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Die Einflusssphären respektieren!#

Prof. Stefan Karner im Kurier vom 6. Februar 2022#

Mühsam aufgebautes Vertrauen zwischen Ost und West ist verspielt. Daran ist nicht nur eine Seite schuldig. In dieser Situation geht es Moskau v. a. um Sicherheit in seinem europäischen Vorfeld.

Als Joe Biden 2009 in Kiew erklärte, die Einfluss- zone der USA und der NATO könnte bis an die Grenze Russlands reichen, war für den Kreml sicherheits- politisch und im historischen Selbstverständnis eine rote Linie überschritten. Danach schloss Kiew 2012 ein Abkommen mit der EU. Viele Russen spürten und sagten: Die Ukraine, „die Wiege Russlands", hat sich gegen uns und für den Westen entschieden.

Seit der Besetzung der Krim 2014 hat Kiew, auch mit westlicher Hilfe, stark aufgerüstet. Britische und US-Kampfverbände stehen im Land oder an der Grenze zur Ukraine. Im Kriegsfall ist Widerstand, bis zu einem Guerillakrieg, zu erwarten, mit Tausenden Toten, einer Flüchtlingswelle. Verlierer werden bei- de Seiten und Europa sein.

Keine Osterweiterung der NATO#

Die Ignoranz des Westens gegenüber Putins frühen Signalen zur Kooperation ist lang: der Handelskorridor vom Atlantik bis zum Pazifik (jetzt baut China seine Seidenstraße) oder der verzögerte Beitritt Russlands zur WTO. Formal natürlich nicht, denn die Ukraine ist ein souve- räner Staat. Aber es steht das mündliche Versprechen aus 1990/91 im Raum, es werde keine NATO-Osterweiterung über die DDR hinaus geben. Russland argumentiert mit der „ungeteilten Sicherheit“ als Prinzip der OSZE, die nicht zulasten anderer geht.
Daher die Forderung: keine NATO-Erweiterung mehr.

Russland betreibt Großmachtpolitik im postsowjetischen Raum, wie wir sie von anderen Großmächten kennen. In den umstrittenen Gebieten Georgiens oder der Moldau leben überwiegend ethnische Russen, teils mit russischen Pässen, worauf sich Moskau beruft.

Der Kalte Krieg wurde nicht heiß, weil man Einflusssphären beiderseitig akzeptierte. Die haben sich heute stark nach Osten, teilweise an die russische Grenze vorgeschoben. Modernste Waffen- systeme stehen im Baltikum, in Tschechien. Sie er- zeugen kein Vertrauen. Nun fürchten die Russen, dass NATO-Atomwaffen in der Ukraine stationiert werden. Die angedrohten Sanktionen des Westens werden uns stärker treffen als Russland: wegen seiner riesigen Goldreserven, der Leidensfähigkeit der Russen sowie der Abwehr, die Sanktionen von außen immer hervorrufen (man denke an Österreich). Auch Gewinner lassen sich benennen: die US- und russische Öl- und Gasindustrie. Das Schellgas der Amerikaner wird nach Europa kommen, weil Zentraleuropa das russische Gas nicht kompensieren kann.

Brücken bauen #

Der Konflikt ist ein europäischer. Die EU kann Friedenspolitik nur betreiben, weil es die NATO gibt, sie ist ohne militärischen Arm Zuschauer. Zu früh hat sie sich auf die US-Seite geschlagen. Russland kann in Asien die chinesische Karte ziehen. China berücksichtigt Russlands Bedürfnis nach Status, baut Wirtschaftsprojekte (noch) nicht gegen Russland.

Zwischen Russland und der Ukraine gibt es noch kulturelle, wissenschaftliche, wirtschaftliche Brücken, Millionen haben Verwandte hie und drüben. 70 Pro- zent der Russen halten die Ukraine für einen „be- freundeten, nachbarschaftlichen Bruderstaat.

Erste Signale für Verhandlungen, neue Allianzen, so zwischen London, Warschau und Kiew, werden sichtbar. Vertrauen wieder herzustellen ist das Wichtigste, Deeskalation und Rüstungskontrolle können folgen. Ebenso etwa ein Aussetzen eines NATO-Beitritts der Ukraine für 20-30 Jahre, Sicherheitsgarantien für bei- de Seiten oder ein autonomer Status für die ostukrainischen Gebiete innerhalb der Ukraine.

Wie Voltaire sagte, auf Bajonetten kann man nicht lange sitzen.


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