Das rätselhafte Leben der Tiere#
Philosophen denken gern über Phänomene der Fauna nach, die von der Naturwissenschaft angeblich nicht erklärt werden können. Allerdings sind sie dabei nicht immer auf dem neuesten Wissensstand.#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 10./11. August 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Peter Markl
Die Kraken entern die philosophischen Seminare, in denen aus verschiedensten philosophischen oder theologischen Motiven nach Argumenten gesucht wird, mit denen die Möglichkeit einer materialistischen Erklärung des Geistes ein für alle Mal erledigt werden könnte (vorzugsweise ohne nähere Befassungen mit Neurophysiologie und Kognitionswissenschaften). Die bislang in dieser Rolle vermeintlich so bewährten Fledermäuse, die der atheistische Philosoph Thomas Nagel 1974 in dem berühmt gewordenen Essay "What is it like to be a bat?" populär gemacht hat, haben in dieser Funktion ausgedient und sind in informierten Diskussionen unbrauchbar geworden. Und das, obwohl manche Teilnehmer noch immer entschlossen sind, sich durch neue naturwissenschaftliche Resultate nicht inkommodieren zu lassen.
Wirkung des Zufalls#
Da hilft es auch nicht weiter, wenn in Seminaren, die der Theologie zugeneigt sind, eingangs als vertrauensbildende Maßnahme ein bisschen auf Richard Dawkins geschimpft wird. Denn ausgerechnet Dawkins hat den virtuellen Fledermäusen viel von ihrer Signifikanz als Argument gegen eine naturalistische Philosophie des Geistes entzogen und sie als plausibles Paradebeispiel für die Wirkung des Zufalls auch in der Ma-kroevolution etabliert. Dawkins hat schon 1986 in "Der blinde Uhrmacher" darauf hingewiesen, dass es im Lauf der Evolutionsgeschichte durch das Spiel von Zufall und Notwendigkeit zu ähnlichen Problemlösungen kommen kann, wenn Organismen mit vergleichbaren Ausgangsanlagen vor vergleichbaren Überlebensproblemen stehen. Dawkins war bewusst, dass es zwei Gruppen von Fledermäusen gibt, die ein gemeinsames Problem gehabt zu haben scheinen. Nämlich das Problem, in lichtschwachen Umgebungen in Konkurrenz mit anderen Organismen Beutetiere fangen zu müssen. Die einen sind damit durch eine Verbesserung der Lichttüchtigkeit der Augen zu Rand gekommen; vielleicht war es Zufall, dass die anderen zu der alternativen Problemlösung eines Echolotsystems kamen, schließlich hatten die Tiere in beiden Gruppen noch die neuronalen Netzwerke zur Extraktion nützlicher Eigenschaften aus optischen Signalen und deren Synthese zur Erzeugung eines Abbilds der räumlichen Umgebung geerbt.
Mit der Ausführung eines Intelligent-Design-Plans der Art: Wenn Schwierigkeiten des Typs A auftreten, greife auf Trick B zurück, haben solch konvergente Entwicklungen jedoch nichts zu tun. So hat sich der Trick einer Orientierung durch Echolotsysteme bei Organismen, die hochfrequente Schreie ausstoßen können und in einer Umgebung leben, in der Licht Mangelware und die Ernährung von sich bewegenden Organismen unumkehrbar ist, mindestens vier Mal unabhängig voneinander entwickelt: bei Fledermäusen, Zahnwalen, Ölvögeln und Höhlenseglern, von denen große Kolonien in tiefen Höhlen leben.
Dawkins kam schon 1986 zur Vermutung, dass Echolotsysteme keine notgedrungenen Versuche dazu sind, alternative Hörsysteme zu entwickeln, sondern ein Ersatz für das Sehen, wobei die Evolutionsgeschichte nicht ausschließt, dass es eine Frage des Zufalls war, welcher der möglichen Wege eingeschlagen wurde.
Orientierungsversuche#
Nagels Fledermäuse wurden als ein mit den Menschen noch zu nah verwandtes Beispiel für das radikal andere kritisiert. Diese Kritik hat sich in dramatischer Weise bestätigt, als die kanadische Wahrnehmungspsychologin Lore Thaler vor zwei Jahren entdeckte, dass es unter Blinden eine kleine Zahl von Menschen gibt, welche mit der Zunge Schnalzlaute von sich geben und aus deren Echo ein räumliches Bild der Umgebung konstruieren können. Als man zwei von ihnen zu aufwendigen Versuchen mit funktionaler Kernresonanz gewinnen konnte, stellte sich heraus, dass die Echolotsignale nicht mit den auditorischen kortikalen Regionen verarbeitet wurden, sondern mit Cortex-Regionen, die sonst mit der Verarbeitung optischer Eindrücke befasst sind. Und das fand man sowohl bei der früh erblindeten Versuchsperson als auch bei der erst spät erblindeten Person.
Eigentlich hätten Nagels Fledermäuse jedoch in den Seminaren nie derart heimisch werden sollen, so brauchbar sie auch auf die Schnelle als Intuitionspumpen gegen den Anspruch der Naturwissenschaften, die materielle Welt vollständig erklären zu können, zu sein schienen. Man geht dabei von der Annahme aus, dass es zwei Typen mentaler Eigenschaften gibt. Die einen, auf die es zur Erklärung von Bewusstsein ankommt - etwa, wie sich etwas anfühlt - sind nur aus der subjektiven Innenperspektive der ersten Person erkundbar. Über die anderen kann man auch von außen in Experimenten etwas in Erfahrung bringen. Nagel fordert nun die Beschreibung einer mentalen Eigenschaft, die man vorher als nur aus der ersten Perspektive erkundbar definiert hat, durch eine objektive naturwissenschaftliche Beschreibung, der notwendigerweise die Außenperspektive zugrunde liegen muss. So angepackt, haben die Naturwissenschaften selbstverständlich keine Chance.
Erlebnis und Analyse#
Aber jeder weiß doch, dass es eine Sache ist, ein Erlebnis zu haben, eine andere aber, eine Beschreibung dieses Erlebnisses zu geben. Davon leben ganze Industrien. So wissenschaftlich diese Beschreibung auch sein mag, sie bleibt doch eine Beschreibung aus der Außenperspektive.
Der renommierte deutsche Kognitionspsychologe Wolfgang Prinz hat vor kurzem in seinem Buch, das eine Summe des wissenschaftlichen Ertrags der Psychologie während seiner aktiven Berufszeit zieht, konstatiert, dass der Unterschied zwischen den beiden Zugängen immer kleiner wird. Das ist natürlich zuerst auf die Ergebnisse der heutigen bildgebenden Verfahren der Neurophysiologie zurückzuführen, auch wenn diese zu oft mit überbordender Fantasie interpretiert werden. Aber eben nicht nur dadurch.
Wenn ein Mensch eine Bewegung einleitet, taucht in seinem Bewusstsein das Gefühl auf, diese Bewegung verursacht zu haben - ein Gefühl, das man leicht austricksen kann.
Japanische Primatologen haben 2011 jedoch erstmals in ingeniösen Versuchen zeigen können, dass das auch im Bewusstsein von Primaten so ist.
Bisher hat niemand versucht, solche Experimente mit Kraken auszuführen. In dieser Richtung stehen jedoch fraglos weitere Überraschungen an.
Der exzellent schreibende Thomas Nagel hat seine bisherigen Mitstreiter allerdings jüngst extrem irritiert, indem er seinem Buch "Mind and Cosmos" den provokanten Untertitel "Warum der materialistische neodarwinistische Begriff der Natur fast sicher falsch ist" gab, und dann für diese Vermutung im Wesentlichen nicht mehr anzuführen hatte, als dass sich das für ihn eben so anfühlt. Er wünscht sich eine Ergänzung, die aber nichts mit den Wünschen der Intelligent Design-Leute zu tun hätte.
Angst vor der Religion#
Was Religion betrifft, hatte er sich schon vorher in seinem vorletzten Buch "Das letzte Wort" geoutet, wo er an sich eine Religionsangst diagnostizierte, die er auch bei seinen antimaterialistischen Mitstreitern vermutet. Er schrieb:
"Es ist nicht nur so, dass ich nicht an Gott glaube und natürlich hoffe, mit meiner Ansicht recht zu behalten, sondern es geht um meine Hoffnung! Es will, dass es keinen Gott gibt; ich will nicht, dass das Universum so beschaffen ist." Er fügt an: "Zunächst sollte man sich den intellektuellen Auswirkungen einer solchen Angst, wenn schon nicht der Angst selbst widersetzen." Denn "diese Sicht hat etwas "Lächerliches" an sich. "Wenn man sich in seinen Überzeugungen von der Hoffnung auf die Nichtexistenz Gottes beeinflussen lässt, ist das ebenso irrational wie die Beeinflussung durch die Hoffnung auf die Existenz Gottes."
Peter Markl unterrichtete an der Universität Wien Analytische Chemie und Methodik der Naturwissenschaften. Er ist Mitglied des Konrad Lorenz Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung und Mitglied des Kuratoriums des Europäischen Forums Alpbach.