Die Fledermaus:#
Die Taschenuhr im Dekolletè#
Johann Strauß (Sohn)
Fragen zur "Fledermaus"#
Es ist ein eigentümlicher Fall, sogar ziemlich verwickelt. Da gibt es Menschen, die sich kennen und doch wieder nicht kennen, da gibt es andere, die einander kennen und erkennen, aber für einige Stunden sich nicht kennen wollen. Da gibt es falsche Titel und echte Verkleidungen, trunkene Beamte und einen Sänger, der fensterlt. Wie passt dies zusammen? Und doch gibt es eine gewisse Logik, denn was vor Gericht beginnt, muss doch - einigermaßen logisch - im Gefängnis enden. Über den Verlauf der Gerichtsverhandlung wird Widersprüchliches berichtet: der Angeklagte fühlt sich von seinem Rechtsbeistand nach eigener Aussage "verraten" und "verkauft"; sein Anwalt wiederum führt das Scheitern seiner Verteidigungstrategie auf das cholerische Temperament seines Klienten zurück: Dieser sei ein Grobian und schimpfe in einem fort. Tatsache ist: die Haftstrafe im Umfang von 8 Tagen ist sofort nach Urteilverkündigung anzutreten. Wie das Leben so spielt: der Deliquent stellt sich erst einen Tag später - und muss erkennen, dass er bereits hinter Gittern sitzt. Was keineswegs auf eine Halluzination zurückzuführen ist, hervorgerufen durch den beträchtlichen Alkoholkonsum während der letzten Stunden in Freiheit. Nein, er ist tatsächlich schon da, obwohl er doch die ganze Nacht dort gewesen ist, bei einem großen Maskenball - und auch bei seiner neuen Angebeteten, einer geheimnisvollen Person, deren Identität ihm trotz Anwendung aller ihm zu Gebote stehenden Verführungskünste verborgen geblieben ist. Blenden wir kurz zurück - zum Fest der vergangenen Nacht, einem Fest im Palais eines extravaganten Krösus: Obschon verheiratet, gelüstet es unseren Delinquenten immer nach neuen Eroberungen. Unter falschem Namen - und, versteht sich, allein - mischt er sich auch während des Balls unters Frauenvolk und entdeckt alsbald das Ziel seiner Wünsche: ein "Zauberbild", "fein und zierlich", das ihn "halb verwirrt". Die andere Hälfte seines Bewusstseins reicht aus, einen alten - und offenkundig bereits erprobten - Eroberungsschlachtplan anzuwenden. Der bringt ihm allerdings diesmal nichts ein, im Gegenteil: er kostet ihn etwas - seine wertvolle Taschenuhr. Die verschwindet im Dekollete der Dame. Auf Nimmerwiedersehen, wie er meint. Doch: Es gibt ein Wiedersehen, im Gefängnis, dort wo der Delinquent schon seit einem Tag sitzen sollte - und wo statt seiner ein anderer seither singt. Dort trifft er die Holde der Nacht wieder - samt seiner Uhr. Und er erkennt sie sofort, denn - sie ist seine Frau. Das ist nicht möglich? Wie heißt es in der Operette: Alles ist möglich!