Nudeln in aller Welt#
Das Universalgericht schlechthin, das (fast) der ganzen Menschheit schmeckt#
Von
Günther Jontes, 2016
Vor noch nicht allzu langer Zeit haben sich zwei Nationen darüber gestritten, wer von beiden wohl die Nudeln „erfunden“ habe. Die Italiener behaupteten, dass sie es gewesen seien und der größte Reisende des Mittelalters, der Venezianer Marco Polo, diese Teigwaren nach China gebracht hätte. Die Söhne des Reiches der Mitte hingegen bestritten dies und betonten, dass sie es gewesen seien und der italienische Handelsmann und Abenteurer die Nudeln bei ihnen kennengelernt und die Kenntnis davon in seine Heimat verpflanzt habe.
Heute zweifelt man an vielem, was Marco Polo da von seinen Reisen aufschreiben ließ und ob er überhaupt in China gewesen sei und nicht die Kunde davon nur im Vorderen Orient von Kaufleuten erfahren habe, die es wirklich bis nach Ostasien geschafft hatten.
Der Streit ist längst entschieden. Die Erfindung der Nudel geschah polygenetisch, das heißt, dass sie unter annähernd gleichen Bedingungen an verschiedenen Orten entstanden sind. Die Voraussetzungen waren klimatischer und botanischer Art. Nudeln werden aus Weizenmehl oder –grieß gemacht und die stimmen sowohl für Italien aus auch für China. Und sie reichen weit in die Vergangenheit zurück.
China lässt sich in zwei kulinarische Großregionen teilen. Im Norden werden Weizen und andere Getreidesorten angebaut, im Süden hingegen Reis. Und Weizen ist im Okzident während der Jungsteinzeit, als der Nomade zum Bauern wurde, in lange dauernden Prozessen durch Zuchtwahl aus Wildgräsern entstanden und zu einem der wichtigsten Lebensmittel geworden. Aber man kann auch feststellen, dass sich von beiden Nudelnationen aus diese Universalspeise in Asien in alle Nachbarländer und von Italien aus über alle westlichen Küchen verbreitet hat.
In China belegen archäologische Funde in dem prähistorischen Dorf Lajia, dass dort bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. Nudeln erzeugt worden waren. Man hat solche als Grabfund in einem fest verschlossenen Keramikgefäß gefunden. Sie waren 50 cm lang und 3 mm dick und bestanden aus Hirsemehlteig.
Die sich an Marco Polo knüpfende Meinung ist auch deshalb obsolet, da bereits in der griechischen Antike Nudelspeisen gegessen und wurden und die Römer im 1. Jahrhundert v. Chr. auch für ihre Nahrungskultur in Anspruch nahmen. Cato d. Ä. und der Dichter Horaz berichten davon und die von ihnen überlieferten lateinischen Bezeichnungen führen sprachlich und kulinarisch bis in die heutige italienische Küche, wobei die Wörter für die verschiedenen Nudelspeisen von den Römern als Lehnwörter aus dem Griechischen übernommen wurden. Lateinisch lagana, ein Lehnwort aus dem Griechischen láganon wird im Italienischen zu Lasagna. Und die beliebten Tagliatelle entstammen als Wort dem Griechischen trakton, das die Römer als tracta übernahmen.
Als Sammelbegriff fallen all die italienischen Gerichte aus Nudelteig unter den Namen Pasta. Sie wird aus der Dreiheit Hartweizengrieß, Wasser und Kochsalz gemacht. In Rom gibt es sogar ein eigenes Museum, das die Kultur dieser italienischen Speisen dokumentiert, das Museo nazionale delle paste alimentari.
Wie sehr die Römer gerade auf diesem Nahrungssektor von den Griechen gelernt haben, erkennt man an diesem heute so uritalienischen Wort, das im Griechischen ursprünglich nur einen Gerstenbrei bedeutet hat. Und der war natürlich entsprechend mit Salz gewürzt. „Gesalzen“ heißt in der Sprache der Hellenen pastos.
Wenden wir uns nun nach diesem Exkurs über die antiken Sprachen dem deutschen Wort Nudel zu. So einfach dieses zu sein scheint, so ist es doch noch nicht endlich nach seiner Herkunft geklärt. Es scheint doch mit dem Speisennamen Knödel einherzugehen. Die Wurzel kn- drückt im Germanischen eine Sache mit einer Verdickung aus: Knödel, Knolle, Knospe. Daher könnte die Nudel nach ihrer Ausgangsgestalt benannt sein, der immer ein Teigklumpen ist.
Die größte Formenvielfalt im Westen weist die italienische Küche auf. Es existiert eine fast unglaubliche Fülle von Gestalten mit genauer definierenden Bezeichnungen. Davon sind zwei auch in den deutschen Wortschatz übergegangen: Spaghetti und Makkaroni, also lange Fadennudeln und etwas kürzere Röhrennudeln.
Auch andere Sprachen bedienen sich der Einfachheit halber solcher italienischer Bezeichnungen, um allgemein Nudeln damit zu benennen: Arabisch makaruna, baskisch makaroi, finnisch makaronit, polnisch makaron, portugiesisch makkarao, russisch wermishell (< italienisch vermicelli!), spanisch pastas. Das deutsche Nudel ist ins Französische als nouilles und von dort als nouilhezenn ins Bretonische gekommen. Die germanischen Sprachen entlehnen ebenfalls aus dem Deutschen: Dänisch nudler, Isländisch nudhla. In den slawischen Sprachen übernimmt das Tschechische mit nudle aus dem Deutschen, während das Slowenische rezanci auf rezati „schneiden“ zurückgeht, womit gemeint ist, dass der Nudelteig mit der Hand zu Nudeln geschnitten wird. Ebenso ist es im Kroatischen.
Vom Nordchina aus hat sich die asiatische Nudelkultur nach Osten wie nach Westen hin ausgebreitet. Die chinesische Nudel (mie) besteht aus Weizenmehl, Wasser und Kochsalz. Dieser Teig nach derselben Rezeptur wird auch zu den bekannten chinesischen Teigtäschchen (jiao tze) mit ihren delikaten Füllungen aus Gemüse, Fleisch, Krabben und dergleichen verwendet. Die Nudeln werden in der einfachsten Form als Nudelsuppe angeboten. Diese bildet in China ein Hauptgericht zu allen Tageszeiten. Zu den Nudeln kommen auch Einlagen von Gemüse, Fleisch, Fisch oder Krabben.
Rührgekocht ist sie blitzschnell gar und wird auch im Vorübergehen zu jeder Tageszeit genossen.
Die handwerkliche Meisterschaft chinesischer Köche zeigt sich auch daran, wie er aus einem Strang Teig in Windeseile eine Riesenportion frischer Nudeln erzeugt. Man kann kaum mit den Augen folgen, wie diese Teigmasse gewunden, gefaltet und wieder gewunden und wieder gefaltet wird. Und schließlich wird vor unseren Augen das präsentiert, was die Chinesen als Tausend-Haare-Nudeln bezeichnen. Und frisch kommen sie nun auch auf den Tisch, werden Teil einer einfachen Suppe oder eine Nummer in einem hundertgängigen Festmahl, wie sie das Küchenreich der Mitte so glanzvoll zu zelebrieren weiß.
Damit hängt auch das kulturnahe Vietnam zusammen, wo die berühmte Pho-Suppe als Hauptgericht auch ein wichtiger Bestandteil des Frühstücks ist. Hier sind es lange, flache Bandnudeln in der Suppe. In rührgekochter, gebratener Form kommen sie als Pho Xao auf den Tisch.
Thailand serviert seine Nudeln gebraten als Phat Thai oder Phat Thai Gung Sott und als Suppeneinlage als Tom Yum. Phat Thai besteht aus Garnelen, getrockneten Shrimps, Fischsauce Naam Plaah, Sojasauce, Pfeffer, Knoblauch, Schalotten, Erdnüssen. Tofu, Sojabohnensprossen, Lauch, Limetten., Eiern, Reisessig, Zucker. Die für diese Suppe verwendeten breiten Reisnudeln sind also in guter Gesellschaft!
Indonesien hat mit dem Gericht Bami goreng als gebratene Nudeln eine beliebte, einfache und schmackhafte Speise in seiner Landesküche. Ein chinesisches Lehnwort für Nudel ist hier der Begriff Mihun oder Bakmi.
Japan serviert als Vorspeise die als sehr gesund angepriesene Miso-Suppe. Nudeln nach chinesischem Rezept heißen hier chukamen. In Japan gibt es auch Nudeln aus Buchweizenmehl, die soba, denen sogar ein eigenes lustiges Fressfest gewidmet ist, bei welchem man diese meterlangen Nudeln aus der Suppe in ungeheuren Mengen verschlingt. Andere Nudelwörter sind hier ramen, champon, yakisoba, somen. Die udon sind etwas dicker als die anderen.
Die aus Mung-Bohnenstärke oder Kartoffelstärke und Wasser in Korea zubereiteten dangmyeon-Nudeln sind ein schmackhafter Bestandteil der nationalen Küche. Mit dem Messer geschnittene Nudeln heißen hier kaigaksu. Auch das kulinarisch karge Tibet hat Nudeln, die in der wärmenden thukpa-Suppe schwimmen.
Wenn der Nudelteig zu Nudeln verarbeitet wird, so werden diese in China als hé fén, in Thailand als senyai bezeichnet. Buchweizennudeln sind in Korea die makguksu und nemil naengmyeon. Im Worte myeon schimmert das chinesische mie als Lehnwort hervor.
Bekannt ist auch der Begriff Glasnudel, wobei es sich um eine dünne, durchsichtige Nudel handelt, die aus Mung-Bohnenmehl hergestellt werden. Sie werden in der Suppe nicht gargekocht. Sie kommen getrocknet auf den Markt und müssen, bevor sie zu einem Nudelgericht werden, zuvor noch in Wasser gequollen und dann der Suppe beigesetzt werden. Die Engländer haben dafür das schöne Wort cellophane noodles.
Steigender Beliebtheit erfreuen sich heute in Asien, das auch in den eher traditionell gestimmten Ländern immer schnelllebiger wird, die Instant-Nudeln, die getrocknet und vorgewürzt einfach ins Wasser gegeben und in Minutenschnelle eine Suppe ergeben. Diese kann sich natürlich mit den erprobten Küchenerzeugnissen nicht messen.