Robert von Lieben und sein Telefonverstärker #
Serie Jüdischer Erfinder, Teil II#
Mit freundlicher Genehmigun übernommen aus der Zeitschrift DAVID Nr. 125 (Oktober 2020)
Von
Ingrid Prucha
Robert von Lieben kam am 5. September 1878 in Wien als Sohn von Leopold von Lieben und Anna von Lieben, geborene Todesko, zur Welt. Sein Vater war Börsenkammerpräsident, die Mutter Schriftstellerin und Salonière. Die Kindheit verbrachte Robert von Lieben wohlbehütet nicht nur in Wien im väterlichen Palais, nahe dem Burgtheater, in der Oppolzergasse 6, und im Palais Todesko, in der Nähe der Staatsoper, sondern auch in der elterlichen Villa in der Hinterbrühl nahe Mödling. Sein Hauptinteresse galt von Beginn an physikalisch technischen Themen, insbesondere Experimenten. So widmete er sich schon als Jugendlicher der Elektrifizierung und Beleuchtung der Villa. Diese Interessen waren auch deutlich stärker ausgeprägt als das Schulinteresse: nach mehrmaligem Schulwechsel schloss Robert seine Schulzeit ohne Matura ab. Bald danach meldete er sich freiwillig zum Militär, erlitt jedoch nach kurzer Zeit bei einem Reitunfall so schwere Verletzungen, dass er aus dem Militärdienst wieder ausscheiden musste. Die Folgeerscheinungen des Unfalls bestimmten fortan sein Leben. Durch die Krankenhausaufenthalte inspiriert, entwickelte er in dieser Zeit eine Vorrichtung zur Augen-Diagnostik. Sein weiteres Leben prägten der Besuch von Physikvorlesungen an der Universität Wien, das Volontariat bei Siemens & Schuckert in Nürnberg und ganz besonders ein Jahr in Göttingen. Dort besuchte von Lieben 1899 das Physikalisch-Chemische Institut, dessen Vorstand Prof. Walter Nernst sein weiteres Wirken wesentlich beeinflussen sollte.
Nach Wien zurückgekehrt gründete Robert von Lieben sein eigenes Laboratorium, ermöglicht durch die elterliche finanzielle Absicherung. Im väterlichen Palais situiert, führte er seine Experimente fort und widmete sich dabei besonders weiterführenden Versuchen zum Thema Gasentladung und Elektronenstrahlen. Parallel dazu kaufte er 1904 eine Telefonfabrik in Olmütz (heute Olomouc, Tschechische Republik), die er mit Eugen Reisz leitete und 1910 wieder verkaufte. Aus dieser – noch verstärkerlosen – Zeit kannte er das Problem der geringen Reichweite von Telefongesprächen.
Um von Liebens Arbeit an der von ihm konzipierten Röhre richtig einschätzen zu können, lohnt sich jetzt ein kurzer Blick auf die Situation der Physik gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Viele Physiker und Erfinder beschäftigten sich zu dieser Zeit mit sogenannten Gasentladungsröhren, um die Stromleitung in verdünnten Gasen zu untersuchen. Diese ist mit unterschiedlichsten Erscheinungen verbunden: wird der Druck in den speziell geformten Glasröhren mittels einer Pumpe vermindert, so entstehen – je nach Gasfüllung – verschiedenfärbige Leuchterscheinungen zwischen den Elektroden, meist als Glimmlicht bekannt. Bei vollständiger Evakuierung beginnt die Glaswand selbst grünlich zu fluoreszieren. Ferdinand Braun entwickelte zeitgleich die später nach ihm benannte Kathodenstrahlröhre. Arthur Wehnelt verbesserte im Weiteren diese Röhre durch eine Beschichtung der Kathode mit Kaliumoxid.
Die Entwicklung der Lieben-Röhre #
Ab 1905 begann von Lieben nach einer Verstärkerapparatur zu suchen. Für die Telegrafie gab es bereits ein Relais, einen elektromagnetischen Schalter. Daraus resultiert übrigens auch die Bezeichnung „Telefonrelais“, eine sehr lange fälschlich im Gebrauch befindliche Bezeichnung der Lieben-Röhre. Schon 1906 meldete von Lieben sein erstes Patent (DE 1798073) an. Im ersten Absatz wird der Zweck des Patents wie folgt formuliert: „Die vorliegende Erfindung bezweckt, mittels Stromschwankungen kleiner Energie solche von grosser Energie auszulösen“. Dazu verwendete er eine Braun‘sche Röhre mit Wehnelt-Kathode, den Elektronenstrahl steuerte er elektromagnetisch. Dabei bereiteten jedoch vor Allem die Evakuierung und die mangelnde Steuerleistung noch grosse Probleme.
Das folgende Patent von 1910 (Lieben, Strauss, Reisz DE 236716) beschreibt den Verstärkereffekt mit einer Raumladungswolke zwischen zwei Elektroden, die vom magnetisch abgelenkten Elektronenstrahl beeinflusst wird. Noch im selben Jahr folgt Patent DE 249142 – das sogenannte Gitterpatent – für ein „Relais für undulierende Ströme“. Darin wird eine leistungslose, elektrostatische Steuerung des Elektronenstroms mit Hilfe eines Gitters aus Aluminium (dieses kannte er aus einem Patent deForests) beschrieben. Durch Hinzufügen eines kleinen Röhrchens mit Quecksilber-Amalgam zur Kontrolle des Dampfdrucks in der Röhre (Patent DE 254588 von 1911) war es dann endlich soweit, die Röhren in Serie zu fertigen. Im darauf folgenden Jahr wurde dazu das Lieben – Konsortium, bestehend aus AEG, Siemens&Halske, Telefunken und Felten&Guillaume für die kommerzielle Nutzung der Röhren gegründet. Die Produktion der endgültigen Ausführung (DRP 264554, Patent der AEG von 1912) geschah vorerst im AEG Kabelwerk Oberspree/ Berlin und im Weiteren auch bei Siemens. Diese Röhren wurden noch im Ersten Weltkrieg verwendet, die Produktion jedoch 1922 eingestellt.
Robert von Lieben war nicht der Einzige, der zum Thema ‚Verstärkerwirkungen von Entladungsröhren’ forschte und experimentierte. So erhielt der Amerikaner Lee deForest schon in den Jahren 1906 (US 841387) und 1907 (US 879532) Patente für Elektronenröhren, die schon mit Hochvakuum arbeiteten, wo hingegen die Lieben-Röhren noch ein Restgas unter definiertem, geringen Druck zur Funktion benötigten, was zu einer Leuchterscheinung führte. Ferner entwickelte der Engländer Ambrose Fleming 1904 eine Vakuumröhre, die zur Gleichrichtung von Wechselströmen geeignet war (Patente GB 190424850 und US 803684).
DeForests Interessensschwerpunkt lag bei der Konstruktion für Empfangsschaltungen von drahtloser Telegrafie unter Verwendung seiner Röhren. Erst 1912 wurden seine Röhren für Telefon-Verstärker genutzt.
1911 heiratete Robert von Lieben die Schauspielerin Anny Schindler und zog in die gemeinsame Villa nach Döbling. Seine gesundheitliche Situation verschlechterte sich in den folgenden Jahren beträchtlich. Er verstarb im Alter von vierunddreissig Jahren am 20. Februar 1913 in Wien.
Die Autorin ist Mitarbeiterin der Abteilung Technische Grundlagen im Technischen Museum Wien.