Gewinnt China das Wettrennen um die Künstliche Intelligenz?#
Die bisherige Performance ist auf den ersten Blick beeindruckend. Doch wenn man dahinter blickt, zeigen sich bisher nur bescheidene Durchbrüche. Die Achillesferse sind die Halbleiter.#
Von der Wiener Zeitung (29. Juli 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Bernhard Seyringer
Im Juli 2017 veröffentlichte die chinesische Regierung ihren "New Generation Artificial Development Plan" (AIDP) mit dem unbescheidenen Ziel, China bis zum Jahr 2030 zur weltweit führenden Nation im Bereich KI (Künstliche Intelligenz - "ren gong zhi neng") zu entwickeln. Seit Xi Jinpings Machtübernahme im Jahr 2013 ist China sehr aktiv in der Veröffentlichung derartiger Innovations- und Entwicklungspläne: Im Jahr 2014 wurde ein Plan zur Weiterentwicklung der Halbleiterindustrie veröffentlicht, es folgten "Internet +" sowie das Hightech-Industrieprogramm "Made in China 2025" (MIC) im Jahr 2015.
Der AIDP betont eine dreistufige Entwicklung für Chinas KI-Sektor: Bis 2020 sollten die Wettbewerbsfähigkeit in unterschiedlichen Bereichen der KI ausgebaut und neue technologische Standards gesetzt sein. Bis 2025 soll China mindestens einen zentralen Durchbruch in der KI-Basisforschung erreicht und in wesentlichen Anwendungsgebieten die globale Führerschaft übernommen haben. Bis 2030 soll China zum globalen Innovationszentrum für KI gereift sein.
Fast unbegrenzte Datenmengen als globaler Wettbewerbsvorteil#
Chinas Performance der vergangenen Jahre ist tatsächlich beeindruckend: Das Marktpotenzial von KI wird laut OECD auf bis zu 130 Milliarden Dollar geschätzt, und chinesische Start-ups konnten einen Anstieg von 3 Prozent im Jahr 2015 auf 36 Prozent der globalen KI-Start-up-Investitionen im Jahr 2017 für sich verbuchen. Auch die Anzahl an Patenten und die Steigerung der Publikationsindizes in wissenschaftlichen Journalen chinesischer Wissenschafter sind auf den ersten Blick beeindruckend. Allerdings, wie eine Studie der Tsinghua Universität aufzeigt, sind mehr als die Hälfte der zitierten Artikel in Kooperation mit nicht-chinesischen Wissenschaftern entstanden.
Neben der dokumentierten Bereitschaft Chinas, mit gigantomanischen Entwicklungsplänen und Investitionen in F&E den wissenschaftlichen Output zu erhöhen, gilt die Verfügbarkeit fast unbegrenzter Datenmengen als globaler Wettbewerbsvorteil. Der Zugang zu Daten ist auch ein zentraler Hintergrund für das Vorantreiben der "Digitalen Seidenstraße" und die Finalisierung des Satelliten-Navigationssystems Beidou (Kompass) im Juni 2020. Dieser Wettbewerbsvorteil schwindet allerdings, da einerseits die Relevanz der Datenquantität abnimmt und andererseits die Bedeutung von "synthetischen Daten" zu Trainingszwecken für maschinelles Lernen stark zunimmt.
Mangel an KI-Expertise - Investitionen außerhalb Chinas#
Die Veröffentlichung des AIDP hat zu einer Gründungswelle an Wissenschafts- und Innovationsparks, wie etwa dem Artificial Intelligence Research Center in Peking 2018, dem Zentrum für militärisch-zivile Zusammenarbeit in Tianjin oder einiger Institute im Speech Valley in Hefei, geführt. Das muss als positiver Vertrauensindikator für den nationalen Talente-Pool gewertet werden. Andererseits investieren große Unternehmen wie Alibaba, Baidu oder Tencent verstärkt in Forschungszentren außerhalb Chinas: Selbst der Investmentfond hinter dem Modell-Innovationspark in Peking, Zhongguancun Capital (ZGC), tätigt Investitionen bevorzugt im Silicon Valley oder in Boston und Heidelberg.
Gegenwärtig sind nur weniger als 5 Prozent der globalen KI-Experten in China beheimatet, und die dominante Position des Landes in manchen kommerziellen Anwendungsgebieten liegt nach wie vor im Zugang zu internationalen Märkten, Technologie und Forschung begründet.
Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen DJI: Der chinesische Anbieter von KI-basierten Drohnensystemen, der auch die New Yorker Polizei beliefert, hat einen globalen Marktanteil von 74 Prozent und ist eine vielfach zitierte Fallstudie für chinesische Fortschritte in KI. Die Tatsache, dass die gesamte Software für DJI in Palo Alto programmiert wird, wird dabei oft übersehen.
Open-Source-Software als Innovationsvoraussetzung#
Im Allgemeinen wird die Verfügbarkeit von Plattformen für Open-Source-Software im KI-Bereich als notwendige Innovationsvoraussetzung für unterschiedliche Anwendungsgebiete betrachtet. Gegenwärtig sind mehr als zwei Drittel davon in den USA beheimatet. Obwohl die Innovationsparks in China mit starken Leitunternehmen wie Alibaba in Hangzhou oder iFlytek in Hefei und Instituten aus der Gruppe chinesischer Eliteuniversitäten, wie der Universität Peking oder der Tsinghua Universität (Chinas Gegenstücken zu Harvard und MIT), ausgestattet sind, konnten bisher nur bescheidene Durchbrüche erzielt werden. Ein Bericht der China Academy of Information and Communications Technology (CAICT), einem sehr einflussreichen Thinktank, beklagt, dass die Entwicklung von KI-Anwendungen nach wie vor auf Google und Microsoft basiert.
Die eigentliche Achillesferse chinesischer Hochtechnologie-Ambitionen ist der Mangel an Produktions- und Designkapazitäten für KI-taugliche Halbleiterbauteile. In der Entwicklung dieser besonders hochwertigen Chips halten US-Unternehmen eine globale Monopolstellung. Auch durch die Neugründung von Chip-Design-Unternehmen, wie HiSilicon durch Huawei oder Pingtouge durch Alibaba, bleibt das Problem, dass alle KI-tauglichen Chips bei TSMC in Taiwan gefertigt werden müssen.
Der größte Halbleiterproduzent Chinas, SMIC (Seminconductor Manufacturing International China), hinkt nach aktuellem Forschungsstand etwa zwei Generationen (also drei Jahre) dem Stand führender Produktionstechnik hinterher. Trotz massiver staatlicher Subventionierung von bis zu 30 Prozent der jährlichen Aufwendungen würde es nach unterschiedlichen Expertenschätzungen Jahre dauern, bis China zum Weltmarktführer TSMC aufgeschlossen hätte. Der 2014 etablierte Plan zur Entwicklung der Halbleiterindustrie konnte bisher nur den Anteil an weniger anspruchsvollen Halbleitern von 15 Prozent auf ungefähr die Hälfte (2019) erhöhen. Der MIC hat das Ziel der Eigenproduktion von in China verwendeten Chips auf 80 Prozent für das Jahr 2030 festgelegt.
Viele Entwicklungsrückstände der chinesischen KI-Chipindustrie liegen aber einfach darin begründet, dass die Entwicklung auf die steigende Nachfrage nach technisch weniger-anspruchsvollen Überwachungsaufgaben ausgerichtet ist. Oder, wie im Fall von Alibabas Hanguang-800-Chip, für Cyberkriegsaufgaben optimiert werden.
Militärische Anwendungen und Massenüberwachung#
Da China das globale Umfeld stets aus dem Blickwinkel der Sicherheit evaluiert, ist es unwahrscheinlich, dass die Fokussierung auf KI aus rein wirtschaftspolitischen Überlegungen getroffen wurde. Vielmehr haben die chinesischen Streitkräfte KI als Möglichkeit identifiziert, um in unterschiedlichen Anwendungen die militärische Dominanz der USA zu gefährden. Die Strategie, den Schwächen eines militärisch überlegenen Gegners mittels technologischer Überlegenheit - asymmetrisch - zu begegnen, wurde bereits Mitte der 1990er Jahre unter Jiang Zemin entwickelt.
Entscheidend ist KI auch für die Weiterentwicklung des "Social Credit"-Systems ("Shehui Xinyong Xitong"): Dabei handelt es sich um ein System der Massenüberwachung, das vor allem mit dem Unternehmen Sensetime in Verbindung steht. Dieses wurde zwar plangemäß 2020 fertiggestellt, aber ohne technologische Durchbrüche bleibt es nur ein lückenhaft funktionierendes System an "schwarzen Listen", das auch in China unter dem Label "Smart City" vorangetrieben wird.
KI ist eine Basistechnologie, deren Anwendung von Spracherkennung bis zu selbständig agierenden Drohnenschwärmen reicht und daher keine analytische Kohärenz aufweist. Betrachtet man aber die Leistungsfähigkeit der zentralen Bausteine des KI-Systems, wie Datenverfügbarkeit, Talent, Software-Plattformen und Hardware, wird klar, dass vom vielzitierten Vorsprung Chinas im KI-Bereich keine Rede sein kann. Es handelt sich um einen teilweisen Vorsprung in Anwendungsgebieten der Sicherheitstechnik, ansonsten um eine geplante Aufholjagd, die unter Bedingungen des "strategischen Wettbewerbs" mit den USA deutlich erschwert werden dürfte.