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Eine rote Grande Dame in Briefen#

Der Nachlass der Sozialdemokratin, Widerstandskämpferin und KZ-Überlebenden Rosa Jochmann liegt nun in Buchform vor.#


Von der Wiener Zeitung (14. Juli 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Michael Schmölzer


Rosa Jochmann war als Zeitzeugin des NS-Terrors bis ins hohe Alter aktiv. 1996 demonstrierten Aktivisten in Graz gegen die historisch belastete Kernstock-Straße
Rosa Jochmann war als Zeitzeugin des NS-Terrors bis ins hohe Alter aktiv. 1996 demonstrierten Aktivisten in Graz gegen die historisch belastete Kernstock-Straße.
Foto: © apa/SP-OÖ

Eine Biografie in Briefen ist es, die der Journalist Rainer Mayerhofer nun in Buchform vorgelegt hat. Umfangreich beleuchtet wird damit das Leben der Sozialdemokratin Rosa Jochmann, einer bemerkenswerten Frau, die von den Austrofaschisten verfolgt und eingesperrt und von den Nazis unter dem Vermerk "Rückkehr unerwünscht" in das KZ Ravensbrück deportiert wurde. Jochmann überlebte und war zwischen 1945 und 1967 SPÖ-Abgeordnete im Nationalrat.

Obwohl die 1901 in Wien Geborene von ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern mehrfach ermutigt wurde, die Geschichte ihres Lebens schriftlich darzulegen, ist es nie dazu gekommen. Die bis zuletzt engagierte Widerstandskämpferin war zu beschäftigt - unter anderem damit, zahllose Briefe zu schreiben und zu beantworten. Es müssen tausende sein, die sie im Lauf ihres Lebens geschrieben hat. Mayerhofer hat in den Archiven gesucht und einen großen Teil ihrer Korrespondenz gefunden.

Entstanden ist ein zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges. Denn Jochmann stand mit fast allen, die in der Sozialdemokratie Bedeutung hatten, in Kontakt. Von Otto Bauer über Bruno Kreisky bis Heinz Fischer. Der Leser ist in der Lage, das phasenweise dramatische Leben Jochmanns anhand von Briefen nachzuverfolgen. Mayerhofer, vormals Redakteur der "Wiener Zeitung", hat die geschriebene und erhaltene Korrespondenz thematisch in mehr als 20 Kapitel unterteilt und mit einleitenden Bemerkungen versehen. Die Briefe selbst sind mit erklärenden Anmerkungen ausgestattet.

Post von Glöckel#

In den Jahren der Illegalität 1934 bis 1938 erhielt Jochmann Post unter anderem von Leopoldine Glöckel, der Frau des Wiener Schulreformers und Stadtschulrates Otto Glöckel, der das Erziehungswesen an die demokratischen Verhältnisse anpasste und die "Drillschule" der Monarchie aus der Gesellschaft verbannen wollte. Er wurde nach den Februarkämpfen 1934 von den Austrofaschisten in Wöllersdorf interniert und starb im Jahr darauf knapp nach seiner Freilassung. Jochmann erfährt im Sommer 1935 von der ehemaligen sozialdemokratischen Gemeinderätin und Landtagsabgeordneten Alina ("Lina") Fortmüller brieflich vom Tod Glöckels.

Es folgen Briefe aus der Haft, geschrieben an Jochmann zwischen Dezember 1935 und Juli 1936. Die Schreiben stammen von Maria Emhart, "Mizzl", die mit Karl Hans Sailer die Hauptangeklagte im Sozialistenprozess 1936 war. Der Vorwurf lautete auf Hochverrat, angeklagt war unter anderem Bruno Kreisky. Im Endeffekt wurden 13 der 29 Angeklagten freigesprochen, die Strafen für die übrigen fielen verhältnismäßig milde aus. Emhart beschreibt in ihren Briefen den tristen Alltag im Gefängnis, es geht um die Verpflegung und den Umstand, dass es fallweise "wirklich auch Bohnenkaffee" gibt. Die Briefe wurden von der ständestaatlichen Zensur natürlich genau geprüft.

Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verweigerte Rosa Jochmann die Flucht, obwohl man ihr die Möglichkeit bot. Sie war monatelang in Gestapo-Haft und wurde dann in das KZ Ravensbrück deportiert. Aus dieser Zeit sind Briefe an die Familie vorhanden, an die Schwestern "Peperle" und "Antschi". Dazu gibt es einen Sonderbrief an ihren Freund Franz Rauscher. "(. . .) ich habe dann eine große Sehnsucht: ich möchte nur bei dir sitzen u. mit dir plaudern", schreibt sie an Rauscher, der wie Jochmann zur alten Garde der SPÖ gehörte. Der Aufenthalt im KZ war für Jochmanns weiteres Leben prägend. Später setzte sie sich für die KZ-Aufseherin Ilse Motzka ein, die sich für diese Tätigkeit nur gemeldet hatte, um ihrer inhaftierten Großmutter helfen zu können.

Eingesperrt im Bunker#

Wenn es um die Verfolgung von Tätern und Täterinnen ging, war Jochmann enorm konsequent. "Doch die Menschen liebe ich über alles!" lautet der Schlusssatz ihres Lieblingsgedichtes, das von Georgi Ladonstschikow stammt und gleichzeitig Titel des Buches ist.

Rainer Mayerhofer: 'Doch die Menschen liebe ich über alles. Rosa Jochmann', ÖGB Verlag, 676 Seiten, 36 Euro.
Rainer Mayerhofer: "Doch die Menschen liebe ich über alles. Rosa Jochmann", ÖGB Verlag, 676 Seiten, 36 Euro.

Im Fall von Mithäftlingen, die für die KZ-Lagerleitung Spitzeldienste leisteten, fand diese Liebe nachdrücklich ihr Ende. In einem Rundbrief an ihre Lagerkameradinnen aus dem Jahr 1950 wirft Jochmann einer Aloisia Lambrecht und einer Leonie Brand vor, Mitgefangene gegenüber dem Lagerkommandanten verleumdet zu haben. Viele Häftlinge seien "in den Bunker" gebracht worden, weil sie von den beiden Frauen beschuldigt worden waren, politische Untergrundarbeit zu leisten. Was nicht der Fall war, so Jochmann in ihrem Brief - eine "schamlose Erfindung". Sie selbst wurde ebenfalls fünf Monate in den Bunker gesperrt. Nach dem Krieg, schreibt Jochmann, habe sich Lambrecht um eine Entschädigung für politisch Verfolgte beworben: "Bei einem Prozess in Hamburg im Jahre 1948 begegnete ich ihr mit einigen Kameradinnen und da sie provozierend stehen blieb, schlug ich sie nieder, es wäre besser gewesen, ich hätte dieses Biest zertreten", so Jochmann.

"Wie traurig Bauer war"#

Aus zeithistorischer Sicht extrem spannend sind die Briefe, die Jochmann im Alter geschrieben hat. Etwa jenen an Bruno Kreisky vom 9. Oktober 1982. Hier geht es um eine Einschätzung der Ereignisse des Bürgerkrieges im Februar 1934. Kreisky vertrat die Meinung, dass der damalige Anführer der Sozialdemokratie, Otto Bauer, 1931 eine Koalition mit den Christlichsozialen hätte bilden sollen. Diese Meinung hat Otto Bauer selbst später vertreten. Sie selbst sei nicht dieser Ansicht, "denn es hätte bedeutet, dass wir Mitbauer am Ständestaat sind". Der Umstand, "dass wir 1933 nicht losgeschlagen haben" ist für Jochmann retrospektiv "der schwerste Fehler". "(. . .) ich sehe noch die Schutzbündler in der Simmeringer Baracke weinen, ja weinen, weil wir wieder zurückgewichen sind."

Rosa Jochmann war in den Februar-Tagen, als Schutzbund und autoritäres Regime aufeinander losgingen, unmittelbar bei Parteichef Otto Bauer. "(. . .) er wollte sich opfern und es ist wahr, in dieser Stunde hat er versagt", schreibt sie an Kreisky. Es habe in dieser dramatischen Stunde "nur einen verzweifelten Otto Bauer" gegeben. Zwei Tage vor dem Einmarsch der Wehrmacht war Jochmann bei Otto Bauer in Prag. In ihrem Brief an Kreisky 1982 schildert sie ihn als gebrochenen Mann. "Du kannst dir nicht denken", so Jochmann an Kreisky, "wie traurig er war - er begleitete mich zu meinem Hotel, als wir Abschied nahmen, ich war es auch! Und nach einer Weile ging ich aus dem Hotel hinaus und - er sah mich nicht - immer noch stand Genosse Bauer tief in Gedanken versunken dort an der Stelle, wo ich ihn verlassen hatte."

"Doch die Menschen liebe ich über alles. Rosa Jochmann" ist ein Buch, für das man sich Zeit nehmen muss, in dem sich unglaublich spannende Details entdecken lassen. Ein Muss für alle, die an der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie des 20. Jahrhunderts interessiert sind.

Wiener Zeitung, 14. Juli 2020

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