Planetarische Nebel#
Einzigartige Himmelsobjekte: Wenn alte Sterne "absterben", entstehen "Planetarische Nebel". Sie sind die Partezettel der Sterne.#
Von
Christian Pinter
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wiener Zeitung. (Samstag, 29. März 2008)
"Jupiters Geist" heißt eines dieser Gebilde, "Blauer Schneeball" ein anderes. Der bekannte Ringnebel in der Leier gleicht einem kosmischen Rauchring. Der Saturnnebel macht uns glauben, eine ferne Raubkopie des berühmten Ringplaneten zu sehen.
Im Sanduhr-, Katzenaugen- und im Boomerang-Nebel tauchen bizarre Strukturen mit seltsamen Spiegelsymmetrien auf. Dunkle Flecken im Nebelrund gaben dem Eulen- und dem Totenschädelnebel beredte Namen. Der Eskimonebel ließ Betrachter an das Antlitz eines Inuit mit Pelzkapuze denken. Und die höchst bizarren Details im Retina- oder im Spirografnebel bereiten Astronomen immer wieder Kopfzerbrechen.
Anstarren sollte man diese Spukgebilde aber nicht. Erfahrene Fernrohrbeobachter blicken lieber knapp daran vorbei. Dann nämlich fällt der müde Schimmer auf die Stäbchen der Netzhaut. Die liefern zwar bloß Schwarzweißeindrücke, sind jedoch lichtempfindlicher als die Sehzapfen im Zentrum der Retina. Mit diesem Trick sind die geisterhaften Flecken besser zu erkennen. Wo der Nebelschein aber für die farbtüchtigen Zapfen ausreicht, erkennt man oft ein gespenstisches Grün, ein Türkis oder ein lebhaftes Blau. Das macht diese Himmelsobjekte einzigartig.
Herschels Streifzüge#
1764 stieß der berühmte Kometenjäger Charles Messier auf den Hantelnebel im Füchschen. Knapp zwei Jahrzehnte später machte sich William Herschel mit sehr viel lichtstärkeren Teleskopen zu wahren Streifzügen am Himmel auf. Er entdeckte etliche weitere rundliche Nebelscheiben. Deren Anblick erinnerte ihn an den grünlichen Planeten Uranus, den er kurz zuvor entdeckt hatte. Deshalb prägte Herschel 1785 den recht unglücklichen Begriff "Planetarische Nebel".
Seine Zeitgenossen erklärten den Nebelschein fast unisono mit dem gemeinsamen Leuchten unzählbarer Sternchen – jedes viel zu schwach, um selbst gesehen zu werden. Doch 1790 erblickte Herschel inmitten des Nebels NGC 1514 ein helles Gestirn. Dieser Zentralstern hatte das vorgebliche Sternenmeer rundum unwahrscheinlich stark an Leuchtkraft übertroffen. Deshalb machte Herschel lieber einen Stoff von äußerster Zartheit für das Nebelglühen verantwortlich. Er beschrieb damit erstmals die Existenz von Gas im Weltraum. Erst später wurde klar, dass man es hier vor allem mit Wasserstoff zu tun hatte – dem mit Abstand häufigsten Element im Kosmos.
Herschel wusste: Aller Materie wohnt Anziehungskraft inne. Deshalb sollte sich ein solcher Nebel immer mehr verdichten, bis endlich in seiner Mitte ein neuer Stern geboren würde. Doch der große Astronom irrte. Hier ballt sich das Gas nämlich nicht zusammen. Es jagt vielmehr vom Zentralstern fort, hinaus in die Einsamkeit des Alls. Planetarische Nebel sind weder Kreißsäle noch Säuglingskrippen – sondern kosmische Aufbahrungshallen.
Sterne vom Typ unserer Sonne verwandeln pro Sekunde Millionen Tonnen Wasserstoff in Helium. Der energiespendende Prozess spielt sich anfangs bloß in ihrem superheißen Zentrum ab. Dort zündet später auch das produzierte Helium; Kohlenstoff und Sauerstoff entstehen. Mittlerweile ist die Zentraltemperatur aber derart angestiegen, dass der Wasserstoff auch in der angrenzenden Sternenhülle zu Helium fusioniert. Die entsprechend erhöhte Energieproduktion bläht die betroffene Gaskugel um mehr als das Hundertfache auf. Es ist, als mutierte ein Stecknadelkopf zu einem Sitzball. Der alternde Stern ist zum Roten Riesen geworden.
Stern-"Blähungen"#
Am fernen Rand dieses Goliaths verspürt das Hüllengas kaum noch Schwerkraft. Sternwinde blasen es ins All. Während die Heliumbrennzone nach außen wandert, wird der Riese von gewaltigen Pulsationen geplagt. Diese "Blähungen" lassen den Sternenwind zum Sturm anschwellen, fegen abermals gigantische Gasmengen fort. Die Materie enteilt mit etwa 50.000 km/h. Sie besteht fast zur Gänze aus Wasserstoff und Helium. Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel, Stickstoff, Neon und Argon verfeinern die Rezeptur. Im Lauf von weniger als einer Million Jahren formt sich so eine ausgedehnte, kugelförmige Blase um den Stern. Erfolgt der Materieabstoß in zeitlich getrennten Episoden, entstehen konzentrische Sphären. Holt frischer, schneller Sternenwind den langsameren ein, kommt es zu hellen Verdichtungen im Nebelgas.
Ist die Sternenhülle weitgehend verschwunden, wird der Blick auf den mittlerweile erloschenen Sternenkern frei: So ein Weißer Zwerg ist meist kleiner als unsere Erde, aber hunderttausende Male schwerer. In der extrem dichten Sternleiche aus Sauerstoff und Kohlenstoff gibt es keine Kernreaktionen mehr. Sie kühlt langsam aus. Ihre Oberflächentemperatur von mehr als 30.000 Grad reicht jedoch aus, die Umgebung mit UV-Strahlung zu fluten. Die energiereichen Photonen holen das davon eilende Gas rasch ein und reißen Elektronen von den Atomen fort. Infolge dieses Ionisationsvorgangs leuchtet die Materie kräftig auf. Jetzt erst nehmen wir den Planetarischen Nebel wahr. Der ionisierte Sauerstoff strahlt in sattem Grün, der Wasserstoff bläulich-grün. Das Nebelgas ist unglaublich dünn. Auf Erden würden wir von einem "Ultrahochvakuum" sprechen. Durch die stete Expansion dünnt es noch mehr aus. Nach mehreren Jahrtausenden entzieht es sich unserem Blick.
Kosmisches Totenbuch#
Das sichtbare Nebelstadium bildet also bloß einen flüchtigen Moment im Sternendasein, vergleichbar mit ein oder zwei Stunden im Leben eines Menschen. Es ist, als entweiche mit dem Gas auch die "Seele" aus dem leblos gewordenen Stern. So auch beim Stachelrochennebel, in dem 5000 Erdmassen Materie davon schweben. Erst zwei Jahrzehnte alt, gilt er als Grünschnabel unter den Planetarischen Nebeln. Jedes Jahr sollte sich irgendwo in der Milchstraße ein neuer Stern ins kosmische Totenbuch eintragen.
Trotz grundsätzlicher Ähnlichkeit tragen die kosmischen Gespenster individuelle Züge. Details treten dabei gern im Doppelpack auf und ordnen sich symmetrisch zum Zentralstern an. Astronomen studieren die vom Hubble-Weltraumteleskop gewonnenen Fotos und rätseln, welche Kräfte hier am Werk sind. Vielleicht bildet sich zunächst ein dichterer Materiewulst weit über dem Äquator des Riesensterns. Er könnte nachfolgendes Gas nach Norden und nach Süden ablenken. Auf diese Weise würden die beiden einander teils überschneidenden Blasen modelliert, die man manchmal erkennt.
Das Magnetfeld des Sterns spielt sicher eine Schlüsselrolle: es kann Gas packen und fort schleudern. Denn heiße, ionisierte Materie reist mit Vorliebe entlang der magnetischen Feldlinien. Die "Abschussbasen" lägen somit nahe der stellaren Magnetpole: Von dort aus schießen neue, riesige Jets in das schon früher abgeblasene Hüllengas ein. Beim Ameisen- und beim Schmetterlingsnebel zeichnet leuchtende Materie die magnetischen Feldlinien besonders eindrucksvoll nach.
Magnetische Schleudern#
Etliche Riesensterne haben eine Partnersonne, die einen Teil der Hüllenmaterie an sich zieht. Das Diebsgut bildet zunächst eine Materiescheibe um den Räuber. Diese produziert selbst ebenfalls ein Magnetfeld, welches Gas packt und rechtwinkelig zur Scheibenebene abstrahlt. Ein solcher Doppelstern besitzt also mindestens zwei magnetische Schleudern. Deren Achsen sind wohl etwas zueinander geneigt, doch der Neigungswinkel ändert sich allmählich. Mit einem derart komplizierten "Zeichenapparat" ließen sich die fantastischsten Nebelbilder in den Raum malen. Viele dieser Himmelsobjekte muten an, als wären nach und nach verschiedene Prozesse für die Ausformung ihrer Details verantwortlich gewesen. So mag etwa eine Partnersonne zum Spielball der Ereignisse werden und in der äußeren Hülle des aufgeplusterten Riesensterns verschwinden. Vor ihrem endgültigen Absturz provoziert sie darin wahrscheinlich enorme "Rülpser", die plötzlich gewaltige Gasmengen ins All blasen.
Ein ferner Begleiter entginge diesem Schicksal zwar, würde aber mithelfen, die Umdrehungsgeschwindigkeit des alten Giganten zu erhöhen. Ohne diese Beschleunigung verlöre der sein Hüllengas womöglich viel zu langsam und zu gleichmäßig. Liegt der Sternenkern dann endlich frei, ist das Nebelgas vielleicht schon zu ausgedünnt, um zu leuchten. Manche Forscher glauben daher, dass Planetarische Nebel nur um Doppel-sterne entstehen. Das würde erklären, warum wir bisher bloß 1500 Exemplare kennen – deutlich weniger, als die stellare Todesrate erwarten lässt.
Dies hätte freilich auch für unsere eigene Sonne Konsequenzen. Sie schwillt in einigen Jahrmilliarden mit Sicherheit zu einem Roten Riesen an und kühlt anschließend als Weißer Zwerg aus. Stimmt die Doppelsternhypothese, dann endet sie ohne nebeligen Partezettel.
Über den Autor#
Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Er schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra".
Nach absolviertem Studium der Politikwissenschaft, Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien hat sich Christian Pinter auf die Themenbereiche Astronomie, Astronomiegeschichte und Raumfahrt spezialisiert. Seit 1991 erscheinen diese Artikel vor allem in der Wiener Zeitung. Dort liegen bereits mehr als 200 ausführliche Arbeiten vor.
Die Ziele das freien Autors sind: Die Himmelskunde in ihren kulturgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen, aktuelle Forschung verständlich zu erklären und zu eigenen Beobachtungen der oberen Hälfte unserer Umwelt anzuregen.
2002 erhielt Christian Pinter den Würdigungspreis für wissenschaftlich fundierte Publizistik des Kardinal-Innitzer-Studienfonds. Seine äußerst interessante Homepage ist http://www.himmelszelt.at