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Ein Ende mit langem Anlauf#

Das Freihandelsabkommen TTIP scheint endgültig gescheitert. Was auch an einer wesentlichen Frage lag: Was tun mit Verlierern der Globalisierung?#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 2. September 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Simon Rosner


WZ-Illustration
TTIP-Illustration
Foto: Wiener Zeitung

Alpbach. Wenn am Ende dieses Jahres in Brüssel und Washington die Sektkorken ploppen, wird es wohl einzig und allein wegen Silvester sein. Angedacht wäre eigentlich, dass hüben wie drüben auch auf den Abschluss des Freihandelsabkommen TTIP angestoßen wird - nach mehr als dreijährigen Verhandlungen. Die Wahrscheinlichkeit dafür dürfte aber mittlerweile gegen null gehen. Frankreich will ein Ende der Gespräche, der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte diese für "de facto gescheitert", am Mittwoch forderte dann Vizekanzler Reinhold Mitterlehner einen Verhandlungsstopp, und heute, Freitag, wird Kanzler Christian Kern in einer Pressekonferenz in der SPÖ-Zentrale die Position seiner Partei darlegen. "Das wird der nächste Konflikt innerhalb der EU sein, den Österreich auslöst", sagte Kern bereits Mittwochabend im ORF-Fernsehen. TTIP bringe "unter dem Deckmantel des Freihandels in Wahrheit eine massive Machtverschiebung zugunsten global agierender Konzerne", so Kern.

Das war es also offenbar für TTIP. Fürs Erste zumindest. Doch angesichts des in seiner ganzen Genese völlig danebengegangenen Versuchs und zunehmend protektionistischer Tendenzen auf beiden Seiten des Atlantiks ist unklar, wie und wann ein zweiter Anlauf überhaupt stattfinden könnte. Mitterlehner will jedenfalls nach den US-Wahlen einen neuen Versuch starten. Für ein exportorientiertes Land wie Österreich, sagte er, bleibe keine andere Alternative.

Doch warum eigentlich? Interessant ist, dass in Österreich und auch Deutschland der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen besonders stark ist, in beiden Ländern bewegt sich die Ablehnung um die 70 Prozent der Bevölkerung. Anderswo in Europa sieht man TTIP dagegen mit großem Optimismus entgegen.

In Schweden waren rund zwei Drittel für das Abkommen, sogar die größte Gewerkschaft LO setzte sich dafür ein, während hierzulande und in Deutschland die Arbeitnehmervertretungen heftig dagegen kampagnisierten. Susanne Lindberg Elmgren, Forschungsbeauftragte von LO, sagte beim Europäischen Forum Alpbach: "In Schweden will man TTIP. Und wenn es scheitert, wird der Status quo nicht einfach beibehalten, sondern die Beziehungen werden schlechter, eben weil es gescheitert ist." Auch Schwedens Bruttoinlandsprodukt nährt sich durch eine hohe Exportquote, sie liegt etwas unter 50 Prozent, in Österreich knapp darüber. Die USA sind jenes Land, in das Österreich am zweitmeisten (hinter Deutschland) exportiert, bei Schweden liegen die Vereinigten Staaten auf Rang drei. Insofern ist es bemerkenswert, dass die Zustimmung zu TTIP in den beiden Ländern diametral auseinandergehen.

Gewinner und Verlierer#

Ein Grund dafür könnte in der unterschiedlichen Art der exportierten Güter liegen, die die Schweden optimistischer in Richtung des US-amerikanischen Marktes blicken lassen. Wenn Hemmnisse im Außenhandel fallen, befördert dies den Wettbewerb, vergrößert aber andererseits auch die Absatzmärkte. Wirklich nutzen können diese neuen Märkte aber eben nur die produktivsten Unternehmen, jene mit weniger Produktivität verbleiben am heimischen Markt oder scheiden langfristig sogar aus dem Markt aus. Diese Konsequenz ist auch durchaus gewünscht, da es die Produktivität insgesamt stärkt und die Preise sinken lässt. Anderseits bedeutet es eben auch: Es gibt Gewinner und Verlierer.

Gefahr für die Landwirtschaft?#

Ein anderes Beispiel ist die Landwirtschaft, die zwar an der gesamten Wirtschaftsleistungen in Österreich (und auch Schweden) eine untergeordnete Rolle spielt - dieser Sektor trägt lediglich zwei bis drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts -, die gesellschaftliche (und in Österreich auch politische) Bedeutung ist aber deutlich höher einzustufen. Lebensmittel sind ein sehr sensibler Bereich.

Und es ist wohl schon darzustellen, dass Österreichs Landwirtschaft besonders stark betroffen sein könnte. Derzeit liegen die Agrarimporte zwar nur geringfügig über den Exporten, was allerdings vor allem einen Grund hat: Red Bull. Der Energydrink aus Fuschl in Salzburg wird diesem Exportsegment zugerechnet, und Red Bull könnte klarerweise profitieren. Was tierische Produkte und Getreide betrifft, hat Österreich aber allein von seiner Topografie einen Wettbewerbsnachteil. Dazu reicht auch ein Rundblick auf Alpbach mit seinen Almen rundherum. So beschaulich es ist, produktive Landwirtschaft sieht freilich anders aus.

Kompensationen für Verlierer#

Doch auch in diesem Segment könnte es Gewinner geben. Produzenten von hochqualitativen Lebensmitteln etwa, die in den Vereinigten Staaten einen neuen, großen Absatzmarkt finden (und finanzkräftige Käufer). Ebenso die Winzer, die derzeit besonders stark von Handelshemmnissen betroffen sind, da jeder US-Bundesstaat den Import eigens regelt. Allerdings ist nicht gesagt, dass bei TTIP diese innerstaatlichen Hürden fallen werden.

Eine wesentliche Frage ist offen geblieben, und zwar auch in Alpbach. Was macht man mit den Verlierern? Die Frage ist wesentlich, um überhaupt eine Unterstützung innerhalb der Bevölkerung für einen Vertrag mit den USA zu erhalten. "Die Menschen, die diese Unsicherheit spüren, haben den Bedarf nach Schutz, und sie sind es, die den Protest der Protektionisten anführen", sagt Richard Münch, deutscher Soziologe an der Universität Bamberg, der sich in seinem jüngsten Buch mit dem Freihandel und seinen sozialen Folgen beschäftigt hat.

"Wir müssen die Früchte der Globalisierung verteilen. Die Gewinner müssen die Verlierer entschädigen", fordert Gewerkschafterin Lindberg Elmgren. Nur wie? Wie kann eine solche Kompensation aussehen?

Sozialsysteme können zwar Verlierer auffangen, zumindest eine Zeit, doch erstens ist das keine Entschädigung in dem Sinn und zweitens, sagt Münch, kämen die Sozialsysteme in Europa zunehmend unter Druck. "Ein erster Punkt wäre sicher die Besteuerung", sagt der Soziologe und verweist auf den Apple-Konzern und dessen Sparsteuermodelle.

Sollte TTIP auch in einer Neuauflage scheitern, könnte sich das Interesse der EU wie auch jenes der USA in Richtung China richten. Auch hier steht ein Freihandelsabkommen im Raum. "Es geht auch um Standards", sagt Jürgen Roth, Vizepräsident der Wirtschaftskammer. "Wollen wir sie mit den USA setzen oder andere?" Käme es zu einem Abkommen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt, kann zwar die EU weiterhin an ihren Standards festhalten. Die EU-Länder werden es dann aber schwer haben, ihre Waren nach New York oder Peking zu exportieren.

Wiener Zeitung, Freitag, 2. September 2016


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