Warum ist Österreich eine Demokratie? (Essay)#
Peter Filzmaier
Wir verwenden den Begriff der österreichischen Demokratie mit großer Selbstverständlichkeit – welche Anforderungen bestehen aber tatsächlich an eine Gesellschaft bzw. an ein politisches System, das sich zu Recht als demokratisch bezeichnen kann?
Für Österreich völlig außer Streit steht lediglich ein Minimum, das demokratische Verfassungsstaaten zu erfüllen haben, nämlich zwei Grundprinzipien bzw. allgemeine Voraussetzungen:
Das erste Prinzip betrifft die Kontrolle der politischen Entscheidungsträger, insbesondere durch das Volk mittels allgemeiner, freier und gleicher Wahlen. Bereits hier könnte man diskutieren, ab welchem Mindestalter (16 oder 18 Jahre in einzelnen Ländern bzw. auf Bundesebene) das geschieht. Zu ergänzen ist jedenfalls eine ebenfalls bestehende interne Kontrolle dieser Entscheidungsträger, zumeist durch die klassischen Staatsgewalten der Gesetzgebung (Legislative), der Verwaltung bzw. Vollziehung (Exekutive) und der Gerichtsbarkeit (Judikative) sowie deren Trennung bzw. wechselseitige Kontrolle.
Das zweite Grundprinzip umfasst gemeinsame politische Rechte für alle Bürger sowie die Wahrung der elementaren Menschenrechte durch die Gesellschaft, etwa den Schutz persönlicher Freiheit und genauso die Meinungs-, Presse-, Religions- oder Versammlungsfreiheit usw.
Weitere Kriterien für eine Demokratie sind, dass a) die liberal-demokratischen Prinzipien nicht auf den staatlichen Bereich im engeren Sinn beschränkt bleiben, sondern darüber hinaus eine sozial gerechte Güterverteilung in Erwägung gezogen wird, und b) dass eine Demokratisierung gesellschaftlicher Teilsysteme, etwa der Familie, der Schule und der Arbeitswelt, gefördert wird.
Mit anderen Worten: Demokratie bezieht sich auf die Einrichtungen des politischen Systems, muss jedoch notwendigerweise auf das gesellschaftliche Alltagsverständnis erweitertwerden.
Die parlamentarische Demokratie ist ohne eine zivile Demokratie in Familie, Schule oder Arbeitswelt instabil, erst demokratische Umgangsformen sorgen für Stabilität.
Zweifellos ist Österreichs Demokratie einerseits auch in diesen Bereichen durchaus führend, wenn man die Schuldemokratie und innerbetriebliche Demokratie in den Arbeitsbeziehungen als Beispiele anführt. Andererseits sind realpolitisch bestehende Demokratiedefizite erkennbar, wie die keinesfalls vollständige Gleichstellung der Geschlechter oder Ungleichheiten in den realen Möglichkeiten politischer Beteiligung zwischen Eliten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen.
Entwicklung des Wahlrechts in Österreich:
1848 Einführung des Zensuswahlrechts
1873 Kurienwahlrecht in der österreichischen Reichshälfte der Monarchie
1882 Herabsetzung der Steuerleistung zur Wahlteilnahme
1896 Schaffung einer allgemeinen Wählerklasse
1907 allgemeines Männerwahlrecht
1919 allgemeines und gleiches Wahlrecht für Männer und Frauen
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: