Die Arbeit in der Wiener Unterwelt#
380 Kanalarbeiter sorgen für saubere Kanäle - von der Bevölkerung wünschen sie sich mehr Verständnis.#
Von der Wiener Zeitung (24. Juni 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Nina Flori
2400 Kilometer Kanal gilt es von Kot zu befreien. Rund 1800 Euro brutto verdient ein Kanalarbeiter. Frauen finden sich darunter keine.#
Wien. Vielleicht blickt man einmal gedankenverloren dem Badewasser nach, das langsam durch den Abfluss abrinnt. Die meisten Menschen machen sich aber kaum Gedanken darüber, was passiert, nachdem sie die Toilettenspülung betätigen. Wer befasst sich schon gerne mit Exkrementen?
Der 57-jährige Walter Wiesmair verdient seinen Lebensunterhalt mit Exkrementen. Er ist einer von rund 380 Wien-Kanal-Mitarbeitern, die dafür sorgen, dass Wiens Kanäle sauber sind und keine Geruchsbelästigung an die Oberfläche dringt. Wiesmair ist seit 28 Jahren Kanalräumer - kaum ein anderer kennt die Wiener Kanalisation so gut wie er. "Es gibt fast niemanden bei uns, der nach drei oder vier Jahren kündigt", erzählt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Entweder man geht gleich oder man bleibt."
Um sieben Uhr morgens beginnt die Tagschicht eines Kanalarbeiters. "Es ist ein harter Job: Man steht Schulter an Schulter im Dreck, aber das schweißt zusammen", sagt Wiesmair. An diesem Tag führt seine und die Tour seiner Kollegen zu einem Kanal in einer Seitengasse im 3. Bezirk. Die Straße ist zu schmal, um mit dem großen Fahrzeug, das mit einem Supersauger sowie einem 15 Tonnen fassenden Tank ausgestattet ist, zuzufahren. Die Reinigung muss deshalb händisch erfolgen.
Mit einem Helm und einer Stirnlampe ausgestattet klettert Wiesmairs Kollege, der 49-jährige Fritz Kiehtreiber, die Sprossen entlang der Kanalwand in den Kanal hinunter. Der Abstieg erfolgt immer gesichert - denn bei 47.500 Kanaleinstiegen in ganz Wien könnte leicht einmal eine Sprosse durchgerostet sein. Unten angelangt, beginnt Kiehtreiber das "Material" - wie die Arbeiter den Kot nennen - mit dem Schimmel voran zu schieben.
Gebückt wird der Kot voran geschoben#
Rund ein Drittel der Kanäle Wiens sind - wie jener in dieser Seitengasse im 3. Bezirk - nur einen Meter hoch und 70 Zentimeter breit. Unter Klaustrophobie sollte man als Kanalarbeiter daher nicht leiden. Das Vorwärtsschieben des Kots in der gebückten Haltung erfordert zudem viel Kraft in den Oberschenkeln. "Die Arbeit in den kleinen Kanälen ist schon sehr anstrengend", sagt Kiehtreiber. Vor allem mit dem Alter merke man die Belastung im Rücken und in den Gelenken. Wahrscheinlich finden sich auch deshalb keine Frauen unter den Kanalarbeitern.
Meistens arbeiten die Männer in Zweier- oder Viererketten. Es gilt das Material bis zum nächstgrößeren Kanal zu transportieren. Von dort wird es mit Schaufeln und Kübeln an die Oberfläche befördert.
Überraschenderweise ist der Gestank im Kanal nicht so penetrant, wie man meinen könnte. "Solange das Material von Wasser bedeckt wird, hält dieses den Geruch unter Verschluss", erklärt Kiehtreiber und deutet auf das 15 Zentimeter tiefe, von Kotpartikeln durchsetzte Wasser, das langsam vor sich hin plätschert. Alle 80 Meter gibt es einen Deckel, durch den der Kanal mit Frischluft versorgt wird. Wirklich zu stinken beginnt jedoch der an den Stiefeln und der Montur festgesetzte Kot, wenn man wieder an der Oberfläche angelangt ist.
"Körperpflege ist daher sehr wichtig", erklärt Wiesmair. Eine halbe Stunde Reinigungszeit ist täglich in der Arbeitszeit enthalten. Auch die Stiefel müssen gesäubert werden. Damit sie dicht bleiben, werden sie mit Robbenfett eingelassen. Etwa 15 Tonnen Material transportieren Wiens Kanalarbeiter jeden Tag aus dem Untergrund. Durch das oftmalige Umheben der einzelnen Haufen bewegt ein Mann bis zu zwei Tonnen Kot täglich. "Wenn sich Fetzen oder Strumpfhosen darunter befinden, ist es wirklich hart", sagt Kiehtreiber. Dann greift die Schaufel nämlich nicht. Etwa 1800 Euro brutto beträgt der Lohn für diese Arbeit, eine abgeschlossene Berufsausbildung ist Voraussetzung.
Etwas leichter ist die Tätigkeit mit dem Supersauger - dem "Staubsauger für Männer", wie ihn die Kanalarbeiter scherzhaft nennen. Dieser erzeugt jedoch viel Lärm, weshalb sein Einsatz vor allem zu Nachtzeiten oftmals Verärgerung ungeahnten Ausmaßes bei der Bevölkerung hervorruft: "Da fliegen nicht nur Eier, sondern sogar Aschenbecher", erzählt Wiesmair. "Die Leute glauben, dass wir den Kanal aus Jux und Tollerei in der Nacht reinigen." Den Gürtel etwa könne man aber nicht einfach am Tag sperren.
Händische Arbeit, da Maschinen zu laut#
Die Beschwerden der Anrainer haben für die Arbeiter harte Konsequenzen: "Auf der Erdberger Lände mussten wir wegen der Lärmbelästigung wieder auf händische Arbeit umstellen", erzählt Wiesmair und schüttelt den Kopf. Wie in der Steinzeit sei das. "Wir stehen im wahrsten Sinne des Wortes mitten in der Scheiße. Ein bisschen mehr Verständnis wäre da schon schön", meint er.