„Gott erhalte . . . " - die österreichische Volkshymne#
von Peter Diem...die Fahne senkte sich und, aus dem knatternden Wirbel der Trommeln empor erhob sich als das stärkste Symbol jenes unvergeßlichen Vaterlandes der Kindheit in herrlich genauem Zusammenklang der Instrumente mächtig, feierlich und immer wieder erschütternd die begnadete Melodie des „Gott erhalte",
Anton Wildgans, Musik der Kindheit. Leipzig 1928, 47).
Nach den reformfreudigen Kaisern Joseph II. und Leopold II. entwickelte sich Österreich unter dem lange regierenden Franz I. (1792-1835) zu einem Hort des Konservatismus. Die Monarchie stand ziemlich allein gegen den Ansturm der Franzosen und befand sich 1796 in einer bedrängten militärischen Lage. Franz Josef Graf von Saurau, seit 1795 Regierungspräsident von Niederösterreich, war einer der wichtigsten Berater des Kaisers. Als solcher gab er entweder aus eigenem Antrieb oder auf eine Anregung, die ihm der eben aus London heimgekehrte Joseph Haydn über den Präfekten der kaiserlichen Hofbibliothek, Baron Gottfried van Swieten, hatte zukommen lassen, ein der englischen Hymne nachempfundenes „Nazionallied" in Auftrag. Als Komponisten dieses zweifellos auch gegen die Strahlkraft der 1792 entstandenen Marseillaise gerichteten Liedes wählte er Joseph Haydn.
Den Text sollte der einstige Jesuitenpater, Freimaurer, Josephiner und spätere Professor für Ästhetik, der wandlungsfähige und deshalb sehr umstrittene Gelegenheitsdichter Lorenz Leopold Haschka, verfassen. Dieser hatte sich durch antifranzösische und kaisertreue Verse in der Wiener Gesellschaft zu dieser Zeit schon einen Namen gemacht. Am 11. Oktober 1796 übermittelte Haschka vier stark von „God save the King" inspirierte Strophen an Graf Saurau, von denen die erste lautete:
Gott! erhalte Franz den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!
Lange lebe Franz der Kaiser
In des Glückes hellstem Glanz!
Ihm erblühen Lorbeer-Reiser
Wo er geht, zum Ehren-Kranz!
Gott! erhalte Franz den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!
Franz Grasberger, Die Hymnen Österreichs. Tutzing 1968, 24 f.
Joseph Haydn (1732-1809) hatte sich die englische Nationalhymne während seines Aufenthaltes in London notiert. Es ist auch ziemlich wahrscheinlich, daß die 1793 in Berlin erschienene preußische Hymne „Heil dir im Siegerkranz", die ja zur englischen
Melodie gesungen wurde, in Wien schnell bekannt wurde. Die Vertonung der Verse Haschkas erfolgte zwischen Oktober 1796 und Jänner 1797. Haydn wohnte damals im dritten Stock des Hauses „Zu den Sieben Schwaben" am Mehlmarkt, dem heutigen Neuen Markt. Graf Saurau imprimierte die Notenhandschrift am 28. Jänner 1797, vierzehn Tage nach dem Fall der Festung Mantua.
Geplant war eine möglichst weite Verbreitung des Liedes innerhalb der Monarchie bis zum Aufführungstag, dem 12. Februar 1797,
dem 29. Geburtstag des Kaisers. Im Nationaltheater (dem alten Burgtheater) wurde an jenem 12. Februar 1797 der zweite Akt der komischen Oper von Karl Ditters von Dittersdorf „Der Apotheker und der Doktor" und danach das Ballett „Alonzo und Cora" von Joseph Trafieri und Joseph Weigl aufgeführt. Die Wiener sollten in der Krisenzeit durch leichte Theaterkost in Stimmung gehalten werden. Der Kaiser erschien absichtlich zu spät, da er von öffentlichen Feiern nicht viel hielt. Das nützte ihm jedoch nichts. Man hatte den Text auf Handzetteln im Theater verteilt und wartete auf die erste Pause, in welcher man dem Kaiser das neue Lied vorspielte und vorsang. Dieser nahm die Huldigung unter großem Jubel gerührt zur Kenntnis. Johann Gabriel Seidl, der 1854 den endgültigen Text des „Gott erhalte" schrieb, gedachte dieses Anlasses in einem im Versmaß der Hymne gehaltenen achtstrophigen Gedicht. Hier dessen letzte Strophe:
Wie's das erste Mal erklungen,
Wird es klingen fort und fort,
In die Herzen fest verschlungen,
Treuer Völker Losungswort;
Was dem Kaiser gegenüber,
Spricht des Österreichers Mund,
Besser, als sein "Gott erhalte!"
Thut es keine Sprache kund.
Grasberger, a. a. O, 82 f.
Nach einem Bericht der „Wiener Zeitung" (Nr. 15) glückte die Propaganda-Aktion Graf Sauraus auch in anderen Städten des Reiches, so in Graz, in Triest (wo der Text in „wälsche" Verse übersetzt worden war), in der Universitätsbibliothek in Innsbruck, in Ofen, Pest, Brünn, Krakau und in Prag, wo die Böhmen der neuen „Kaiserhymne" allerdings eine ebenso neue „Königshymne" („Gott erhalte unsern König, Gott erhalte Vater Franz . . . " ) vorangesetzt hatten. Eine deutliche Besserung der Kampfmoral der Österreicher war die Folge, obwohl man sagen muss, daß das „Gebetslied" Haydns einen eher defensiven Charakter trägt, vergleicht man es mit der offensiven, die französischen Truppen inspirierenden Marseillaise.
Joseph Haydn liebte seine Komposition sehr und wandelte sie in dem berühmten, am 28. September 1797 in Eisenstadt uraufgeführten „Kaiserquartett" (Hob. III: 77) in bekannter Weise ab. Noch in seinen letzten Lebenstagen soll er sich oft ans Pianoforte gesetzt haben, um das „Gott erhalte" seinem geliebten Kaiser zu Ehren zu intonieren. Kennzeichnend für die bis auf den heutigen Tag populäre Melodie ist der gleichmäßige Rhythmus mit den ruhigen Viertelschritten, unterbrochen durch wenige punktierte Viertel, die den militärischen Charakter unterstreichen. Gleittöne und ein kurzer Vorschlag in der letzten Melodiezeile heben das Lied von den Melodien anderer Hymnen ab. Die Handschriften der Melodie (in mehreren Versionen) befinden sich heute im Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek.
Siehe dazu die Darstellung von Guido P. Saner
Kaiserquartett über YouTube abspielen
Die Hymne verbreitete sich rasch und wurde auch bald im Ausland bekannt. So übersetzte der mit Haydn befreundete Musikhistoriker Charles Burney noch vor der Jahrhundertwende den Text ins Englische. Bald gab es auch Stimmen, die behaupteten, Haydn habe bei seiner Komposition Anleihen bei einem kroatischen Volkslied, bei alten Kirchenliedern, bei Telemann oder gar bei seinem jüngeren Bruder Michael Haydn („Christen singt mit frohem Herzen") genommen. So wurden auch die ersten Töne des gesungenen „Pater noster" zum Vergleich herangezogen. Sieht man sich einige der genannten Melodien bei Grasberger (44 ff.) an, so ist in der Tat eine deutliche Ähnlichkeit einiger Tonfolgen mit den genannten Melodien gegeben. Grasberger weist aber die eigenständige Arbeit Haydns nach, ohne zu verhehlen, daß bestimmte „Reminiszenzen" aus dem allgemeinen Musikschatz bei Haydn wie bei vielen Komponisten vorkommen. So ist es sehr wahrscheinlich, dass Haydn in seiner Jugend oder während seiner Tätigkeit in Eisenstadt mit dem kroatischem Volksliedgut in Berührung gekommen ist. Zu ähnlich ist die Melodie. Hiezu lesen wir in der "Neuen Freien Presse" (Abendblatt) vom 22. Mai 1886 auf Seite 1:
"Man wird sich erinnern, daß vor einiger Zeit im Abgeordnetenhause der czechische Abgeordnete P. Wurm aus Mähren die Behauptung aufstellte, Haydn habe die Melodie der österreichischen Volkshymne, das "Gott erhalte", einem croatischen Volksliede entlehnt. Diese Behauptung blieb damals nicht ohne Widerspruch, und man berief sich dabei namentlich auf Haydn's eigenes schriftliches Zeugniß, das er über seine Autorschaft dieser Tondichtung hinterlassen hat. Nun wird von Agram aus der Versuch gemacht, den croatischen Ursprung der österreichischen Volkshymne nachzuweisen. Es geschieht dies vor dem dortigen Professor Fr. S. Kuhacz in einem Artikel der soeben erschienenen "Croatischen Revue". Derselbe erklärt, daß sich in Haydn's Werken viele Anklänge croatischer Melodien finden und daß dieselben von jenen Croaten herrühren, die in Niederösterreich, in Rohrau (Hayden's Geburtsort, Ramingsbach, Opponitz, Gössing, Weißnach u.s.w.. ferner in Ungarn bei Eisenstadt und Oedenburg leben und den Namen Bosner-Croaten (Wasserkroaten) führen. Professor Kuhacz begab sich, um diesen Zusammenhang zu erforschen, in Haydn's Geburtsort Rohrau, dann nach Hainburg, von wo sein Vater und Großvater stammte, und auch nach Eisenstadt, wo Hayden 29 Jahre Capellmeister der fürstlich Eszterhazn'schen Capelle war, um die Volkslieder der dortigen Croaten zu studiren und zu sammeln. Das Ergebniß dieser Studienreise hat er in der croatischen belletristischen Zeitschrift "Bienac" vom Jahr 1880 veröffentlicht und nachgewiesen, in welchen Symphonien, Quartetten, Messen und dergleichen, Haydn croatische Motive benützt haben soll..."
Den gesamten Artikel nachlesen:
Schon 1897 erscheint darüber ein Buch, in dem sich folgendes Notenbeispiel und die daraus gezogene Schlussfolgerung des Autors findet:
Quelle: A CROATIAN COMPOSER - NOTES TOWARD THE STUDY OF JOSEPH HAYDN by Sir William H. Hadow, First edition in 1897, London (Seely and co. limited), reprinted in 1972, New York (Books for Libraries Press, Freeport, New York)
Das kroatische Volkslied "V jutro rano" ("Früh am Morgen steh' ich auf, kurz vor der Morgenröte") abspielen:
Kaiser Franz hatte 1804 das Kaisertum Österreich proklamiert und 1806 die römisch-deutsche Kaiserwürde niedergelegt; erst als Franz I. von Österreich wurde ihm nach dem Wiener Kongreß 1814/15 auf breitester Basis mit der Haydn-Hymne gehuldigt. Aufgrund ihrer musikalischen Kraft war sie innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einer echten „Volkshymne" geworden. Nach geringfügigen Textänderungen im Zusammenhang mit den beiden Ehen des Herrschers wurde die Hymne mit „Allerhöchster Entschließung" vom 1. Oktober 1826 in der Armee offiziell eingeführt, wo sie, für Militärmusik in großer Besetzung arrangiert, bei entsprechenden Anlässen ohne jede Abänderung zu spielen war. Man war sich des Problems der Vielsprachigkeit der österreichischen Truppen dabei voll bewusst. Franz I. von Österreich starb am 2. März 1835. Für seinen Nachfolger, den unter der Kuratel einer „Staatskonferenz" stehenden Ferdinand, war ein neuer Text nötig. Ein von dem aus Breslau zugezogenen Schauspieler und Dichter Karl von Holtei im Auftrag Metternichs eher widerwillig verfasster Text wurde zwar aufgeführt, wurde aber - offenbar aus Abneigung gegen den nichtösterreichischen Verfasser - nur ein Jahr verwendet. Polizeiminister Josef Graf Sedlnitzky setzte am 12. Februar 1836 einen neuen Text aus der Feder des liberalen Dichters Joseph Christian Freiherr von Zedlitz in Kraft, der bis zur Abdankung Ferdinands am 2. Dezember 1848 in Geltung blieb. Trotz der Übersetzung in mehr als zehn Sprachen der Monarchie wurde der Text, der zwar zum ersten Mal das Wort Österreich enthielt, aus dem sich aber auch die „Milde" Ferdinands erfühlen ließ, nicht populär. Im Volke erwies sich Haschkas „Gott erhalte" weiterhin als zugkräftiger. Das Revolutionsjahr 1848 brachte eine Reihe von Umdichtungsversuchen, doch offiziell blieb weiter der Text von Zedlitz in Kraft. So war noch im fünften Jahr der Regierung Franz Josephs kein entsprechender Text vorhanden, was etwa Adalbert Stifter 1853 zu einer ausführlichen Eingabe veranlasste. In dieser erhob er die Forderung nach einem Text, der unabhängig vom jeweiligen Herrscher auf Dauer Geltung haben und ohne „Anspielungen auf trübe vorübergehende Zeitereignisse" auskommen sollte. Dauernd wechselnde Texte könne man überdies nicht lernen. Man solle doch einfach Franz Grillparzer beauftragen, da die Melodie des großen Tondichters Haydn nach dem Text eines großen Wortdichters verlange. Adalbert Stifter wusste nicht, daß Grillparzer schon im Frühjahr 1853 aufgefordert worden war, diesbezüglich zur Feder zu greifen. Er hatte am 20. April 1853 einen drei Jahre alten Entwurf überreicht, den er in seinem Begleitschreiben selbst als „verfehlte Arbeit" bezeichnete. Der Minister des Inneren, Alexander Freiherr von Bach, war in der Tat nicht begeistert und bereitete in aller Eile eine begrenzte Ausschreibung vor, da bis zur Vermählung des Kaisers mit Elisabeth am 25. April 1854 ein Hymnentext vorliegen sollte.Am 22. März 1854 legte Bach seine Erwägungen vor, in denen er insbesondere darauf verwies, daß der Text genau auf die im Volk bereits verwurzelte Melodie Haydns passen müsse und überdies auch bei einem Herrscherwechsel nicht hinfällig werden dürfe. Die Worte sollten auch dem einfachen Volke verständlich sein. Nach seiner Ansicht treffe dies alles auf den Entwurf Grillparzers nicht zu, sehr wohl aber auf den Text von Johann Gabriel Seidl, der als Kustos des „Münz- und Antikencabinetes" ebenfalls ein im In- und Ausland angesehener Dichter sei. Seidl hatte die ersten vier Verse des Textes noch zugunsten der Wendung „Gott erhalte" modifizieren müssen (man konnte dabei auf eine frühere Einsendung eines gewissen Alois Moshammer zurückgreifen, der gedichtet hatte: „Gott erhalte und beschütze/unsern Kaiser, unser Land/unsrer Hoffnung schönste Stütze/unsrer Liebe Unterpfand").
Die Volkshymne beim Requiem für Otto von Habsburg am 16. Juli 2011
Man beachte, dass Seidl die ursprünglich vierstrophige Hymne in ihrer letzten Zeile mit einer Paraphrase auf das AEIOU („Austria Erit In Orbe Ultima" - vgl. den diesbezüglichen Beitrag) enden ließ. Der Kaiser akzeptierte den Text mit „Allerhöchstem Handbillet" vom 27. März 1854 und verfügte gleichzeitig seine freie Übersetzung in die verschiedenen Sprachen der Monarchie.
Hier die "Volkshymne" in den wichtigsten Sprachen der Donaumonarchie:
Hier ein anti-großdeutscher Entwurffür den Text der Österreichischen Volkshymne aus dem Jahre 1849 -
“Deutsche, Ungarn und Dalmaten,
Slav’, Lombarde und Kroat,
Seien einig im beraten
Und auch einig in der Tat!
Um dem Vaterland zu geben
Neuen Glanz und neuen Ruhm -
Mit vereinter Kraft erstreben
Wir ein mächtig Kaisertum.”
Johann Gabriel Seidl wurde das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens verliehen. Neben dem Text der Haydn-Hymne verfasste Seidl auch weitere Liedtexte, die von Schumann, Schubert und Loewe („Die Uhr") vertont wurden. Sein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof befindet sich in der Gruppe O/10 an der Friedhofsmauer links vom Haupttor. Es ist interessant - und bezeichnend - , dass die „Wiener Zeitung" die Ordensverleihung an Seidl am 9. April 1854 im „Amtlichen Teil" verlautbarte, während der neue Hymnentext im „Nichtamtlichen Teil" dargestellt und analysiert wurde.
Nun war ein einheitlicher, beständiger Text gefunden, der selbst nach der Ermordung Kaiserin Elisabeths am 10. September 1898 nicht geändert wurde, weil sich niemand einen diesbezüglichen Vortrag an den Kaiser zutraute. In der Praxis freilich wurde die fünfte Strophe weggelassen. So reichte der Text Johann Gabriel Seidls bis hinein ins zwanzigste Jahrhundert. Die Worte zur nunmehr bald zweihundertjährigen Melodie überlebten Franz Joseph und überlebten sogar das Ende der Monarchie, da eine Änderung der letzten Strophe, verfasst von Franz Karl Ginzkey und Kaiser Karl noch am 11. Mai 1918 vorgetragen, im Kanonendonner der letzten Kriegsmonate unterging. Zwei Tage vor der Ausrufung der Republik, am 10. November 1918, wurde mit der Orgel im Schloß Schönbrunn zum letzten Mal das „Gott erhalte" angestimmt.
Die tief ins Volk reichende Wirkung der jahrzehntelang demselben Monarchen gewidmeten, von der genialen Melodie Haydns getragenen und bis heute unvergessenen Kaiserhymne, die auf so unglückliche Weise mit der größten Katastrophe unseres Jahrhunderts verquickt werden sollte, drückte Franz Grillparzer, der seinerzeit den textlichen Anforderungen des Liedes nicht gewachsen gewesen war, 1858 in einem wunderschönen, schlichten Gedicht aus:
Als ich noch ein Knabe war,
Rein und ohne Falte,
Klang das Lied mir wunderbar,
Jenes „Gott erhalte".
Selbst in Mitte der Gefahr,
Von Getös' umrungen,
Hört' ich's, weit entfernt, doch klar
Wie von Engelszungen.
Und nun, müd' und wegeskrank.
Alt, doch auch der alte,
Sprech' ich Hoffnung aus und Dank
Durch das „ Gott erhalte".
Von der legitimistischen Bewegung über die Jahrzehnte in Ehren gehalten, gelang es der alten Hymne immer wieder, sich in Österreich Öffentlichkeit zu verschaffen. So erklang das Lied am Ende des Requiems für Kaiserin Zita am 1. April 1989 zusammen mit der ungarischen Hymne im Wiener Stephansdom, live übertragen vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Zweiten Republik. Schon das Abspielen des „Kaiserquartetts" erweckt in manchen Österreichern soviel an Respekt und Reminiszenz, dass sie sich mehr unbewusst als bewusst von den Sitzen erheben, besonders wenn es sich um akademische Feiern handelt. Sogar Dr. Hertha Firnberg (1909-1993), sozialistische Wissenschaftsministerin, ist diesem Reflex einmal in aller Öffentlichkeit erlegen.
Eine Meinung aus dem Jahr 1945#
In seinem bis 2018 unveröffentlichten Werk "Die Geschichte des österreichischen Volkes (1944/45)" schreibt Ernst Karl Winter:Ein mutiger ungarischer Denker unserer Zeit, der keinesfalls einer tieferen Sympathie für das Österreichische ermangelt, hat einmal festgestellt, dass alle Nationen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ihre nationalen Hymnen besitzen, in denen das Volk, das Land, die Heimat besungen werden, nur die Deutsch-Österreicher nicht, die zwar ein Kaiserlied haben, aber kein Volkslied in dem höchsten politischen Sinne des Wortes, durch den die geheiligte Weise eines Volkes zu seiner nationalen Hymne wird. Er hätte hinzufügen können, dass die Österreicher zwar die Melodie einer wirklichen Volkshymne besitzen, erwachsen aus den heiligen Schätzen der Landschaft, in der deutschsprechende Österreicher, Madjaren und Kroaten zusammentreffen (von denen die letzteren das Originellste zu Haydns Melodienreichtum beigesteuert haben), dass aber bisher der rechte Text dazu fehlt. Er hätte auch darauf hinweisen können, dass gerade diese Tatsache die eigentliche Lösung des Rätsels ist, wieso diese Melodie ohne Worte missbraucht werden konnte, um einem ganz anders gearteten nationalen Wesen als Text untergelegt zu werden. Es ist vielleicht in der Tat das Abschließendste, das über das große Experiment gesagt werden kann, das heute in Österreich unternommen wird – dass es sein Ziel erreicht haben wird, sobald es gelungen ist, zur alten Melodie den neuen Text zu finden. Der neue österreichische Staat wird dann fest begründet sein, wenn der Missbrauch der alten Melodie durch einen falschen Text ebenso einer toten Vergangenheit angehören wird wie die Furcht vor der alten Melodie, weil einmal ein alter Text, der einem neuen weichen musste, zu ihr gepasst hat.
Auf alle Fälle ist die Aufgabe einer Neudeutung der österreichischen Geschichte durch nichts besser zu umschreiben als durch das Auffinden und Herstellen des neuen Wortlauts, auf den die alte Weise wartet.
Die Volkshymne Haydns in Werken anderer Komponisten
Die Popularität der Volkshymne von J. Haydn veranlasste viele Komponisten, in patriotische Werke Teile davon,
mitunter auch die gesamte Hymne, einzuarbeiten. Haydn selbst schrieb noch im selben Jahr 1797 das Kaiserquartett,
in welchem er im 2. Satz das Thema seiner Volkshymne variierte.
Einige Beispiele:
- Anton(io) Salieri: Der Tyroler Landsturm, Eine Cantate, Op. 100, 1799
- Carl Czerny (mit Tonbeispiel)
- Johann Strauß Sohn: Kaiser-Franz-Joseph I. Rettungs-Jubel-Marsch,Op. 126, 1853,
Myrthenkränze Walzer, Op. 154, 1854
- Friedrich Smetana: Triumph-Symphonie, Op 6, 1854
- Josef Franz Wagner: Kaiser-Jubiläums-Walzer, Op. 89, 1878
- Alfons Czibulka: Österreichische Militär-Revue (Parade in Schönbrunn), Op. 377, ca 1892
- Johann Novotny: Aller Ehren ist Österreich voll, Op. 28 (Austria-M./92-er Regiments-M)
- Karl Mühlberger: Tiroler Kaiserjäger Marsch, Op. 42, 1914
- Anton Mader: Lovčen-Marsch, 1915
- Heribert Raich: Kaiservillamarsch, 2004
- Klaus Ifkovits: Aspern-Marsch, Op.3, 2009
Weiters finden sich Teile der Volkshymne oder des Kaiserquartetts in Fugen, Adagios, Orgelwerken, etc. (Für diese Hinweise bedanke ich mich bei Klaus Ifkovits)
Zum Thema "Volkshymne" unternahm Karl Kraus in der „Fackel" (Nr. 554-556, S. 56-60 f.) im November 1920 folgendes Gedankenexperiment:
"Die erhabene Melodie Haydns ist, seit jenes Österreich nicht mehr ewig steht, dem Hörer verloren und darf höchstens noch von dankbaren Schiebern, die dem Fundament ihres Aufschwungs ihre Pietät bekunden wollen, in Champagnerlokalen
gegröhlt werden. Hört man sie aber von demonstrierenden Studenten singen, so erhält man die auch nicht beruhigende
Auskunft, es sei »Deutschland, Deutschland über alles«. Die Melodie war seit jeher, seit dem guten Kaiser Franz, schlecht aufgehoben. Die Vorstellung, dass die göttlichen Klänge sich eigens zur Ehre jenes Scheusals gefügt haben, das sich über die Martern seiner Patienten vom Spielberg stündlich berichten ließ, hat etwas Beklemmendes. Wenn möglich noch trostloser aber war die siebzigjährige Beleidigung ihrer Majestät durch den fromm und biedern Text Johann Gabriel Seidls, der ihn, wie staunende Literarhistoriker erzählen, »binnen einer Woche« verfassen musste. Ich habe, ohne amtlichen Auftrag der Republik, zu dem meinigen nicht so lange gebraucht, hoffe aber, dass seine Wirksamkeit länger vorhalten und dass die Zeit nicht mehr wiederkommen wird, wo die Erwachsenen jener Fibelanweisung parieren, Gut und Blut für unsern Kaiser herzugeben. Seidl’s Gedicht, der Prätext volkstümlicher Gefühle, war ein Kaiserlied und nur insofern eine Volkshymne, als das Volk von Kindheit auf dressiert wurde, ein Kaiserlied zu singen. Hingegen ist das Bedürfnis nach einer republikanischen Volkshymne bisher auf eine Art befriedigt worden, die keiner näheren Erläuterung bedarf, aber als ein Beweis der persönlichen Opferfähigkeit eines mit Regierungssorgen überhäuften Staatskanzlers weit mehr Bedauern als Hohn verdient hat (Hinweis auf den Textentwurf Karl Renners vom Mai 1920 - pd). Die gutgemeinte Arbeit war nicht so sehr die revolutionäre Absage an den Geist, der die Volkskraft gebunden hatte, um sie für seine Machtbestrebungen zu zerstören, als ein Versuch mit untauglichen dichterischen Mitteln, eine habgierige Bauernschaft zu vermehrter Getreideablieferung zu bewegen und ihr den weiten Abstand vorzuhalten, in welchem sie sich von dem ihr vorgespiegelten ethischen Ideal derzeit noch befindet. Wenn aber Renner und Johann Gabriel Seidl doch wenigstens das Gemeinsame haben, dass sie beide keine Dichter sind, so hieß es gewiß die Tragfähigkeit, die noch das schlechteste musikalische Erlebnis hat, unterschätzen, wenn man der Meinung war, einen Volksgesang von der Genialität der Haydn’schen Komposition, der doch imstande war, den niedersten Schranzensinn auf seine Flügel zu nehmen und so erst eigentlich »einzubürgern«, durch Kienzl’sche Kraft entwurzeln zu können. Niemand wird aber die Behauptung wagen, dass die Klänge der sogenannten Volkshymne, und mögen sie noch so sehr mit dem hohlen Wortprunk der dynastischen Verklärung assoziiert sein, dem Pathos eines andersgerichteten vaterländischen Bekenntnisses an sich widerstreben.
Bis das Vaterlandsbewusstsein zu einer neuen Melodie gereift ist und bis sich ihm eine solche schenkt, konnte es also nur darauf ankommen, den imperialen Wortbestand mit einem neuen, dem gegenteiligen Sinn zu erfüllen. Diese Opposition innerhalb der überlieferten Wortreihen, die nun gleichsam zur Meuterung gegen eine abgehauste Tendenz und zu einem andern, lebendigeren Dasein aufstehen, ist der Gedanke meiner Umdichtung. Es sind nicht nur alle Reime, sondern auch fast alle Reimworte übernommen, und kaum vermöchte ein simpler monarchistischer Hörer, dessen Ehrfurcht vor Seidls Text größer ist als vor Haydns Musik und dessen Ohr nun von ihr mit dem neuen Sinn überlistet wird, den so wesentlichen Unterschied herauszuhören. Die letzte Strophe allein, die sich des Anspruchs auf die erlauchten Klänge schon dadurch würdig macht, dass sie das schale Kompliment für eine Frau, die »reich an Reiz, der nie veraltet«, zum Gruß an die landschaftliche Natur erhebt und die Natur der Gefühle von dem Reimwort »Elisen« zugunsten der Wälder und Wiesen erlöst — bewirkt auch durch die Rückkehr zu den ersten Reimpaaren des Gedichts eine gedankliche Einheit. Man beachte ferner, welche sprachliche Verstärkung die wörtlich wiederholten Verse — ein Plagiat, das selbst Ehrenstein bemerken muss — durch die neue Einstellung und die Vorbereitung auf die dann abweichenden erfahren haben, und wie überhaupt jedes Seidl-Wort nicht nur durch die Ausspielung gegen sich selbst, sondern auch mit dem neuen Sinn als solchem zu neuem Verdienst gediehen ist. Die Erlaubnis Haydns, der ja auch nicht gefragt wurde, als ihm der Text für Franz Joseph angedichtet ward, die Entscheidung, ob er heute einem Popanz der Glorie oder einer aus dem Völkermord geretteten, vor dem Völkermord rettenden Staats- und Lebensform sein musikalisches Pathos weihen wollte, steht über allem Zweifel.
Denn dass ihm durch den neuen Wert und den neuen Willen dieser sich selbst abtrünnigen und nun erst zu sich zurückfindenden Worte mehr Ehre widerfährt als durch die Bürgerschulapotheose der alten Fassung, würden bloß jene leugnen, die für Sprache und Leben nur die Heiligkeit des Ornaments anerkennen und, bis ans Ende der Welt, der Phrasen wie der Lorbeerreiser eingedenk bleiben. Freilich, wo der alte Text der Volkshymne am Bewusstsein klebt, ist die Unterstellung eines andern oder gegen sich selbst gewendeten unter die alte Melodie ein Problem, indem eine noch stofflich befangene Vorstellung entweder gekränkt oder erheitert, also jedenfalls ein Eindruck bewirkt würde, der mit der Majestät der Musik nicht in Einklang zu bringen ist. Diese Gestaltung jedoch glaubt ihr gerade dadurch Ehrfurcht zu erweisen, dass sie sie dem Dienst allzu irdischer Majestät entzieht, indem es ihr gelänge, sie wenn schon nicht mit einem streitbaren Sinn völlig zu verbinden, so doch von einem hassenswerten dauernd zu trennen. Da sie die alte Lüge beim Wort nahm und die Befreiung von dem monarchischen Druck nicht eigentlicher als in der Zerstörung des monarchistischen Textes zum Gefühl bringen konnte, erhofft sie sich ihre Wirksamkeit auf eine Hörerschaft, die das Bedürfnis hat, sich durch die Bewusstseinsschlacken einer lügenvollen Vergangenheit zu einem wahreren Leben emporzuringen." (Neue Rechtschreibung und Hervorhebungen - pd)
Demgegenüber sangen bürgerliche, liberale und monarchistische Kreise in den ersten Jahren der Republik:
Gott erhalte, Gott beschütze
Unsern Renner, unsern Seitz,
Gott erhalte vorsichtshalber
Auch den Kaiser in der Schweiz.
Eine ausführliche Darstellung des Schicksals der Haydn-Hymne findet sich jüngst bei
Vgl. den Schluss von B. Smetanas Triumphsymphonie anlässlich der Hochzeit von Kaiser Franz Josef und Elisabeth von Bayern.
Guido P. Saner: Haydn, ... "unser Papa", Wien, 2008, S. 270-277
Peter Wehle: Haydn, Haydn über alles, Ein Lesebuch zum Nachschlagen, Wien, 2008, S. 119-136