Die Mongolei – ein „sanftes“ Reiseziel? #
von Franz Greif
In: Land und Raum, hg. vom Österreichischen Kuratorium für Landtechnik, Heft 2/2017, S. 32-34.
Im UNO-Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung geht es wohl darum, in den von reisefreudigen Abenteurern entdeckten Entwicklungsländern die Wiederholung von Folgen massenhaft betriebenen Fremdenverkehrs so gut es geht zu verhindern. Ein Erfolg wäre es, wenn auch nur in einigen Regionen wirtschaftliche Monostrukturen oder einige dem Tourismus geschuldete arge Planungsfehler vermieden werden könnten.
In Zeiten des weltweiten Massentourismus von „sanftem Reisen“ zu sprechen, ist wohl nur bedingt möglich, egal, um welches Reiseziel es sich handelt. Und was in der fernen Mongolei touristisch seit einiger Zeit geschieht, reicht von durchaus „sanft-traditionell-landesüblichem“ Reisen (Reiten, Wandern, Bergsteigen) auf der einen Seite, über Jagd-, Kultur- und Erholungsaufenthalte bis zu spektakulären Erlebnistouren querfeldein mit Motorrädern und Geländefahrzeugen. Die aus einem „Spleen“ britischer Exzentriker geborene „Mongol Rallye“ hat dazu wesentlich beigetragen. Sanft ist anders, möchte man sagen.
Man könnte den Tourismus in der Mongolei freilich auch mit der Flucht der Studenten Jens und Marie aus Ostberlin beginnen lassen, die 1987 ein unerträgliches Dasein in der DDR mit einem (vorübergehenden) Leben in der Steppe tauschten. Sie lernten die Wälder im Norden kennen, die Seen im Nordwesten, die „Goldenen Berge“ des Altai und die große Wüste im Süden – genau die Landschaften, die auch die heutigen Touristen suchen, dazu vielleicht ein paar eindrucksvolle erhalten gebliebene Tempelanlagen.
Ähnlich, wenn auch nicht aus denselben Beweggründen, suchen Touristen heute in der Mongolei eine neue Erfahrung im Erleben von Fremdheit. Und sie werden nicht enttäuscht: Denn es sind noch nie gesehene Weiten, eine Kargheit der Landschaft, die verstehen lässt, dass dort nur die Stärksten durchkommen, mancherorts ein Farbenspiel des Lichts, das mit nichts vergleichbar ist, und dazu die Fremdheit in Sitten, Gebräuchen, Riten und im Lebensgefühl überhaupt, die viele nur staunen lassen. Man kann behaupten, dass dieses zentralasiatische Steppenland für die allermeisten Besucher zumindest auch ein Beispiel für das so oft zitierte „einfache Leben“ ist, das vielen als erstrebenswert gilt und sich dort wenigstens für kurze Zeit erfahren lässt, wo das Tagwerk von Nomaden den Gästen aus der „zivilisierten“ Welt nicht wenig Bewunderung abringt, ja manche sogar zum Mitmachen veranlasst.
Aber ist das die Wirklichkeit? Seit der „Wende“ von 1990 ist das Land offen für Reisende aus aller Welt, das Visum ist billig, die Mongolei erscheint prominent auf allen Tourismusmessen. So wurden in der Mongolei in den letzten Jahren bis zu einer halben Million touristische Ankünfte registriert, 2015 immerhin 390.000 (davon 45% Chinesen, 20% Russen und 11% Südkoreaner; Japaner, US-Bürger, Kasachen und Deutsche machen jeweils keine 4% aus. Von 2000 bis 2015 stieg die Zahl ausländischer Touristen immerhin auf das Dreifache, die Tourismuseinnahmen jedoch auf das Siebenfache (2015: 280 Mill. USD).
Doch was ist daran sanft? Seit dem Kinoerfolg der „Geschichte vom weinenden Kamel“ träumen viele Reisende davon, einmal in einem mongolischen Ger zu übernachten, sicherlich ein „sanfter“ Vorgang. Nicht grundlos also wirbt die Internationale Tourismusbörse in Berlin erfolgreich mit dem Slogan „Go nomadic“. Ja, aber das Ger muss erst einmal erreicht werden, und nicht nur von den Gästen, sondern auch von den Versorgern. Große Entfernungen sind zu überwinden, jede Kleinigkeit muss transportiert werden, und so beginnt bereits hier der mongolische Tourismus „grob“ zu werden.
Ein beträchtlicher Beitrag zur Bodenerosion in der mongolischen Grassteppe geht auf das Konto des Verkehrs durch Tourismus. Und ein zweites ist die Verschmutzung von Wiesen und Weiden, deren Verursacher die Ausflügler aus den Städten (v.a. Ulaanbaatar) sind, die die Vorschriften in der „Yassa“ Tschinggis Khans und darin enthaltene Strafandrohungen für die Schädigung der Umwelt kaum mehr kennen.
Für die Nomaden ist der Tourismus immer noch ein recht bescheidenes Geschäft. Anders für hunderte Reiseunternehmer aller Art, die den Tourismus als Wirtschaftsfaktor entdeckten. Der Boom scheint ungebrochen, Bewilligungen für die Errichtung von Touristencamps sind leicht erhältlich, ungeachtet einer allenfalls schon herrschenden örtlichen Angebotsdichte. So wurden im Nationalpark Terelj , 40 km östlich Ulaanbaatar, aus ursprünglich vier geplanten in kurzer Zeit 40 Zeltlager. Diese Entwicklung ist in vielen Teilen der Mongolei zu beobachten, sei es im Altai, sei es am Rand der Wüste Gobi, wo schon die korrekte Orientierung eine Meisterleistung ist, oder – und insbesondere – am größten See des Landes, dem Khubsgul Nuur. In den vergangenen zehn Jahren ist dort die Zahl der Besucher von 5.000 auf 45.000 angestiegen. Das bringt zwar bescheidenen Wohlstand in eine Region von Rentiernomaden, lässt aber auch an Problemen (Abwasser, Müll) kaum zu wünschen übrig.
So scheint es erfreulich, dass touristische Organisationen, Campbetreiber, Autoverleiher zunehmend Konzepte und Prinzipien verfolgen mit dem Ziel, „eine nachhaltige Tourismusform zu schaffen, um kulturelle Schätze und Traditionen der Nomaden zu schützen, sie langfristig ökologisch und wirtschaftlich tragbar zu machen und so ethisch und sozial gerecht auf ortansässige Nomaden auszurichten“ .
Praktisch bedeutet das:
- sicherzustellen, dass die lokale Bevölkerung Touristen gerne empfängt, sich dabei aber möglicher Auswirkungen des Tourismus bewusst ist,
- Reisen so zu planen, dass Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung im Mittelpunkt stehen und die lokale Kultur auch erfahrbar wird,
- Reisebegleiter alle Aspekte der Geschichte, der Kultur und der Gesellschaft ansprechen und ausgewogen darstellen zu lassen,
- Kunden über die Bedeutung lokaler Bräuche, Traditionen, der Religion, Körpersprache und von Essgewohnheiten im Land zu informieren, um Respekt und Verständnis zu fördern und Missverständnisse und Peinlichkeiten zu vermeiden,
- Möglichkeiten des gegenseitigen Austauschs (z.B. durch Spiele, Fotos und Unterhaltungen) und speziell auch das Erlernen von einigen Worten Mongolisch zu fördern,
- letztlich den von Touristen besuchten Orten einen wirtschaftlichen Gewinn zu ermöglichen (Restaurantbesuche, Kauf lokaler Erzeugnisse), ohne dabei übermäßigen Verbrauch von Gütern zu bewirken, was die einheimische Bevölkerung benachteiligen würde.
Die UNO postuliert, bei der Entwicklung von touristischen Produkten drei Hauptdimensionen der Nachhaltigkeit, d.s. „Ökonomie, Ökologie und Soziokultur“, ganz bewusst projektbezogen umzusetzen. Denn häufig findet bei der Entwicklung von Tourismusprodukten eine nachhaltige Betrachtungsweise nicht oder nur vermindert statt. Die Gründe dafür sind mangelndes Know-How und oftmals schlicht die verfügbare Zeit. Das Resultat sind stark angebotsorientierte und an der Zielgruppe vorbeientwickelte Produkte, die kaum Zugewinn für die regionale Wirtschaft, Umweltschutz und das soziale Miteinander bieten. Sehen wir uns abschließend diese Dimensionen am Beispiel der Mongolei an:
1 – Ökonomische Faktoren:
Die Mongolei ist kein Land des Massentourismus, kennt weder Schisportresorts noch Badestrände, und auch der „Städtetourismus“ beschränkt sich auf zumeist buddhistische Kultstätten. Bestehende Einrichtungen sind regional eher verstreut und „Zugangszentren“ (etwa zu Altaigipfeln oder Attraktionen in der Gobi) müssen sich erst entwickeln.
Touristischer Mehrwert kann z.B. durch Führungen als Scouts, Handwerk, Transportangebot (Reittiere), aber auch Lebensmittellieferung an Camps erreicht werden. Und das kann noch überhöht werden durch Angebote aus Kunst, Kultur und Sport, darunter Malerei auf Leder, ganz speziell auch durch Vorführung schamanischer Rituale, doch allen voran wohl die mongolische Musik. Es bleibt nur das Fahren querfeldein, das hier deutlich aus einem „sanften“ touristischen Rahmen fällt.
2 – Ökologische Faktoren:
In mongolischen Weiten ist eine „Lenkung von Besucherströmen“ eher kein Ziel, wenn Nomaden (solange es sie noch gibt) davon profitieren sollen. Voraussehbar sind allerdings Konzentrationen in spektakulären Landschaften (Seen, „Singende Dünen“, Reservate). Hier kann ein gezielter Ausbau von Straßen Konflikte in sensiblen Naturräumen vermeiden helfen. Sehr begrüßenswert wäre aber auch ein energischer Flurschutz zur Eindämmung der „unmongolischen“ Sitte, nach Aufenthalten im Grünen Wiesen, Weiden und Waldränder von Abfällen übersät zurückzulassen, wie es v.a. die städtischen Ausflügler tun.
3 – Soziokulturelle Faktoren:
Der Großteil ausländischer Besucher kommt auch deshalb in die Mongolei, um Traditionen und Verhalten in einem anderen Kulturraum kennenzulernen. Ein Konfliktpotential gibt es freilich, das erst mit einem Lernprozess geringer wird, dem sich aber die meisten Fremden gerne unterwerfen. Aus mongolischer Sicht mag auch hier eine Lenkung von Besucherströmen weniger wichtig sein, als etwa dem Verhalten von Fremden das verinnerlichte traditionelle Empfinden entgegenzuhalten: Die Mongole badet nicht im See, weil dieser ein heiliges Lebewesen ist, und er isst (angeblich) den Fisch nicht, weil er das Leben selbst symbolisiert; allerdings erhält man am Orchonfluss die besten Räucherfische, die man sich vorstellen kann.
Hoffen wir also auf die Wirkung des mongolischen Sprichworts „Die Steppe gibt die Freiheit, die Steppe gibt das Glück“, dass auch die Besucher der unendlichen Weiten des Landes ein Gefühl des Friedens, der dort unter ewig blauem Himmel herrscht, mit nachhause nehmen.
Quellen:
- Dagiimaa Tsedendoo: Trunken von Licht und Weite. Hgg. von Fritz Wieninger, Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra o.J. (ca. 2008)
- Deutschlandradio Kultur, Sendung vom 4. März 2015
- Lammert Andrea: Mongolei. Zwischen Schamanen, Seegöttern und Goldgräbern. Webseite www.indigo-blau.de, 11. März 2016
- National Statistical Office of Mongolia: Mongolian Statistical Yearbook 2013
- Stricker Sandra: Die Welt zu Gast im Zelt. Reuters, Aussendung vom 13. Okt. 2011
- Tour Mongolia: Liste der Öko-Camps, Ulaanbaatar 2014. Webseite www.tourmongolia
- Wensierski Peter: Die verbotene Reise. Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht. DVA, München 2014.