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halt. »Der Staatsanwalt Hasterer ist mein guter Freund«, sagte er, »kann ich
ihm telephonieren?« »Gewiß«, sagte der Aufseher, »aber ich weiß nicht,
welchen Sinn das haben sollte, es müßte denn sein, daß Sie irgendeine private
Angelegenheit mit ihm zu besprechen haben.« »Welchen Sinn?« rief K., mehr
bestürzt als geärgert. »Wer sind Sie denn? Sie wollen einen Sinn und führen
dieses Sinnloseste auf, das es gibt? Ist es nicht zum Steinerweichen? Die
Herren haben mich zuerst überfallen, und jetzt sitzen oder stehen sie hier
herum und lassen mich vor Ihnen die Hohe Schule reiten. Welchen Sinn es
hätte, an einen Staatsanwalt zu telephonieren, wenn ich angeblich verhaftet
bin? Gut, ich werde nicht telephonieren.« »Aber doch«, sagte der Aufseher
und streckte die Hand zum Vorzimmer aus, wo das Telephon war, »bitte,
telephonieren Sie doch.« »Nein, ich will nicht mehr«, sagte K. und ging zum
Fenster. Drüben war noch die Gesellschaft beim Fenster und schien nur jetzt
dadurch, daß K. ans Fenster herangetreten war, in der Ruhe des Zuschauens
ein wenig gestört. Die Alten wollten sich erheben, aber der Mann hinter ihnen
beruhigte sie. »Dort sind auch solche Zuschauer«, rief K. ganz laut dem
Aufseher zu und zeigte mit dem Zeigefinger hinaus. »Weg von dort«, rief er
dann hinüber. Die drei wichen auch sofort ein paar Schritte zurück, die beiden
Alten sogar noch hinter den Mann, der sie mit seinem breiten Körper deckte
und, nach seinen Mundbewegungen zu schließen, irgend etwas auf die
Entfernung hin Unverständliches sagte. Ganz aber verschwanden sie nicht,
sondern schienen auf den Augenblick zu warten, in dem sie sich unbemerkt
wieder dem Fenster nähern könnten. »Zudringliche, rücksichtslose Leute!«
sagte K., als er sich ins Zimmer zurückwendete. Der Aufseher stimmte ihm
möglicherweise zu, wie K. mit einem Seitenblick zu erkennen glaubte. Aber
es war ebensogut möglich, daß er gar nicht zugehört hatte, denn er hatte eine
Hand fest auf den Tisch gedrückt und schien die Finger ihrer Länge nach zu
vergleichen. Die zwei Wächter saßen auf einem mit einer Schmuckdecke
verhüllten Koffer und rieben ihre Knie. Die drei jungen Leute hatten die
Hände in die Hüften gelegt und sahen ziellos herum. Es war still wie in
irgendeinem vergessenen Büro. »Nun, meine Herren«, rief K., es schien ihm
einen Augenblick lang, als trage er alle auf seinen Schultern, »Ihrem
Aussehen nach zu schließen, dürfte meine Angelegenheit beendet sein. Ich
bin der Ansicht, daß es am besten ist, über die Berechtigung oder
Nichtberechtigung Ihres Vorgehens nicht mehr nachzudenken und der Sache
durch einen gegenseitigen Händedruck einen versöhnlichen Abschluß zu
geben. Wenn auch Sie meiner Ansicht sind, dann bitte -« und er trat an den
Tisch des Aufsehers hin und reichte ihm die Hand. Der Aufseher hob die
Augen, nagte an den Lippen und sah auf K.s ausgestreckte Hand; noch immer
glaubte K., der Aufseher werde einschlagen. Dieser aber stand auf, nahm
einen harten, runden Hut, der auf Fräulein Bürstners Bett lag, und setzte sich
ihn vorsichtig mit beiden Händen auf, wie man es bei der Anprobe neuer Hüte
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155