Die Ökonomen des freien Menschen#
Jahrzehnte lang wurden sie bloß als intellektuelle Waffen gegen den real existierenden Sozialismus benützt. Doch die Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie haben uns ein wesentlich reichhaltigeres Erbe hinterlassen. Über Kreativität und Individualismus als Lenker im Wirtschaftsprozess und alternative Wege aus der Finanzkrise.#
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitung DIE FURCHE (Donnerstag, 7. Oktober 2010)
Von
Oliver Tanzer
Dass der Mensch ein von der Ratio gesteuertes Wesen sei, ist zumindest in manchen Situationen ein unbegründetes Vorurteil. Das mag zwar spätestens seit Freud keine Überraschung mehr sein, aber es erstaunt immer wieder in Umfeldern, wo man lösungsorientierte Analyse und Logik am ehesten vermutet hätte: bei Managern, Unternehmern und Wirtschaftswissenschaftern. Ein Wort schon kann bei einigen von ihnen heftige Reaktionen auslösen. Beispielsweise Sozialismus. Das wurde bei einem Kongress sichtbar, der vergangene Woche in Wien stattfand.
Es sollte eigentlich um die Bedeutung der Österreichischen Schule der Nationalökonomie gehen. Was haben Carl Menger, Ludwig von Mises, Friedrich von Hayek, Eugen von Böhm-Bawerk der Welt in der Wirtschaftskrise zu sagen? Welche Wege eröffnen sie dem wirtschaftlichen Denken auch heute noch? Interessante Fragen und noch interessantere Antworten ließen sich finden. Hingegen hörte man sektenhafte Polemik vom „Krieg der Ideen“, den man gewinnen müsse. Ein Ökonom, der nach eigenen Worten vor Jahren zur Österreichischen Schule „konvertierte“, rief zum „geistigen Widerstand“ gegen den „Kollektivismus“ und den „Gleichheitsexzess“ der modernen Gesellschaft auf und prognostizierte den Untergang des Sozialstaates.
Gegner des Totalitären#
Dass die oben genannten Ökonomen auch von einigen ihrer aktuellen Vertreter bloß als Sozialistenfresser instrumentalisiert werden, liegt am historischen Umfeld des 19. und 20. Jahrhunderts, in dem sie wirkten. Sie alle waren Zeugen des aufstrebenden Sozialismus und des Faschismus. Als Vertreter der freien Marktwirtschaft und des Individualismus traten sie gegen jede dieser Ideologien auf, widerlegten sie und sahen ihr Ende voraus. Doch sie taten eben nicht nur das, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Carl Menger (1840–1921) etwa revolutionierte das ökonomische Denken, indem er evolutive Elemente und den Individualismus in seine Lehre einbezog: Wirtschaft und Gesellschaft seien ein Prozess ineinandergreifender subjektiver Handlungen Einzelner. Der Mensch handle nicht nach einem höheren Plan, sondern gemäß seinen Bedürfnissen und seiner Kreativität. Daran knüpfte später auch Joseph Schumpeter mit seinem Diktum von der kreativen Zerstörung an. Die Wirtschaft gestaltet sich nach Menger also nicht als Gleichgewichtsprozess, sondern als organisches Verfahren, das durch (kreative) Auslese dem der Evolution vergleichbar ist. Ludwig von Mises publiziert 30 Jahre später an Menger anknüpfend über die „Gemeinwirtschaft“. Er meint, dass jedes menschliche Handeln von den durch die Tat erzielbaren gewünschten Konsequenzen geleitet wird. Es gehe dabei nicht um die gegenwärtige Abwägung mathematischer Risiken, sondern um die Voraussicht, was an Produkten künftig gefragt sein werde. Jeder Mitbewerber auf einem freien Markt hat die freie Wahl, sich für einen von vielen möglichen Wegen zu entscheiden. Aus diesem evolutionären Versuch und Irrtum entsteht der Fortschritt.Von ihm und von Carl von Wieser stammt die Grenznutzenlehre, wonach Güter immer aus dem subjektivem Gefühl der Sättigung des Individuum bewertet werden, also nach Bedarf, Sättigung und Überfl uss.
Feinmechanik der Preise#
Demnach sind Preise keine willkürlich festgelegten Werte, sondern ein sensibles Instrument der Knappheitsbewertung. Wirtschaftssysteme, die diesen Mechanismus außer Kraft setzen, wie etwa planwirtschaftlich strukturierte Märkte, seien deshalb zum Scheitern verurteilt. Mises’ Thesen werden von jenen seines Lehrers Eugen von Böhm-Bawerk unterstützt, der nachzuweisen suchte, dass sozialistische Märkte keine Preise und auch kein Kapital hätten.
Mises beschäftigte sich in seiner „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel“ auch intensiv mit Geldwirtschaft und wies dabei nach, dass eine zentral gesteuerte Erhöhung der Geldmenge nicht einfach höhere Preise und Löhne verursache, sondern sich wellenartig fortpfl anze und damit Gewinner und Verlierer schaffe. Noch bemerkenswerter ist seine davon ausgehende Theorie der Konjunkturzyklen. Boomphasen, wie jene, die 2007 schmerzhaft zu Ende ging, seien durch zu niedrige Zinsen gesteuert, die Investitionen würden vom Bedarfsgütersektor in den Kapitalgüterbereich fl ießen. Ist diese Entwicklung zudem nicht durch reale Werte besichert, bricht das Luftschloss zusammen.
Mises’ Schüler Friedrich August von Hayek erweitert die Konjunkturtheorie in den 1930er Jahren, indem er einen „natürlichen Zins“ annimmt, den durch unternehmerische Leistung erwirtschafteten Nettogewinn eines Unternehmens. Dieser Zins ist flexibel und steht in korrespondierender Wechselwirkung mit dem Zinssatz der Banken: Je mehr Geld gespart wird, desto weniger wird investiert und konsumiert, desto eher sinken aber auch die Bankzinsen. Sinkende Bankzinsen aber bedeuten einen höheren Anreiz, angespartes Kapital in die Wirtschaft zu investieren, um die dortigen Gewinnchancen aufgrund des höheren Zinses zu nützen. Sinken die Spareinlagen aber, erhöhen sich die Bankzinsen wieder – der Prozess hält sich also im Gleichgewicht. Das wäre nach Hayek das natürliche Verhältnis zwischen Kapital, Produktion und Nachfrage.
Entstehung von Krisen#
Ein starkes Auseinanderklaffen der Zinssätze muss aber immer durch zusätzliche Liquidität geschlossen werden, überschüssiges Kapital bei etwa zu geringen Bankzinsen werde in potenziell nicht markttaugliche Projekte investiert (beispielsweise Immobilien) – die langfristige Folge einer solchen Entwicklung: der Crash. Hayeks Kernpunkt: Bei einer zentral gesteuerten Geldpolitik ergeben sich naturgemäß Gleichgewichtsstörungen, da staatliche Zinspolitik und Geldschöpfung niemals so flexibel sein kann, dem natürlichen Gleichgewicht zu folgen. Nach der Krise ist demnach vor der Krise. Hayeks Weg: Das Geldmonopol der Zentralbanken und das Geldschöpfungsmonopol sollten gebrochen werden. Das Geldwesen müsse liberalisiert werden und würde sich ohne staatliche Eingriffe von selbst regeln. Kein Zweifel – mit solchen Lehren sichert man sich zwar einen Nobelpreis, aber in der real regulierten Wirtschaft hat sich Hayek keine Freunde gemacht. Den Bankern und Politikern war er zu revolutionär, den Kommunisten zu reaktionär. So ging es ihm wie seinen Vorgängern, die sämtlich vergessen wurden, auch in Österreich. Der Ökonom Erich Streissler hat es am Treffendsten ausgedrückt: „Hayek liegt in Wien nur begraben.“