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Farbstudententum in Österreich#

von Peter Diem

Männerbünde sind auf der ganzen Welt verbreitet. Kennzeichnend für ihre Tätigkeit ist ein starkes Elitebewusstsein und ein mehr oder minder strenges Aufnahmeritual. Die Symbolik für den jeweiligen "Übertritt in eine neue Welt" reicht von der rituellen Beschneidung bei afrikanischen Völkern über die verbundenen Augen und die entblößte Brust bei den Freimaurern bis zum geschwärzten Gesicht des "Brandfuchsen" bei den Studentenverbindungen.

In Österreich besteht eine große Zahl von Vereinigungen, die sich ihren männerbündischen Charakter bewahrt haben, wenn auch in vielen von ihnen die Frage der Zulassung von Frauen immer wieder diskutiert und ion der Regel durch die Gründung weiblicher Parallelorganisationen beantwortet wird.

Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften, Sängerschaften und Turner sind national-freiheitlich ausgerichtete Studenten- und Akademikervereinigungen. Sie umfassen in Österreich zusammen rund 70 Vereine mit geschätzten 20.000 Mitgliedern.

Rotarier und Lions sind als elitäre Serviceclubs anzusehen, die manchmal in die Nähe der Freimaurer gerückt werden, mit diesen aber eher nur das Prinzip weltweiter Organisation mit gegenseitigem Besuchsrecht gemein haben. In Österreich (mit Slowenien, Bosnien und Kroatien) gibt es rund 8.800 Rotarier in 223 Clubs und etwa 7.200 Lions (Damen und Herren) in ca. 210 Clubs. Weitere Serviceclubs sind die Kiwanis Österreich.

Die in etwa 30 REYCHEN mit ca. 2000 SASSEN wirkende Schlaraffia Austria geht auf die Gründung der URSCHLARAFFIA in Prag 1859 zurück. Auch bei diesem Männerbund besteht keine direkte Verbindung zu den Freimaurern. Die in KNAPPEN, JUNKER und RITTER gegliederten Schlaraffen pflegen Kunst, Kultur und die deutsche Muttersprache, vor allem aber den HUMOR. Der "Bund reiferer Männer in gesicherter Stellung" bedient sich äußerst phantasievoller Spitznamen und einer sehr witzigen Kunstsprache. Sein Abzeichen ist ein weißer Stecknadelkopf.

Die auf die mittelalterlichen Bauhütten zurückgehende Organisation der Freimaurer - die Aufnahme von Frauen in die regulären ("GERECHTEN", das heißt von der englischen Mutterloge anerkannten) Vereine ist bis heute nicht gebräuchlich - umfasst weltweit rund 40.000 Bruderschaften mit insgesamt 4,5 Millionen Mitgliedern.
In Österreich "arbeiten" zur Zeit 67 Logen mit mehr als 2.900 Mitgliedern.

Der katholische Mittelschüler-Kartellverband (MKV) umfasst 166 farbentragende Verbindungen an 106 Orten mit rund 20.000 Mitgliedern.

Der ÖCV, der Verband katholischer Studentenverbindungen Österreichs, besteht aus 45 Verbindungen mit rund 12.000 Mitgliedern.

Der Cartellverband der katholischen österreichischen Studentenverbindungen (ÖCV)#

Das Farbstudententum geht auf die Ende des 18. Jahrhunderts zuerst an den mitteldeutsch-protestantischen Universitäten (Halle, Jena) gegründeten CORPS zurück. Als älteste noch bestehende Corps gelten Guestphalia Halle (heute Münster, 1789) und Onoldia Erlangen (1798). Bis 1820 entwickeln sich die organisatorischen Grundlagen (demokratisch gewählter CORPSCONVENT, Leitung durch CHARGIERTE - SENIOR, CONSENIOR, SEKRETÄR). Das ungeregelte Fechtwesen wurde durch (PFLICHT)MENSUR und EHRENGERICHT in geordnete Bahnen gelenkt, der COMMENT, die Summe der farbstudentischen Gebräuche, kodifiziert. 
Die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehenden deutschen Burschenschaften griffen zunächst auf das liberale Erbe der URBURSCHENSCHAFT (1815) zurück, gerieten aber bald in das nationalistische Fahrwasser, was zur Einführung der MENSUR und des ARIERPARAGRAPHEN führte.

Als Reaktion auf die Dominanz protestantischer und liberaler Kräfte an den deutschen Hochschulen wurde 1844 die katholische Verbindung "Bavaria" in Bonn gegründet. 1851 folgte die "Aenania" in München, die mit der 1851 in Breslau gegründeten "Winfridia" ein Freundschaftsverhältnis eingeht, das als Ursprung des Verbandes der katholischen deutschen Studentenverbindungen gilt, der sich ab 1860 CARTELLVERBAND (CV) nennt.

Der von Bismarck 1871-75 entfachte Kulturkampf verstärkte noch die Entschlossenheit der katholischen Verbindungen, den Hochschulboden nicht kampflos den Corps und Burschenschaften zu überlassen. In Österreich wurde die 1879 erfolgte Gründung der Deutschnationalen Partei durch Georg Ritter von Schönerer mit ihren antihabsburgischen, antiklerikalen und antisemitischen Bestrebungen von Corps und Burschenschaften begrüßt.

Als erste katholische Verbindung auf österreichischem Boden war 1864  die "Austria Innsbruck" entstanden, wo der Boden für Katholiken leichter war. In Wien kämpften "Austria Wien" (farbentragend ab 1879), "Norica" (1883) und __"Rudolfina"__ (1898) schon vor der Jahrhundertwende um die Gleichberechtigung an den Hochschulen, in Graz die "Carolina" (1888). Äußerlich ging es um die Ablehnung von DUELL und MENSUR durch die katholischen Verbindungen (mangelnde "SATISFAKTIONSFÄHIGKEIT"), dahinter stand natürlich ein weltanschaulicher Machtkampf. Den immer zahlreicher werdenden CV-Verbindungen gelang es, sich nach und nach zu etablieren, sodass sie nach dem Ersten Weltkrieg bereits eine akademische Elite hervorgebracht hatten, derer sich die Christlichsoziale Partei als Nachwuchsreservoir bedienen konnte. In dieser Periode entspannte sich das gegenseitige Verhältnis der katholischen und der schlagenden Verbindungen vorübergehend, um in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus völlig zu zerbrechen. Die österreichischen Verbindungen traten im Juli 1933 aus dem Gesamt-CV aus und bildeten den ÖCV. Die Unterstützung des autoritären Ständestaats erfolgte - besonders unter dem Eindruck des von den Nazis ermordeten CVers Dr. Engelbert Dollfuß - mehrheitlich, aber nicht einmütig, wie sich etwa am Kreis um den sozial sehr engagierten kurzzeitigen Wiener Vizebürgermeister Dr. Ernst Karl Winter zeigte.

Die Okkupation Österreichs im Jahre 1938 bedeutete Verbot, Verfolgung und Widerstand. Viele CARTELLER kamen ins KZ und zwei Dutzend CVer mussten ihr aktives Auftreten gegen Hitlerdeutschland mit dem Leben bezahlen. Bald nach dem Krieg konnten die Verbindungen des ÖCV ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Obwohl der CV offiziell nicht parteipolitisch tätig wird, engagierten sich viele seiner Mitglieder im Rahmen der Österreichischen Volkspartei, die auch heute noch auf die Personalreserve CV zurückgreifen kann. Freilich ist seit dem Verlust der Führungsposition der ÖVP im Jahre 1970 der Einfluss des CV in der österreichischen Innenpolitik weitgehend geschwunden.

Burschen heraus !

Wie die Freimaurer versteht sich der CV zu allererst als Erziehungsgemeinschaft: Im Kreise Gleichgesinnter soll der junge Student Geistes- und Herzensbildung erlangen, sich religiös, staatsbürgerlich und rhetorisch schulen und zuerst im FUCHSEN- , darauf im BURSCHENCONVENT die Anwendung demokratischer Prinzipien lernen. Im Gegensatz zu den Freimaurern strebt der CVer nicht einen Humanismus auf weltanschaulich neutraler Grundlage an, sondern sucht seine Haltung auf der Basis der VIER PRINZIPIEN sehr konkret auf ein katholisches Österreichertum akademischer Prägung auszurichten.

Die VIER PRINZIPIEN sind:

o RELIGIO  (Katholischer Glaube)
o PATRIA    (Bekenntnis zu Österreich)
o SCIENTIA (Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis) und
o AMICITIA (Lebensfreundschaft unter Bundes- und Cartellbrüdern)

Foto: P. Diem
Foto: P. Diem


Es ist unter Akademikern selbstverständlich, dass die genannten vier Grundsätze einem ständigen Diskussionsprozess unterworfen waren und sind. So erfordert das Zeitalter der Ökumene eine ständige Auseinandersetzung mit der Frage, warum nicht auch protestantische Studenten Aufnahme finden können, und die sogenannte "MÄDCHENFRAGE" entzweit ebenfalls seit Jahren die Geister. Tradition und Fortschritt sind als dialektisches Gegensatzpaar meist kontrovers zwischen Alt und Jung - seine fruchtbare Synthese erfolgt im Idealfall nach dem Wahlspruch des ÖCV: "IN NECESSARIIS UNITAS, IN DUBIIS LIBERTAS, IN OMNIBUS CARITAS".

Ein weiterer Gegensatz zu den Freimaurern ist die zusätzliche Außenorientierung der Verbindungs- und Verbandstätigkeit: "FARBE TRAGEN HEISST FARBE BEKENNEN".

Couleurstudenten zeigen ihre Weltanschauung durch das Tragen von BAND und MÜTZE, durch farbenprächtige KOMMERSE und gelegentliche AUFMÄRSCHE, so etwa bei STIFTUNGSFESTEN. Dennoch erinnern viele Symbole und Rituale im couleurstudentischen Bereich - im Mittelschüler-Kartellverband (MKV) in nahezu identischer Form gebraucht - an das maurerische Zeremoniell. Eine umfangreiche Sammlung COULEURSTUDENTISCHER Regeln, der sogenannte COMMENT, dient zur Abwicklung der verschiedenen Verbindungsveranstaltungen.
 
Der FINK (noch nicht korporierter Student) wird von einem Freund GEKEILT, also für eine Verbindung geworben. Er tritt in diese als FUCHS ein und darf das FUCHSENBAND (reduzierte Farben) zur MÜTZE (volle Farben) tragen. Er wählt sich einen LEIBBURSCHEN (Betreuer) und einen COULEURNAMEN, unter dem er in Hinkunft mit dem brüderlichen DU aller CVer begrüßt wird.

In einer launigen Zeremonie wird der KRASSFUCHS zunächst zum BRANDFUCHSEN (mit angesengtem Kork ein wenig "GEBRANDERT") befördert. Nach Ablegung einer BURSCHENPRÜFUNG - vor allem über Studentengeschichte und die Bedeutung der PRINZIPIEN - wird der FUCHS zur BURSCHUNG zugelassen. Diese besteht in der Ablegung eines GELÖBNISSES oder EIDES auf die VERBINDUNGSFAHNE, über welche die CHARGIERTEN die SCHLÄGER (zeremonieller Degen mit Korb in den Verbindungsfarben) kreuzen. Der Senior legt dem NEOBURSCHEN das meist dreifärbige BURSCHENBAND um die Brust und berührt die Schultern des Kandidaten mit dem SCHLÄGER (BURSCHENSCHLAG). Die BURSCHUNG findet auf einer einfachen KNEIPE oder auf einem festlichen KOMMERS, einer nach den Regeln des COMMENTS abgehaltenen Tafelrunde statt.

Gelöbnis bei der Landesvater-Kneipe - Foto: P. Diem
Gelöbnis bei der Landesvater-Kneipe - Foto: P. Diem

Chargierte beim Kommers - Foto: P. Diem
Chargierte beim Kommers - Foto: P. Diem

Die KNEIPE wird von CHARGIERTEN geleitet, das sind die Mitglieder des die Verbindung leitenden CHARGENKABINETTS, die in VOLLER WICHS erscheinen: Der SENIOR, der CONSENIOR und der für die Ausbildung des Nachwuchses zuständige FUCHSMAJOR tragen den FLAUS (geschnürter Rock in der Mützenfarbe) mit SCHÄRPE in den Verbindungsfarben, BUXEN (weiße Reiterhosen) und KANONEN (schwarze, gespornte Schaftstiefel).

"SILENTIUM" wird durch dreimaliges Aufschlagen des SCHLÄGERS auf dem Tisch kommandiert. Die KNEIPE beginnt immer mit dem Lied "GAUDEAMUS IGITUR, JUVENES DUM SUMUS". Der SCHLÄGER wird zum FARBENLIED der Verbindung, zum CV-LIED und zur BUNDESHYMNE GESTRECKT (erhoben). Der BURSCHENEID enthält u.a. die Versicherung, an den PRINZIPIEN der Verbindung unverbrüchlich festhalten zu wollen, das CONVENTSGEHEIMNIS zu wahren (dieses erklärt sich hauptsächlich aus den er- und überlebten Verfolgungen) und allen BUNDESBRÜDERN Freundschaft auf Lebenszeit zu halten. Einen wichtigen Bestandteil der KNEIPE bildet das STUDENTENLIED, das nach der sogenannten BIBEL, dem Kommersbuch, gesungen wird. Der mit der KNEIPE verbundene Bierkonsum wird durch die richtige Anwendung des COMMENTS eingeschränkt, Trinkexzesse kommen in der Praxis sehr selten vor.

Bild 'cv_wappen'
Unter dem zum jährlichen STIFTUNGSFEST noch von manchen Verbindungen "GESTOCHENEN" LANDESVATER ist eine dem Bekenntnis zum österreichischen Vaterland gewidmeten FESTKNEIPE zu verstehen, während welcher man nach alter Tradition (Loyalität zum Landesvater) den HUT (DECKEL, MÜTZE) mit dem SCHLÄGER durchbohrt. Wird ein SALAMANDER GERIEBEN, so bedeutet das, dass nach einem Sprechchor die Gläser lautstark auf den Tisch gestellt werden.

Die KNEIPE zerfällt in OFFICIUM und INOFFICIUM, dem noch eine FIDULITÄT (Ausklang) folgen kann. Die KNEIPE endet im LETZTEN ALLGEMEINEN (Lied) mit der BURSCHEN- und FUCHSENSTROPHE der Verbindung. Auf STIFTUNGSFESTKOMMERSEN und bei anderen festlichen Anlässen wird das CV-Lied gesungen, dessen Text vom Verfasser deises Beitrags stammt. Er wurde anlässlich eines Wettbewerbes 1960 ausgewählt und von der CARTELLVERSAMMLUNG am 28. Mai 1960 einstimmig beschlossen. Die drei Strophen interpretieren die PRINZIPIEN des Cartellverbandes:



Auf des Glaubens Felsengrunde
Stehe du, Cartellverband,
Wohlgeeint zu jeder Stunde,
Treu zu Gott und Vaterland!
Unserm Österreich zur Ehre,
Was auch bringen mag die Zeit,
Und zum Schutze der Altäre
Sieh uns, Herr, im Kampf bereit!     


Nach der Wissenschaft zu streben,
Sei uns allen ernste Pflicht;
Nur der Wahrheit laßt uns leben
In der Freiheit Himmelslicht!
Hohen Zielen aufgeschlossen,
Gilt's die Tat, den ganzen Mann,
Gehet, Brüder, unverdrossen
Unserm Volke stets voran!


Für die Freundschaft, die uns bindet,
Gebt das Letzte freudig hin!
Unser Burschenband verkündet
Diese Bundes schönsten Sinn:
Uns als Brüder zu bewähren,
Jeder treu zum Bunde hält. -
Dir will immer ich gehören,
Heil CV, du meine Welt!

             --> CV-Lied über YouTube abspielen

Der Wahlspruch des ÖCV  lautet: "In necessariis unitas, in dubiis libertas, in ombnibus caritas" (Rupertus Meldenius)

Die demokratische Willensbildung der Verbindung erfolgt auf dem BURSCHENCONVENT, der nach einer strikten Geschäftsordnung abgehalten wird und den GEBURSCHTEN MITGLIEDERN, das sind AKTIVE BURSCHEN und ALTE HERREN (PHILISTER = absolvierte Akademiker), zugänglich ist. Bildungsveranstaltungen (ALLGEMEINE CONVENTE - ACs), Kränzchen und Bälle sind die gesellschaftlichen Anlässe, in denen auch der Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht gepflegt wird.

Zu den festlichen Veranstaltungen gehört auch der gemeinsame Messbesuch. Hochzeiten und Begräbnisse von COULEURSTUDENTEN finden unter Beteiligung der BUNDESBRÜDER und von CHARGIERTEN, die das Geleit geben, statt. Dem Verstorbene werden BAND UND MÜTZE ins Grab mitgegeben und seiner wird auf einer TRAUERKNEIPE gedacht.

--> Gaudeamus igitur, Ausstellungskatalog, nö. Landesmuseum, Nr. 296, Wien, 1991
--> Gerhard Popp, CV in Österreich 1864-1938. Organisation, Binnenstruktur und politische Funktion, Böhlau, Wien, 1984
--> Gerhard Hartmann,  Für Gott und Vaterland - Geschichte und Wirken des CV in Österreich, Lahn, Kevelaer, 2006, 821 Seiten