Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Der Kosakenzug durch Oberdrauburg#

von

Heidi Brunnbauer


Ein bedeutendes Erlebnis des auch für mich als Kind ereignisreichen Jahres 1945 war im Mai der Durchzug des Kosakentrecks durch Oberdrauburg. Es sollen insgesamt 25.000 Menschen gewesen sein, davon etwa die Hälfte Frauen, Kinder und Greise, dazu an die 5.000 Pferde, die über den verschneiten Plöckenpass, dann über den Gailberg ins Drautal bis zum endgültigen Halt vor Lienz zogen, dem britischen Kriegsgefangenenlager Peggetz. Eine nicht enden wollende Kolonne von Reitern, Panjewagen, Pferden und sogar Kamelen, bewaffneten Soldaten und Zivilisten zu Fuß bewegte sich auf der Straße vom Gailberg herunter auf das Ortszentrum zu. Wir gingen ihnen entgegen auf unserem täglichen Nachmittagsspaziergang (von uns Kindern als „Familienwurm“ bezeichnet und grundsätzlich als langweilig abgelehnt). Diesmal wurde er zu einem beeindruckenden Ereignis mit all dem Exotischen, noch nie Gesehenen.

Die Kosaken sind da #

Das Haus meiner Schulfreundin Lisi an der Gailbergstraße war eines der ersten am Ortseingang. In ihrem Garten ließ sich eine Kosakengruppe mit einem Wagen nieder, an dem Geschirr baumelte. Er schaute aus wie jene der Zigeuner, die manchmal durchgezogen waren, erzählte sie. Die Fremden sahen sich im Haus um und begannen sich einzurichten. Besonders beeindruckt war meine Freundin von einem alten, beinamputierten Mann, der in das Bett der Großmutter gelegt wurde; die anderen lagerten im Garten und in der Scheune. Kosakenfrauen wollten auf dem hölzernen Küchenboden ein Feuer zum Kochen entzünden. Die entsetzte Hausfrau machte ihnen aber verständlich, dass sie den Herd benützen könnten. Für die vielen zu versorgenden Menschen errichteten die Kosaken dann in der Scheune eine Feuerstelle. Glücklicherweise gab es keinen Brand. Die Gruppe blieb nicht lange, sondern zog weiter in die Drauauen. Dort lagerten sie in Zelten. Abseits von ihnen wurden mit Baggern riesige Gruben ausgehoben, um die vielen, an Räude erkrankten und deshalb von einem englischen Soldaten erschossenen Kosaken-Pferde einzugraben. Man sprach von 200 Tieren, erzählte meine ältere Freundin Lisbeth. Bei uns im Ortszentrum half man mit riesigen Töpfen – wie sie nur Gasthäuser verwenden – voll gekochter Erdäpfel zur freien Entnahme. Einige hochgewachsene Männer in stolzer Haltung betraten das Haus, darunter einer in einem langen, schwarzen Gewand mit einem großen Metallkreuz an einer Kette auf der Brust; auf seinem Kopf mit langem Vollbart saß ein schwarzer Hut wie ein umgestülpter Kochtopf – sehr beeindruckend für mich! Ein Pope, wie mein Onkel von seiner Militärzeit auf dem Balkan wusste. Was die Männer wollten oder auf Französisch mit dem Onkel besprachen, weiß ich nicht. Es mag sich um Nahrungsmittel gehandelt haben. An Einquartierungen kann ich mich nicht erinnern. Bei meiner Freundin Lisbeth im Nachbarhaus hingegen bezogen fünf Kosaken-Offiziere im Zimmer ihrer Großmutter Quartier. Obwohl sich die Familie damals nur von dem ernähren konnte, was der Garten hergab, aßen die Offiziere mit, stets ihre Gewehre griffbereit zwischen den Beinen. Diese Sitte war besonders für die Kinder faszinierend, die sich fragten, ob sie wohl auch zum Schlafen die Gewehre nicht weglegten. Eines Tages verabschiedeten sie sich, weil sie bis zum Abend in die Bezirkshauptstadt Spittal mussten. Sie kamen nicht mehr wieder. (Wie später zu erfahren war, wurden sie von den Briten dorthin zu einer angeblichen Konferenz über ihre weitere Zukunft gelockt, entwaffnet und nach Judenburg zwecks Übergabe an die Rote Armee bzw. Liquidierung deportiert. Es handelte sich um insgesamt 1.500 Offiziere.)

Talboden vor dem „Tiroler Tor“,Lagergebiet der Kosaken westlich von Oberdrauburg.
Talboden vor dem „Tiroler Tor“, Lagergebiet der Kosaken westlich von Oberdrauburg
Aquarell im Besitz der Autorin, gemalt von Hans Pichler-Stainern

Die Kosaken zogen auf der Straße weiter Richtung Tiroler Tor (Grenze zwischen Kärnten und Osttirol). Ein Teil von ihnen entschloss sich, dort auf den Feldern zwischen Straße und Drau ihre Zelte aufzuschlagen; ein größerer Teil bewegte sich bis gegen Lienz. Wie ich später hörte, war somit die Ernte für dieses Jahr verloren: alles abgegrast und zertrampelt. Dafür ließen die Kosaken ihre Habe zurück, als sie durch die britischen Besatzungssoldaten gezwungen wurden, zum Abtransport in Eisenbahnwaggons einzusteigen, die auf freier Strecke hielten. Die heimische Bevölkerung holte sich dann von dort edle Reitpferde und kleinwüchsige Pferde (zum Unterschied von unseren Haflinger-Gäulen), Wagen, Zelte, Geschirr, Kleidung – auch von Kindern – und alles, was sie nach der jahrelangen Kriegszeit brauchen konnte. Handgranaten fanden sich noch Jahre später versteckt auf den Feldern, unter Hecken und an Bachböschungen. Man musste sehr vorsichtig sein, denn einigen Personen wurden diese Waffen zum Verhängnis: Durch Explosionen kam es zu schweren Unfällen mit abgetrennten Gliedmaßen, hörte ich die Einheimischen berichten. Auch meine Schulfreundin Lisi erzählte von ihrer jüngeren Schwester, die ohne Wissen der Mutter mit einer Nachbarin in den Drauauen nach Brauchbarem Ausschau hielt. Da explodierte irgendwo in der Nähe eine Handgranate; das Kind wurde von einem Splitter getroffen; dieser wurde jetzt nach 67 Jahren bei einer Untersuchung im Nacken noch festgestellt. Vom Bahnwärter erzählte man, dass er längs des Bahndamms Bündel von Banknoten gefunden hatte, die die abtransportierten, verzweifelten Kosaken aus dem Zug geworfen hatten, ahnend, dass sie das Geld nicht mehr brauchen würden. Mütter sollen ihre Babys aus dem Zug in die Drau geschleudert haben. Es waren schauderhafte Dinge, die ich von den Erwachsenen aufschnappte. Im Herbst saßen dann bei uns in der zweiten Volksschulklasse zwei zarte, kurzgeschorene, dunkelhaarige Kosakenbuben, ich glaube Zwillinge. Wir betrachteten sie neugierig, sprachen aber nicht mit ihnen; vielleicht haben wir es gar nicht versucht. Jedenfalls beeindruckte mich, dass sie phantastische Kopfrechner waren, mit unglaublich raschen und richtigen Resultaten. Eines Tages waren sie nicht mehr da. Ich habe nie mehr von ihnen gehört. Gelesen habe ich viel später, dass es einigen Kosaken gelang, in die Wälder und Berge zu fliehen und sich monatelang dort zu verstecken, wo sie von der heimischen Bevölkerung versorgt wurden. So dürfte es auch mit unseren Kurzzeit-Mitschülern gewesen sein.

Mit der Deutschen Wehrmacht #

Als im Zweiten Weltkrieg die Deutsche Wehrmacht in Südrussland den Don erreichte und in die von den Kosaken besiedelten Gebiete kam, meldeten sich diese freiwillig zum Dienst bei den deutschen Streitkräften. Ein großer Teil fühlte sich nämlich im kommunistischen Regime, insbesondere unter Stalin, unterdrückt und seiner Freiheit beraubt. Die Kosaken, die sich zum Kampf gegen die Rote Armee gemeldet hatten, wurden von den Deutschen hauptsächlich zur Partisanenbekämpfung in Jugoslawien und später in Italien eingesetzt. Für die Dienste der Kosaken galt stets die Bedingung, ihre Familien mitzunehmen, wohin sie auch immer gingen. So wurden sie per Eisenbahn gemeinsam zunächst nach Polen, dann nach Jugoslawien und schließlich nach Oberitalien (Friaul, Gebiet von Tolmezzo) transportiert. Dort hatte ihnen die deutsche Reichsregierung ein Siedlungsgebiet versprochen, aus dem die ansässige Bevölkerung deportiert werden sollte. Diese schloss sich aber zur Verteidigung ihrer Heimat den kommunistisch geführten italienischen Partisanen an und lieferte sich mit den Kosaken noch heftige und grausame Kämpfe bis gegen Ende des für die Deutschen – ihrer verbündeten Schutzmacht – verlorenen Krieges. Nun hätten sich die Kosaken den Partisanen ergeben sollen, was Auslieferung an die Sowjets mit Tod oder Zwangsarbeit in Sibirien bedeutete.

Flucht und Verrat#

Daher entschloss sich die Kosakengemeinschaft zur Flucht über die Karnischen Alpen nach Österreich in die britische Besatzungszone, um dort gegenüber den Briten zu kapitulieren, was sie auch taten. Denn sie erwarteten von ihnen eine faire Behandlung als Kriegsgefangene (die Kosakensoldaten waren ein offizieller Wehrmachtsverband, trugen auch deutsche Uniformen) und Nicht-Auslieferung an die Sowjets, in deren Augen sie Überläufer und Hochverräter waren. Bis Juni 1945 lagerten die Kosaken an der Drau. Die Briten versicherten ihnen wiederholt, dass keine Auslieferung vorgesehen wäre. Es kam aber anders. Überfallsartig und gewaltsam räumten die britischen Besatzungssoldaten die Lager, verfrachteten die verzweifelten Menschen in Viehwaggons, um sie in die Steiermark nach Judenburg zu transportieren, wo sie an der Demarkationsgrenze zum sowjetischen Besatzungsgebiet der Roten Armee übergeben wurden. Dann erfolgte der Weitertransport über Graz, Ungarn, Rumänien nach Moskau; Endstation waren Zwangsarbeitslager in den Kohlenrevieren Sibiriens. Bis dahin war bereits ein Teil der Kosaken durch Selbstmord, Hinrichtung, Krankheit und Erschöpfung umgekommen. In wissenschaftlichen Arbeiten, Erzählungen Betroffener, Romanen und Radiosendungen (insbesondere „Österreich II“ von Hugo Portisch / Sepp Riff, Wien 1985) habe ich von dem „Drama an der Drau“ Kenntnis der historischen Fakten erlangt, die meinen Kindheitseindrücken den erforderlichen Hintergrund geben. Wann immer ich Flüchtlingstrecks im Fernsehen etwa sehe, die es weltweit leider auch heute in erschreckend hohem Ausmaß gibt, kommen in mir die Bilder und fürchterlichen Ereignisse dieser unmittelbaren Nachkriegszeit hoch, verbunden mit einem tiefen Mitgefühl mit Menschen, wie ich sie als Kind erlebt habe.

Zur Person:#

Dr. rer. comm. Heidi Brunnbauer, geb. Pichler-Stainern, verbrachte ihre Kindheit in Villach und Oberdrauburg. Nach dem Besuch des Realgymnasiums und Konservatoriums in Klagenfurt studierte sie an der damaligen Hochschule für Welthandel in Wien, absolvierte ein postgraduales Studium an der Universität Rom und war bis zu ihrer Pensionierung als Ökonomin in Wien tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder und zwei Enkelinnen.

Lokalgeschichtliche Veröffentlichungen:
„Im Cottage von Währing/Döbling ... Interessante Häuser – interessante Menschen“ I (Gösing, 1. Aufl. 2003; 4. Aufl. 2009)
„Im Cottage von Währing/Döbling ... Interessante Häuser – interessante Menschen“ II (Gösing, 2006))
„Im Cottage von Währing/Döbling ... Interessante Häuser – interessante Menschen“ III (Gösing, 2009)
Abgearbeitet - Biografische Miniaturen zwischen Kärnten und Wien, Edition Wienviertel (Gösing, 2012)

Verschiedene Beiträge in den Vierteljahresschriften des Museumsvereins Währing.

Redaktion: P. Diem