Magische Wortschätze#
Germanistin der Universität Graz spürt dem Zauber in der deutschen Sprache nach#
Am 21. Juni brennen vielerorts die Sonnwendfeuer, Überbleibsel magischer Rituale aus der Vergangenheit. In aufgeklärten Gesellschaften wird Magie als Unfug abgetan. Dennoch durchdringt Aberglaube bis heute unsere Lebenswirklichkeit, etwa wenn in Flugzeugen auf eine Reihe mit der Nummer 13 verzichtet wird, um Unglück fernzuhalten. Viele andere Praktiken wurden aufgegeben und sind zum Teil in Vergessenheit geraten. In Wörtern und Redewendungen aber bleibt die Erinnerung an sie gespeichert, sofern man sie zu deuten weiß. Die Germanistin Ruth Reicher hat in ihrer Masterarbeit an der Universität Graz magischen Sprachbildern in der deutschen Gegenwartssprache nachgespürt und dabei allerhand Zauberhaftes ans Licht gebracht.
Ob wir jemandem die Daumen drücken, von der Gicht geplagt werden oder aus einem Albtraum aufschrecken – in all dem steckt Magie, zumindest auf der Ebene der Sprache. „Der Wortschatz speichert Wissen, in diesem Fall über magische Vorstellungen und Handlungen. Gleichzeitig spiegelt er die Bedeutung wider, die diese in der Gesellschaft hatten“, erklärt Ruth Reicher. Demnach spielte das Übernatürliche zweifellos eine wichtige Rolle. Die Germanistin möchte mit ihrer Arbeit dieses verborgene Wissen zugänglich machen.
Manchmal sind die Wurzeln sprachlicher Ausdrücke offensichtlich. So zum Beispiel, wenn es im Stadion wie in einem Hexenkessel brodelt oder auf der Autobahn ein Geisterfahrer unterwegs ist. Auch in „Vamp“, einer Bezeichnung aus dem 20. Jahrhundert für eine gefährliche Verführerin, ist der Vampir leicht zu erkennen.
Vielfach aber sind die magischen Quellen des Wortschatzes verschüttet, wie beim Daumendrücken. „Dieser Finger galt bereits in der Antike als Glücksbringer“, weiß Reicher. „Weiteren Überlieferungen zufolge schloss man beim Daumendrücken das Böse fest in der Hand ein, damit es keinen Schaden anrichten konnte.“ Auch die Redewendung „sich etwas aus den Fingern saugen“ geht auf einen Zauber zurück: „Die Finger wurden in eine magische Flüssigkeit getaucht und dann in den Mund genommen, um die Weisheit in sich aufzunehmen“, so die Germanistin. Beim Albtraum legt sich ein mythologisches Fabelwesen, der Alb, auf die Brust des/der Schlafenden und droht ihn/sie zu erdrücken.
Noch schwieriger ist der magische Ursprung der Gicht zu erkennen: „Das Wort kommt von mittelhochdeutsch jehen. Unter jehen bzw. verjehen verstand man insbesondere das Sprechen von Zaubern, mit denen man Dämonen austrieb oder Unheil abwenden wollte“, erklärt Reicher. Auch heute noch sollte man so manches nicht „verschreien“. Denn schließlich ist niemand vor Unglück „gefeit“ – in diesem Wort steckt übrigens die Fee.
Wie gut, dass man zumindest bei Unfällen mit einem Schutzbrief von Verkehrsclubs Hilfe bekommen kann. „Früher einmal sollten so genannte Schutzbriefchen – Zettelchen mit Zaubersprüchen – in der Tasche Unglück fernhalten. Manchmal wurden sie auch verschluckt, um ihre Wirkung zu erhöhen“, erzählt die Absolventin der Universität Graz.
Ruth Reicher hat im Rahmen des WortSchätze-Projekts unter der Leitung des Germanisten Wernfried Hofmeister das mittlerweile zehnte Themenfeld aufgearbeitet – nach Wehrkultur, Sport, Religion, Musik, Nahrung, Mathematik, Spiel, Theater und Schrift. Mit der Erarbeitung juristischer Sprachbilder wurde bereits begonnen.