Von der Monarchie zur Republik#
Der Text wurde von Manfried Welan im Mai 2014 dem Austria-Forum überlassen
Zeßner wurde in ein altes Kaiserreich hineingeboren. 1885 war der Konstitutionalismus in Österreich noch jung. Selbst die Verfassung 1867, welche die konstitutionelle Monarchie begründete, war noch vom monarchischen Prinzip geprägt. Sie hatte noch einen Kaiser, der als einziges Subjekt der Staatsgewalt diese vollständig und unmittelbar in seiner Person vereinigte. Die Vermutung sprach für seine Zuständigkeit und Unbeschränktheit. Das war das monarchische Prinzip.
Die Rechtstellung des Monarchen war im Art. 1 des Staatsgrundgesetzes über die Regierungs- und Vollzugsgewalt vom 21. Dezember 1867 besonders festgelegt:
„Der Kaiser ist geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich.“ Damit kam der theokratische Anspruch des Kaisers, der sich von Gottes Gnaden verstand, und seine religiöse Bewertung zum Ausdruck. Das Staatsoberhaupt gehörte zur sakralen Sphäre und war sakrosankt. Das patrimoniale Staatsdenken wurde durch die fast 70jährige Regierung Franz Josefs konserviert. Die österreichisch-ungarische Monarchie war der letzte Ausläufer eines mittelalterlichen Reiches in der Welt moderner Staaten. Der Kaiser herrschte nicht nur, er regierte auch. Die mystische Vorstellung vom Kaiser mit einem umfassenden religiös-sakralen wie weltlichen Anspruch war mittelalterlich. Die Verbindung des Hauses Österreich mit der römischen Kaiserkrone war Tradition. Auch nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches blieb diese Tradition. Kaiser blieb Kaiser. Österreich blieb „Kaiserreich“, Wien die „Kaiserstadt“. Franz Joseph, war für viele Generationen der Übervater, ohne den man sich das Vielvölkerreich nicht hatte vorstellen und den man auch nicht leicht hätte stürzen können. Die Idee des Gottesgnadentums, bis ins Mittelalter zurückreichende Majestätsrechte und die Identität von Haus und Reich waren für Zeßner Tradition und Verpflichtung. Der übernationale, überparteiliche und überzeitliche Monarch war Symbol des Reiches. Für Zeßner rückte Karl als Individuum in diese Institution ein. Autorität und Legitimität waren bei ihm. Zeßner hatte keine nostalgische Schwärmerei für Franz Joseph. Sein Kaiser war Kaiser Karl. Sein Kaiser war „der Kaiser, der niemals stirbt“, wie es im „Ottokar“ Grillparzers heißt. Daher sah er im Knaben Otto seinen Kaiser.
Aber die Gesellschaft hatte sich vollkommen verändert. Kaiser Karl selbst war zwar von seiner Herrscherwürde durchdrungen, aber einen Anspruch auf Herrschaft und Regierung wie Franz Joseph konnte er nie verwirklichen. Die Realität war anders geworden. Er selbst war nicht ein Franz Joseph. Er hatte von Anfang an in der Bevölkerung nicht dessen Autorität, die ja auch erst im Laufe der Zeit groß geworden war. Den Rest an Autorität, den er hatte, konnte er aus mehreren Gründen nicht halten. Eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung vertraute ihm immer weniger. Vielleicht hätte ein sofortiger Sonderfrieden nach seinem Amtsantritt 1916 genützt, er hätte aber auch zu bürgerkriegsähnlichen Situationen und zu einem noch früheren Ende des Vielvölkerreiches führen können.
„Während der schicksalhaften Tage vor der „Nicht-Abdankung“ des Kaisers am 11. November 1918 siegte die normative Kraft des Faktischen über nostalgische Erinnerungen. Die Ereignisse in Deutschland und der Umsturz der öffentlichen Meinung in den österreichischen Kronländern und auf den Straßen Wiens trugen das Ihre bei.
Im unmittelbaren Anschluss an die Abdankung Kaiser Wilhelms II. und die Proklamation der Republik am 9. November in Berlin beschloss der österreichische Staatsrat am 11. November, der Provisorischen Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf zuzuleiten, der Österreich zu einer demokratischen Republik und zu einem Bestandteil der neuen deutschen Republik machen sollte.“[1] Am 9. November versicherte aber Prälat Hauser, der Sprecher der Christlichsozialen Partei Kardinal Piffl, dass die Christlichsozialen immer noch der monarchischen Idee verpflichtet seien. Kaiser Karl seinerseits vertraute darauf, dass nach einiger Zeit eine Mehrheit der Bevölkerung wieder „kaiserlich“ werden würde. Sein Manifest vom 11. November 1918 lautete dementsprechend wie folgt: „Seit meiner Thronbesteigung war ich unablässig bemüht, meine Völker aus den Schrecknissen des Krieges herauszuführen, an dessen Ausbruch ich keinerlei Schuld trage. Ich habe nicht gezögert, das verfassungsmäßige Leben wieder herzustellen und Ich habe den Völkern den Weg zu ihrer selbstständigen staatlichen Entwicklung eröffnet. Nach wie vor von unwandelbarer Liebe für alle Meine Völker erfüllt, will Ich ihrer freien Entfaltung Meine Person nicht als Hindernis entgegenstellen. Im Voraus erkenne ich die Entscheidung an, die Deutsch-Österreich über seine künftige Staatsform trifft. Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierung übernommen.
Ich verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Gleichzeitig enthebe ich Meine österreichische Regierung ihres Amtes. Möge das Volk von Deutsch-Österreich in Eintracht und Versöhnlichkeit die Neuordnung schaffen und befestigen. Das Glück Meiner Völker war von Anbeginn an Ziel Meiner heißesten Wünsche. Nur der innere Friede kann die Wunden dieses Krieges heilen.“
„Dieses Manifest war der letzte offizielle Akt des Hauses Habsburg-Lothringen Österreich betreffend, dessen Geschicke es mehr als sechs Jahrhunderte hindurch gelenkt hatte, und es war ein würdiges Dokument. Es legte die Betonung mehr auf Frieden als auf Krieg, mehr auf Liebe als auf Trotz Bieten, mehr auf Heilen als auf die Wunden und fasste damit in sehr zutreffender Weise die Regierung Kaiser Karls zusammen.“[2] Die Formulierung, die auf Ignaz Seipel zurückgehen soll war vornehm gestaltet, aber sie ließ unterschiedliche Auslegungen zu. Das Manifest war jedenfalls nach der Absicht Karls und nach der Form nach keine Abdankung des Kaisers.
Eines dürfte klar sein: Karl hat weder die Republik noch den Anschluss an die Deutsche Republik gewollt. Möglicherweise hat er bei den Siegermächten auch das Anschlussverbot an Deutschland unterstützen lassen.
Obwohl Karl ein Friedenskaiser war und viele Versuche, Frieden zu schließen, machte, war er doch auch oberster Kriegsherr und Heerführer gewesen. Ein hoher Militär sagte zu Kaiser Karl: „Majestät, so führt man keinen Krieg.“ Die Monarchie ging vor allem auf den Schlachtfeldern zugrunde. Die Armee zerfiel. Der Waffenstillstand wurde nach einer beschämenden Niederlage beschlossen. Kaiser Karl wurde der Kaiser, den niemand (mehr) wollte. Aber er verstand sich als Kaiser von Gottes Gnaden und als solcher glaubte er, nicht abdanken zu dürfen. Durch seine Seligsprechung 2004 – Papst Johannes Paul II., hatte seinen Vornamen Karel in Erinnerung an ihn erhalten – ist der sakrale Charakter seines Herrschertums geradezu kirchlich bestätigt worden. Aber letztlich hat ihn auch die katholische Kirche im Stich gelassen.
Am 24. März 1919 erließ der Kaiser im Exil ein Manifest, in dem er alle ihn und sein Haus betreffenden Verfügungen seitens der deutsch-österreichischen Regierungen und Nationalversammlungen "für null und nichtig" erklärte und damit auch die von Seipel ausgearbeitete Formel, derzufolge er zugesagt hatte, sich der Entscheidung des deutsch-österreichischen Volkes über seine Staatsform beugen zu wollen, widerrief. Das Volk war ja nicht gefragt worden. Dieser Mangel der Legitimation war Zessners tiefe Überzeugung.
Der Antrag der deutsch-österreichischen Regierung zur Ausrufung der Republik am 12. November 1918 habe eine Entscheidung vorweggenommen, die doch vom ganzen Volk hätte gefällt werden sollen; die Provisorische Nationalversammlung habe, als sie diese Vorlage unter dem „Druck der Straße“ annahm, kein Mandat vom Volk gehabt, und so sei auch die Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung vom Februar 1919 „unter dem Zeichen des Terrors“ vor sich gegangen. Damit war sie nach Karls und Zessners Auffassung ein erzwungener Staatsakt.
Dieses letzte Manifest war nur dem Papst und einigen Staatsoberhäuptern übermittelt worden, im Übrigen wurde es geheim gehalten.[3]
In der zweiten Septemberhälfte 1919 erhielt Seipel einen Brief aus der Villa Prangins, geschmückt mit den sogenannten gemeinsamen Wappen der ehemaligen Monarchie.
„Lieber Dr. Seipel! Ich weiß es: Der Weg, der zu Österreichs Glück und Freude führt, ist beschwerlich; ich sehe aber Österreichs Volk wieder diesen Weg suchen, den es in den Novembertagen1918 Mir zum Schmerze, ihm zum Unglück verlassen hat. Ihrem Bericht und später Ihren hierher gelangten Nachrichten habe ich entnommen, dass sich in Österreich ein Aufschwung der Geister vollzieht, dass sich das Volk von den Wehen der Revolution zu befreien trachtet, dass es sich wieder nach Recht und Ordnung sehnt und in diesem Drange immer mehr Meiner gedenkt, Der auch fern der Heimat nicht aufgehört hat, die teure Scholle und ihr Volk zu lieben.
Ich wünsche Ihren so anerkennungswerten Bemühungen um einen guten Ausgang der Wahlen den besten Erfolg und spreche Ihnen und allen Meinen Getreuen für dieses Werk Meinen herzlichen Dank aus. Ich werde Mich freuen, als bald wieder von Ihnen zu hören. Ihr wohlgeneigter Karl.“
Seipel hat von diesem Brief nie irgendeinen Gebrauch gemacht.[4] Die Frage „Wenn man den Kaiser weglässt, ist es schon eine Republik?“ konnte von Hermann Bahr gestellt werden, nie aber hätte sie von Zeßner gestellt werden können.
In der Zweiten Republik ist viel erreicht worden, vor allem materiell. Wir sind zu einem der friedlichsten und reichsten Staaten der Welt geworden. Sozialer Friede und soziale Gerechtigkeit gehören zum Grundkonsens. Aber wurden wir eine Republik?
Republik bedeutet mehr als Nicht-Monarchie. Der Begriff definiert das Gemeinwesen als Summe aller Bürger. Als solche ist res publica immer auch res populi. Die Ämter und der Staat als Ämterordnung sind keine res privata, sondern res publica. Der einzelne soll sich als pars rei publicae, als Teil und Träger des Ganzen verstehen, das die gemeinsame Sache aller und jedes Menschen ist. Jeder muss sich selbst als Souverän verstehen und seine Pflicht und Verantwortung als Souverän wahrnehmen. Jeder ist Privatmensch, wo er in Ruhe gelassen sein will und Citoyen, wenn er tätig für das Gemeinwesen ist. Republikanisch ist es, Gemeinsinn und Freisinn in sich zu vereinigen. Republik ist eine Rechtsgemeinschaft von Freien und Gleichen zum Ziele des Gemeinwohls.
Republikanisch ist die umfassende Gewaltenteilung mit checks und balances, republikanisch ist das bonum commune, das Gemeinwohl als Ziel des Gemeinwesens, republikanisch ist die Zugänglichkeit aller Ämter für alle, Begrenzung der Ämter nach Gegenstand, Raum und Zeit durch Recht, Verantwortlichkeit und Abberufbarkeit aller Amtsträger.
Die Architektur Staatsrechtes setzt das republikanische Verhalten voraus. Aber die Gebäude, in denen der Staat mit seinen Amtsträgern sitzt, sind monarchisch und wirken monarchisierend, nicht zuletzt auch für ihre Nutzer.
Unsere Kulturbauten und Denkmäler sind monarchischer Herkunft. Manche Universitäts-, Amts- und Schulgebäude und das Museumsquartier in Wien sind Ausnahmen. Die Selbstdarstellung der Republik ist nicht berühmt. Das Republik-Denkmal führt eine marginale Existenz am Wiener Ring, vom „Staatsgründerdenkmal“ im Schweizergarten im Dritten Wiener Gemeindebezirk ganz zu schweigen. „Die Republik selbst hat es nie zu Repräsentationsbauten gebracht“.[5] So wie der Bundespräsident in allen Werken des österreichischen Staatsrechts die Republik als „Nichtmonarchie“ charakterisiert und auszeichnet, kann man mit Erhard Busek ironisch bemerken, „dass lediglich die Bundespräsidentengruft am Zentralfriedhof als Zeichen der Republik bleibt.“
Die neuen Machthaber haben sich 1918 und die folgenden Jahrzehnte nie durch eine Volksabstimmung die direkte Legitimation vom Volk und durch das Volk geholt. Sie haben sich der Technik des Einsiedlerkrebses bedient und alle politischen Institutionen und Gebäude besetzt. Die politischen Parteien haben als faktische Machtnachfolger den neuen Staat „gemacht“. Die normative Kraft des Faktischen hat gewirkt. Volksabstimmungen fanden nie statt. Die stattfanden, 1938, 1978, 1994, waren nicht Volksabstimmungen zur Legitimation einer demokratischen Republik. Je länger man Österreich kennenlernt, desto mehr kommt einem zu Bewusstsein, wie viel die Republik Österreich den Habsburgern verdankt und wie kleinlich und undankbar sie sich gegenüber der Familie Habsburg verhält. Je besser man Österreich kennt, desto mehr wird einem bewusst, wie sich andererseits die neuen Machtträger durchaus monarchisch verhalten. Die Monarchie setzt sich nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch in vielfacher Weise in der Republik fort. Was würde Zeßner dazu sagen?
Zeßners Vermächtnis könnte lauten:
„Die Republik Österreich dankt der Monarchie und dem Haus Habsburg. Alle die das Haus Habsburg betreffenden diskriminierenden Regelungen werden aufgehoben.“
Erhard Busek hat den Begriff „Die unvollendete Republik“ geprägt und daraus schon 1968 ein Buch gemacht. Sie ist seither nicht vollendet, aber reifer geworden. Freilich hat sich eine Untertanenmentalität mit Brot und Spielen zufrieden gegeben, zu lange wurde der Staat als Selbstbedienungsladen zur privaten Bereicherung angesehen, zu lange wurden von der Politik Staat, Wirtschaft, Medien und Öffentlichkeit feudalisiert, zu lange wurde die res publica als res privata verstanden. Der Tugendkatalog einer Republik steht kaum in Diskussion. Diverse Strafprozesse und Untersuchungen, Reportagen und Berichte zeigen zu oft die Untugenden der Republik. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche ist praktisch ein Hindernis für republikanische Tugenden.
Trotzdem: Sind Solidarität, kritisches Engagement und individuelle Verantwortungsbereitschaft für die Gemeinschaft wirklich geringer geworden? Die Spendenfreudigkeit und das Einsetzen für andere sind verbreiteter als je zuvor. Die österreichische Erbsünde, wonach jeder nur aufschreit, wenn ihm auf die Zehen getreten wird – auch das war einmal ein Fortschritt – wird mehr und mehr durch ein Engagement für andere ergänzt, wenn diesen ein Unrecht geschieht. Die neue Zivilgesellschaft mit ihrem oft noch selektiven Engagement für „anderes Unrecht“ bedeutet ein Mehr an Republik zu früher, wo jede(r) sich nur um ihre (seine) Sache gekümmert, nur um „sein“ oder „ihr“ Recht gekämpft hat oder überhaupt sich passiv verhalten hat und sich praktisch als Nation der Resignation konstituiert hat. Wut- und Mutbürger, Blogger und Okkupeier prägen die Gegenwart.
Aber das Bild des Bundespräsidenten schmückt noch immer wie ein Kaiserbild Schulen und Ämter. Die schönste Bestimmung der österreichischen Rechtsordnung: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte“….. (§16 AGBG 1811) gilt schon seit 200 Jahren. Aber sie ist leider noch immer nicht als Grundsatz in jeder Schulklasse und in jedem Amtszimmer zu lesen. Warum nicht? Österreich ist – doch – eine demokratische Republik. Ihr Recht geht – doch – vom Volk aus. Oder?
Fußnoten
[1] John W. Boyer, Karl Lueger, Wien, Köln, Weimar 2010, S. 403, 406f
[2] Clemens von Klemperer, Ignaz Seipel, Graz-Wien-Köln 1976, S. 80 Wiener Witzbolde bezeichneten das Manifest Karls als „Manischwach“. Karl hat aber möglicherweise durch das Manifest einen Bürgerkrieg verhindert.
[3] Karls Sekretär Baron Karl von Bergmann schreibt in diesem Zusammenhang, dass Seipel das letzte Manifest als in fast allen Punkten schlagkräftig bezeichnete und damit sein eigenes überholt sei.
Laut Klemperer besteht guter Grund zur Annahme, dass die vertraulichen Gespräche Seipels bei Karl in Prangis nicht restlos befriedigend gewesen sind. Es war in einer seiner Unterredungen mit dem Kaiser, dass Seipel sich der Metapher von der Maske, die er in den nächsten zehn Jahren tragen müsse, bediente. In Wirklichkeit habe er sich wohl hinter mehreren Masken verborgen und Kaiser Karl selbst müsse sich wie so mancher Österreicher gefragt haben, wer wohl der echte Seipel war. Klemperer a.a.O. S. 121
[4] Kemperer a.a.O.
Seipel gehörte der provisorischen Nationalversammlung nicht an; insofern hatte er während „Revolution“ Beobachterstatus. Im Februar 1919 wurde er ins Parlament gewählt. Im Juni 1920 wurde er Obmann des christlich-sozialen Parlamentsklubs und im Juni 1921 auch Parteivorsitzender, eine Funktion, die er bis 1930 beibehielt. Erstmals war Seipel 1922-1924 Bundeskanzler, dann noch ein zweites Mal 1926-1929. In seiner ersten Amtszeit gelang es ihm Währung und Wirtschaft zu sanieren. Allerdings führte das zum Abbau von fast 100.000 Staatsbeamten und Bundesbahnbediensteten. Die Krise im Juli 1927, als in Wien Unruhen ausbrachen, wie sie seit dem März 1848 nicht mehr erlebt worden waren, mit mehr Opfern als alles, was während der Revolutionsjahre 1918, 1919 geschehen war, machte ihn zum „Prälaten ohne Milde“. 1929 trat er im April zurück. Er machte sich Hoffnungen auf eine Nominierung durch seine Partei für das Amt des nunmehr direkt gewählten Bundespräsidenten, aber die Partei entschied sich für Miklas. Am 2.August 1932 starb er.
[5] Erhard Busek, Die unvollendete Republik, in: Das Republikanische Prinzip in Österreich, Graz 2000, S. 16; Alfred Noll-Manfried Welan, Die Abgelegene, Wien 2010