiegend privatwirtschaftlich orientierte Pflanzenzüchtung wird trotz des massiven ausländischen Druckes ein unentbehrliches Instrument zur Versorgung der Landwirtschaft mit hochwertigen Sorten und Saatgut bleiben (RUCKENBAUER, 1982). Die auf gegenwärtig 24 mittelständische und genossenschaftliche Betriebe verteilten Aufgaben der Sortenneuentwicklung für unsere stark differenzierten Standort- und Klimabedingungen werden auch in der nahen Zukunft die Grundlage der Ernährungssicherung bleiben müssen. Diese auf wenige Betriebe verteilte Verantwortung bedarf jedoch massiver Unterstützung auch von seiten der Landwirtschaft durch vermehrten Saatgutzukauf und verstärktes Sortenbewußtsein. Fast alle Betriebe werden in den kommenden Jahren den nicht limitierbaren Zugang zu besonderen Genen nützen, die von großen ausländischen Forschungsinstituten mit gentechnischen Methoden isoliert werden. Sie werden damit sicherlich den einen oder anderen Beitrag spezifischer Art auf dem Gebiet der Getreide-, Mais-, Kartoffel- und Zuckerrübenzüchtung nicht nur für den nationalen Bereich leisten können.
Die schöpferischen Möglichkeiten in der Pflanzenproduktion sind durch die Perspektiven der grünen Gentechnik stark erweitert worden. Der Auftrag an die Pflanzenzüchtung zur Linderung der Not und zur zukünftigen Bewältigung der globalen Ernährungssicherung erfordert und rechtfertigt eine verantwortungsbewußte Nutzung aller genetischen Ressourcen. Es darf jedoch nicht überse-hen werden, daß in vielen Bereichen bereits berechtigte Gründe zu Sorge und Skepsis bestehen. Auch für den Pflanzenzüchter war es ein ermutigendes, aber schwieriges Wort, welches der Wegbereiter der modernen Genforschung, Erwin chargaff, zu diesen Fortschritten postulierte:
„Von unserer Zeit könnte man sagen, daß die Naturwissenschaften keine Grenzen anerkennen oder höchstens zeitweilige. Bestenfalls werden sie antworten: ,Das können wir noch nicht machen.' Denn die Worte ‚noch nicht‘ sind in der Wissenschaft der Tribut, den die Ehrlichkeit dem Optimismus entrichtet."
Literatur#
- ANONYMUS, 1983: Jahresbericht der Bayerischen Landesanstalt für Bodenkultur und Pflanzenbau, 1981/82, Freising - München.
- AUFHAMMER, W. und FISCHBECK, G., 1964: Ergebnisse von Gefäß- und Feldversuchen mit dem Nachbau keimfähiger Gersten- und Haferkörner aus dem Grundstein des 1832 errichteten Nürnberger Stadttheaters. Z. Pflanzenzüchtg. 51, 354-373.
- BAROCKA, K. H. und H. FRIEDRICH, 1984: Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnologie im Rahmen der praktischen Pflanzenzüchtung. Ber. d. Arbeitsgemeinschaft d. Saatzuchtleiter, Gumpenstein 1983, 237-247.
- BEHNKE, M. 1980: General resistance to late blight of Solanum tuberosum plants regenerated from callus resistant to culture filtrats of Phytophtora infestans. Theor. Appl. Genet. 56, 151-152.
- BOYER, H. l., 1982: Plant Productivity and Environment. Science 218, 443-448.
- FRIEDT, W., FOROUGHI-WEHR, B., FUCHS, E. und ZÜCHNER, S., 1981: Resistenz und Ertragsmerkmale doppelhaploider Linien aus Antheren-Kulturen mit Sommergerstenkreuzungen. Ber. Arbeitstagung d. Saatzuchtleiter, Gumpenstein, 83-101.
- HANSEL, H., 1982: Getreidezüchtung - Erwartungen für das Jahr 2000. Wintertagung der Österr. Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaftspolitik, Wien, 64 - 84.
- LÖRZ, H., 1985: Spontane und induzierte Variabilität bei In-vitro-Methoden. Vortr. f. Pflanzenzüchtg. 8, 44-56. (Arbeitsgemeinschaft Pflanzenzüchtung, Geisenheim.)
- RÖBBELEN, G., 1976: Züchtung und Erzeugung von Qualitätsraps in Europa. Fette, Seifen, Anstrichmittel 78, 10-17.
- RÖBBELEN, G., 1985: Chancen und Risiken integrierter Produktionsverfahren aus der Sicht der Pflanzenzüchtung. Agrarspektrum 9, Integrierte Produktionsverfahren im Landbau, BLV München.
- RUCKENBAUER, P., 1982: Pflanzenzüchtung und Saatgutproduktion in Österreich. Wintertagung der Österr. Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaftspolitik, Wien, 46-85.
- SACRISTAN, M. D., 1982: Resistance responses to Phoma Ungarn of plants regenerated from selected cell and embryogenetic cultures of haploid Brassica napus. Theor. Appl. Genet. 61, 193-200.
- SCHENK, H. R. und RÖBBELEN, G. 1982: Somatic hybrids by fusion of protoplasts from Brassica oleracia and B. campestris. Z. Pflanzenzüchtg. 84, 278-288.
- SCHNELL, F. W., 1969: Leistung und Struktur heutiger Zuchtsorten. Vorträge des 5. Landwirtschaftlichen Hochschultags. Herausgg. vom Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten, Rheinland-Pfalz, Mainz.
- SCHNELL, F. W., 1982: A Synoptic Study of the Methods and Categories of Plant Breeding. Z. Pflanzenzüchtg. 89, 1-18.
- SNOAD, B., 1974: A preliminary assessment of „leafless peas". Euphytica 23, 257-265.
- WENZEL, G., 1983: Neue Wege der Pflanzengenetik. In: Biotechnologie (dohmen, K., ed.), 76-84, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart, 1983.
Kurt Bartel (Hg.). Evolution/Mensch/Technik. Perspektiven für das nächste Jahrzehnt.Verlag ORAC, Wien, 1986.