Bundespräsident am Abstellgleis#
Vor 60 Jahren, am 20. März 1956, starb Wilhelm Miklas, dem als Staatsoberhaupt bis heute die Ausschaltung von Demokratie und Rechtsstaat 1933 angelastet wird.#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 18. März 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Gerhard Strejcek
Unweit von den Grabmälern bekannter Schauspieler (u.a. Susi Nicoletti, Ernst Haeusserman, Richard Eybner), Autoren (Ferdinand von Saar), Politiker (Theodor Herzl, Bundeskanzler Streeruwitz, Finanzminister Kamitz), Ärzte (Lorenz Böhler, Moritz Kaposi) und Erfinder (wie dem Röhrentechniker Ignaz Lieben) befindet sich am Döblinger Friedhof in der Hartäckerstraße eine Doppelgruft, in der die sterblichen Überreste des Bundespräsidenten Wilhelm Miklas bestattet wurden.
Nach langem und bewegtem Leben starb der zweite Bundespräsident der Ersten Republik vor sechzig Jahren, am 20. März 1956. Allein die Tatsache, dass er nicht wie seine Nachfolger in der Zweiten Republik in der Präsidentengruft ruht, erscheint aussagekräftig. Obwohl ihm die Sozialdemokraten seine Inaktivität und Indifferenz gegenüber dem autoritären Dollfuß-Regime in der Zweiten Republik weitgehend verziehen hatten - namentlich sein indirekter Nachfolger Karl Renner und dessen Biograph Jacques Hannak -, führte Miklas nach 1945 elf Jahre ein Schattendasein, nachdem er auch im NS-Staat politisch kaltgestellt worden war.
Partei-Demütigungen#
Auf dem politischen Abstellgleis stand er allerdings bereits spätestens seit 1933, als er gerade fünf Jahre als Staatsoberhaupt amtiert hatte. Und damals erfuhr er auch die größten Demütigungen seitens seiner eigenen Parteifreunde, ein Schicksal, das in der Zweiten Republik dem 2004 verstorbenen Bundespräsidenten Thomas Klestil widerfahren ist. Unter verschiedenen Auspizien sind beide Bundespräsidenten daher personifizierte Mahnungen vor dem Ausloten der seit 1930 weitreichenden Zuständigkeiten des Staatsoberhaupts.
Miklas war immerhin so weit gegangen, dem autoritär regierenden Kanzler Dollfuß die neuerliche Ernennung nach einer von diesem angekündigten Demission zu verweigern, und er hatte auch schon zuvor angesichts eines Minderheitenkabinetts (Vaugoin) Neuwahlen erzwungen - zwei Schritte, die an die Grenzen der Kompetenzen eines Bundespräsidenten gingen. Hingegen war Miklas gescheitert, als er mittels Notverordnung den Nationalrat nach dessen angeblicher "Selbstausschaltung" wieder in Gang bringen wollte, und auch der Demontage des Verfassungsgerichtshofes stand er hilflos gegenüber.
Der am 15. Oktober 1872 in Krems geborene und im Stift Seitenstetten eingeschulte Katholik böhmischer Abstammung wurde nach seiner Ausbildung zum Geographie- und Geschichtslehrer zunächst Supplent (Hilfslehrer) in Triest und in Böhmen, stieg danach aber bald zum beamteten Professor und mit 33 Jahren zum Schuldirektor des Horner Gymnasiums auf.
Wie sein Biograph Walter Goldinger ausführt, waren (nicht unähnlich der heutigen Praxis) politische Einflüsse im Spiel, denn Miklas gelang es, gegen den heftigen Widerstand der radikalen Schönerer-Alldeutschen das Waldviertel für die christlichsoziale Partei zu gewinnen. Das brachte ihm neben Anfeindungen von nationaler Seite die begehrte Direktorenstelle (1905) und den Wahlsieg im Horner Wahlbezirk bei den ersten "allgemeinen" und gleichen Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Reichstags 1907 ein. Sodann erlangte er auch ein Mandat im niederösterreichischen Landtag und widmete sich bald nur mehr der Politik.
Die Anführungszeichen vor dem Wahlgrundsatz der Allgemeinheit stehen hier übrigens deshalb, weil Frauen damals aktiv und passiv ausgeschlossen blieben, ein Umstand, den Miklas und seine Parteikollegen dann gemeinsam mit den Sozialdemokraten und Großdeutschen in der provisorischen Nationalversammlung der Republik 1918 änderten. Damals war Miklas allerdings noch monarchistisch eingestellt und stimmte im Staatsrat für die Beibehaltung des status quo ante, im Plenum der Nationalversammlung musste er allerdings den Standpunkt seiner Partei für die Republik Deutschösterreich mittragen. Damals konnte er nicht ahnen, dass er nach einem Jahrzehnt selbst an der Staatsspitze stehen und gegen die Legitimisten in seiner Partei arbeiten würde.
Kompromisskandidat#
Nach den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung vom 16. Februar 1919 stieg Miklas in der politischen Hierarchie weiter auf. Unter Duldung der Sozialdemokraten wählte ihn der Nationalrat 1923 zu seinem Präsidenten - und fünf Jahre später stand er als Kompromisskandidat der Christlichsozialen für das höchste Staatsamt zur Verfügung. Bundespräsident Michael Hainisch wäre zwar willens gewesen, nach bundesverfassungsrechtlicher Verlängerung seiner zweiten Amtszeit (damals je vier Jahre, insgesamt also acht Jahre: 19201928) im Amt zu verbleiben, und auch Bundeskanzler Ignaz Seipel liebäugelte mit dem Leopoldinischen Trakt, doch schlussendlich kam es zur Wahl von Miklas in der Bundesversammlung. Deren Vorsitzender Matthias Eldersch, ein Sozialdemokrat, rechtfertigte die Praxis der SDAP, beim dritten Wahlgang leere Stimmzettel abzugeben, mit der Verhinderung eines großdeutschen oder womöglich noch konservativeren Kandidaten als Mi-klas, der als Nationalratspräsident überparteilich agiert hatte.
Die politische Verortung von Miklas, der nach seiner Wahl im Dezember 1928 aus der Christlichsozialen Partei ausgetreten war und kein aktives CV-Mitglied war, ist differenziert zu sehen. Die republikanische, demokratische Staatsordnung hatte der Bundespräsident zwar zur Gänze internalisiert, ideologisch stand er aber stets für eine stramm katholische Haltung. Sein innerparteilicher Konkurrent Prälat Ignaz Seipel sagte einmal, er selbst sei ein Klerikaler, Miklas sei klerikal. Im Lichte der päpstlichen Enzyklika "Quadragesimo anno" hegte der Bundespräsident Sympathien für den Ständestaat, wenngleich er dessen autoritäre Ausprägung ab 1933 mit steigender Empörung ablehnte. Zwei seiner Brüder gehörten dem geistlichen Stand an, Miklas hatte 1919 zudem heftig gegen die Zivilehe und Scheidung opponiert und förderte als Bundespräsident den Abschluss des Konkordats unter Bundeskanzler Schober, was ihm dieser verübelte. Miklas trat nach 1934 nicht der Vaterländischen Front bei und mied deren Veranstaltungen.
Zweite Wahl#
Materiell stand es um den Beamten Miklas und dessen kinderreiche Familie nicht schlecht, wenngleich von Luxus in der Residenz in der Hainburger Straße keine Rede sein konnte. Formell wurde Miklas als Hofrat des Unterrichtsministeriums pensioniert, spendete dieses Zweiteinkommen aber an einen Fonds zur Unterstützung sozial Bedürftiger.
Insgesamt amtierte er ein Jahrzehnt, in dem es politisch "rund" ging, bis zur NS-Machtübernahme im März 1938. Seine zweite Wahl hätte nach der Änderung der Bundesverfassung (B-VG-Novelle) 1929 bereits direkt stattfinden sollen, es war sogar ein Wahltermin am 18. Oktober 1931 fixiert worden. Denn es bestand damals eine Übergangsregel, wonach auch die Bundespräsidentenwahl im Gefolge der ersten Nationalratswahl 1929 fristgerecht stattzufinden hätte.
Dennoch entschieden sich die maßgeblichen politischen Kräfte durch ein besonderes Bundesverfassungsgesetz zu einer neuerlichen indirekten Wahl. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber in erster Linie in den instabilen Verhältnissen nach dem Putschversuch des Heimwehrführers Pfriemer zu sehen. Da die Christlichsozialen mit Mühe die Direktwahl und die Verstärkung der präsidialen Elemente in der Verfassung Ende 1929 durchgesetzt hatten, wollten sie nicht das Gesicht gegenüber der Sozialdemokratie verlieren und sahen daher einen Antrag der Großdeutschen im Nationalrat als Rettung an, um wieder indirekt wählen zu können.
Weniger erfreut war darüber der umtriebige Prälat Seipel, der nach seiner Genesung in das Rennen um das höchste Staatsamt steigen wollte, aber nicht nominiert wurde; stattdessen stand wieder Miklas zur Disposition, der diesmal mit drei Stimmen Vorsprung gegenüber Renner gewann.
Nun folgten bald jene Jahre, welche die Präsidentschaft zu einem Misserfolg stempelten. Die Ausschaltung von Demokratie und Rechtsstaat 1933 wurde auch dem Staatsoberhaupt angelastet, weil Miklas sich hier zurückhielt statt zu agieren und notfalls den ihm durchaus sympathischen Dollfuß zu entlassen.
Mit der Maiverfassung 1934 kam es zu einer Verlängerung seiner Amtszeit ohne Wahl. Zwar verweigerte der Bundespräsident seine Unterschrift unter der ständestaatlich-autoritären Urkunde, aber er unterfertigte ein Gesetz, das diese in Kraft setzte. Somit konnte sich Miklas, der mit Dollfuß-Nachfolger Schuschnigg nicht harmonierte, wieder nicht durchsetzen und war daher später mit dem Vorwurf willfähriger Amtsführung konfrontiert.
Besonders schadete ihm aber die Tatsache, dass ihm Hitler nach Machtübernahme der Nationalsozialisten als "Belohnung" für die Ernennung von NS-Kanzler Arthur Seyß-Inquart und seine "moralische Verhinderung", als Bundespräsident weiter zu amtieren, höchstpersönlich die Beibehaltung seiner Bezüge, seiner Wohnung und des Dienstwagens zuerkannt hatte. Miklas stimmte nach anfänglichen Bedenken als "einfacher Staatsbürger" bei der "Anschluss"-Volksbefragung vom April 1938 mit "Ja".
Drei Söhne verloren#
Dann hörte man lange nichts mehr von Miklas, dessen erste Tochter bereits 1923 in der Schweiz verstorben war; im Zweiten Weltkrieg befasste er sich mit der Organisa-tion von Wallfahrten und verlor alle drei Söhne - und zwar, wie ein geografisches Mahnmal des barbarischen Vernichtungskriegs im Osten, einen vor Moskau, einen vor Leningrad und einen in Kiew. Zwei der Söhne hatten bereits ihr Stu- dium abgeschlossen und fielen als Akademiker in der falschen Armee im falschen Krieg für den falschen Diktator, auf den sie den Eid geleistet hatten.
Die Hauptvorwürfe nach dem Krieg konzentrierten sich weniger auf das passive Agieren in der NS-Zeit als auf das Versagen des Bundespräsidenten Miklas im autoritären Ständestaat. Er hätte, so heißt es, Bundeskanzler Dollfuß und seine austrofaschistische Regierung entlassen müssen, denn dazu bedurfte es seit der B-VGN 1929 keines Antrages eines anderen Organs; eine neue Regierung hätte dann den Antrag an ihn stellen können, den Nationalrat aufzulösen und eine Neuwahl zu erzwingen. Graue Theorie, denn Miklas war wegen der indirekten Wahl demokratisch nicht stärker legitimiert als die Regierung und hegte zudem Sympathien für Dollfuß, dessen katholische Haltung ihm imponierte und dem Bundespräsidenten die Sicht auf den dahinter stehenden Diktator verstellte.
Information#
- Walter Goldinger: Wilhelm Miklas, in: Friedrich Weissensteiner (Hrsg): Die österreichischen Bundespräsidenten. Bundesverlag, Wien 1982, S. 82120.
Gerhard Strejcek, geboren 1963 in Wien, ist Außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.