Meint Islam Krieg oder Frieden?#
Karl Prenner
Der Diskurs um den Stellenwert von Gewalt, Krieg und Frieden im Islam hat sich vor allem in den letzten Jahren durch die Zunahme von Selbstmordanschlägen und Aufrufen zum Dschihad (wörtlich „Einsatz für den Islam und die Muslime“, auch in der Bedeutung von „kämpfen“) verstärkt: „Ist der Islam eine Religion der Gewalt, des Krieges oder aber des Friedens?“, lautet die immer wieder gestellte Frage.
Das Problem liegt einerseits darin, dass der Koran die Kämpfe des Propheten und seiner Anhänger mit den Polytheisten, Juden und Christen Arabiens reflektiert; in diesem Zusammenhang haben verschiedene Haltungen, nicht nur Aufrufe zum Kampf, sondern auch solche zum Frieden Eingang gefunden.
Andererseits wird aber der Koran traditionellerweise nicht historisch-kritisch interpretiert, sodass man einfach sagen könnte, diese oder jene Aussage ist zeitbedingt und daher für heutige Verhältnisse nicht mehr von Relevanz.
Muslime gehen heute überwiegend davon aus, dass die Aufforderungen des Koran zum Kämpfen nur im Sinne der Verteidigung zu verstehen seien, denn dieser betont ja, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werden könne, wobei eine offensive Auslegung gewisser Koranstellen umstritten ist. Dazu kommt noch, dass Gelehrte aus den koranischen Vorgaben und der Tradition, die Dschihad vorwiegend im Sinne von Kampf interpretiert, ein System erarbeitet haben, nach welchem die Welt in ein „Gebiet des Islam“ und ein „Gebiet des Krieges“ (nicht islamisches Gebiet) eingeteilt wird. Das islamische Gebiet sei nach dieser Doktrin ständig zu erweitern durch einen offensiv geführten Dschihad; erst wenn die gesamte Welt der Islamischen Herrschaft unterworfen ist, kehrt Friede ein.
Dieses Modell wird in der Gegenwart vor allem von radikaleren politischen Gruppen vertreten, die auch Dschihad im Sinne von „Nur-Verteidigung“ ablehnen. Einschlägige Koranverse, die zum Kampf auffordern, werden von solchen Gruppen in einer Art und Weise aktualisiert und als Legitimation für Kampfhandlungen genommen, dass sie in zentralen Aspekten der traditionellen Praxis widersprechen. Im schiitischen Islam verbindet sich der Dschihad vor allem mit dem Wiederkommen des Mahdi, welches sich durch gewisse „Vorzeichen“ ankündigt. Im Hintergrund dieses Problemkreises steht die Frage nach der politischen und gesellschaftlichen Rolle des Islam.
Ein weiterer Aspekt hierbei ist, dass der sunnitische Islam über keine verbindlichen Instanzen verfügt, was sich dann auch entsprechend auf die Legitimation bzw. Nicht-Legitimation von Selbstmordattentaten, die der Islam traditionellerweise ja verbietet, auswirkt.
Alles in allem kann gefolgert werden, dass der Islam in seinen authentischen Quellen sehr wohl das kämpferische Element verankert hat, es jedoch den einzelnen Bekennern dieser Religion dann zukommt, wie sie ihre authentischen Schriften interpretieren, wie sie mit den Aussagen über Gewalt, Kampf, Krieg und Frieden praktisch umgehen. Von der Vielfalt diesbezüglicher muslimischer Sichtweisen her zeigt sich, dass der Islam eine sehr heterogene und breit gefächerte Größe darstellt.
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: