Das große Screening #
Die Bekämpfung der Corona-Pandemie wird durch technologische Innovationen angetrieben. Neue Alarmsysteme sollen die Luft, das Abwasser und den menschlichen Körper überwachen. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (30. April 2020)
Von
Martin Tauss
Die Bewältigung der Corona-Krise ist mit der Steuerung eines Flugzeugs vergleichbar – das ist ein Bild, das Gesundheitsexperte Martin Sprengergern verwendet. Jedenfalls handelt es sich um einen Langstreckenflug, und das schwierigste Stück der Strecke liegt hoffentlich bereits hinter uns. „Nach der Akutphase gilt es jetzt, die gesamtgesellschaftlichen Aspekte ins Auge zu fassen, die gesundheitlichen und ökonomischen Folgeschäden sorgsam abzuwägen und die wachsende soziale Ungleichheit einzudämmen“, sagt Sprenger im Gespräch mit der FURCHE. „Wie feinkörnig die Überwachung jetzt sein soll, ist letztlich eine politische Entscheidung. Kanzler Kurz interessiert sich bei seinen Entscheidungen immer auch für die Wählermeinung. Das ist ja prinzipiell gut, wenn der Pilot wissen will, wie es den Passagieren hinten im Flugzeug geht“, so der Forscher der Med-Uni Graz, der am 7. April aus eigenem Antrieb aus der Corona-Taskforce der Bundesregierung ausgeschieden ist.
Aber nun erwartet er ein immer schärferes Bild des Infektionsgeschehens, auf dessen Basis regional abgestufte Maßnahmen sinnvoll erscheinen könnten. „Jetzt muss man sehr präzise steuern, und die Grundlagen für die Entscheidungen sollten transparent gemacht werden. Der Pilot sollte hin und wieder erklären, wo wir gerade sind und wie die Landung erfolgen wird.“ Der frühe Shutdown in Österreich war eine richtige Entscheidung, betont Sprenger rückblickend: „Man hat damals nicht gewusst, was mit dieser ersten Erkrankungswelle auf unser Land zukommt. Heute sehen wir den Erfolg dieser Maßnahmen; jetzt aber brauchen wir ein neues Cockpit.“
Wer Fieber hat, bleibt draußen #
Das bedeutet eine Weitung des „virologischen Tunnelblicks“, der mittlerweile oft kritisiert wird – aber ebenso die Schärfung dieses Blicks, um die Verbreitung des Virus immer genauer ins Visier nehmen zu können. Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen arbeiten derzeit auf Hochtouren, um dafür neue Instrumente zu entwickeln – hier drei europäische Beispiele für technologische Ansätze: So ist es Schweizer Forschern gelungen, einen neuartigen Sensor zu entwickeln, der die Virenkonzentration in Echtzeit messen kann. Um das Virus in der Luft aufzuspüren, nutzt dieser Sensor einen optischen und einen thermischen Effekt. Wenn die Coronaviren an den künstlichen DNA-Rezeptoren auf dem Sensor andocken, dann ändert sich genau dort der optische Brechungsindex – ein Phänomen, das bei metallischen Nanostrukturen zu beobachten ist.
Um sicher zu sein, dass es sich tatsächlich um das neuartige Coronavirus handelt, wird dieselbe Nanostruktur auf dem Sensor mit einer bestimmten Laserfrequenz angeregt. Dadurch entsteht Wärme, und mit der erhöhten Umgebungstemperatur steigt auch die Zuverlässigkeit des Testergebnisses: Es werden nur mehr diejenigen RNA-Stränge (das charakteristische Virenmerkmal) eingefangen, die exakt auf die DNA-Rezeptoren passen, wie Studienleiter Jing Wang von der ETH Zürich in einer Aussendung berichtet: „Unsere Tests zeigten, dass der Sensor klar zwischen den sehr ähnlichen RNA-Strängen des SARSCoV und des neuartigen SARS-CoV-2 unterscheiden kann.“ Mögliche Einsatzgebiete solcher Sensoren sind vor allem stark frequentierte Orte wie Bahnhöfe, Flughäfen oder die Lüftungssysteme von Spitälern. Noch fehlen einige Entwicklungsschritte – etwa ein System, das die Luft ansaugt, die Aerosole konzentriert und potenzielle Viren-RNA isoliert. Dann aber ließe sich das Prinzip auch bei anderen Krankheitserregern anwenden.
Ein spanisches Spin-off-Projekt wiederum hat eine wärmesensitive Kameratechnologie zur Messung der Körpertemperatur weiterentwickelt. Damit könnten Personen mit Fieber aus der Distanz erkannt werden – etwa bereits dann, wenn sie sich Eingängen nähern. Das System besteht aus drei Elementen: einer thermischen Kamera (HIGIA), einem Temperatur-Referenzmuster und einer Computer-Schnittstelle. „Das System lässt sich mit Drehkreuzen, Schleusen oder automatischen Türöffnern verbinden, ohne dass es eines persönlichen Monitorings bedarf“, erklärt Francisco Cortés, der das Projekt als Forscher an der Universität Madrid und als Geschäftsführer der Firma Sensia Solutions vorangetrieben hat. „Damit kann Personen mit erhöhter Körpertemperatur automatisch der Zutritt zu einem bestimmten Gebäude verwehrt werden.“ Seit Kurzem ist das System kommerziell verfügbar. Große spanische Firmen wie Repsol oder Iturri haben es bereits installiert, um ihre Angestellten auf Fieber zu screenen. Aber nicht nur in Spanien wird in Zeiten der Pandemie ein „Fiebertraum der Menschheit“ (Adrian Lobe) Wirklichkeit: In vielen Ländern werden Einreisende bereits an den Flughäfen von hochauflösenden Wärmebildkameras taxiert. Und in der chinesischen Provinz Wuhan schwirren nun Drohnen durch die Luft, die mittels KI-gestützter Kameras die Körpertemperatur und die Einhaltung der Maskenpflicht kontrollieren.
Im Vergleich dazu wirft der innovative Ansatz zweier österreichischer Forschungsteams keine ethisch brisanten Fragen auf. Ihnen ist es im Rahmen des „Coron-A“- Konsortiums gelungen, das Erbmaterial des neuartigen Coronavirus erstmals im Zulauf heimischer Kläranlagen nachzuweisen. Abwasser gilt zwar nicht als Infektionsquelle. In den Proben, die an der Universität Innsbruck und an der TU Wien untersucht wurden, war das Virus aber noch bruchstückhaft vorhanden.
Aufschluss über Dunkelziffer #
Mit der neuen Methode ließe sich das regionale Auftreten von SARS-CoV-2 erkennen; dabei wäre auch Aufschluss über die Dunkelziffer der Corona-Infektionen zu erwarten. Denn ein relevanter Teil der Infizierten – auch jene mit keinen oder nur milden Symptomen – scheidet das Virus über den Stuhl aus. Im Einzugsgebiet von Kläranlagen soll somit ein weiteres Screening- Instrument verfügbar gemacht werden. Ein erneutes Aufflammen der Epidemie ließe sich dadurch frühzeitig erkennen. Erfahrungen mit ähnlichen Methoden gibt es bereits von Gruppen in den Niederlanden und den USA, mit denen das österreichische Konsortium in Austausch steht.
Weitere Forschung soll nun den Zusammenhang zwischen der Virenkonzentration im Abwasser und den Infektionsraten im Zulauf der Kläranlage genauer untersuchen, etwa in den verzweigten Strängen des Wiener Kanalnetzes, das sich über insgesamt 2500 Kilometer erstreckt. Dort fließen im Schnitt rund 6000 Liter Abwasser in die Kläranlage– proSekunde. „Daraus könnte ein echtes Frühwarnsystem entstehen“, hofft die Wiener Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ).