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Bluse. Und jetzt fängt es an. Ja, ich vergesse mich. Die wichtigste Person,
also ich, stehe hier vor dem Tischchen. Der Aufseher sitzt äußerst bequem,
die Beine übereinandergelegt, den Arm hier über die Lehne hinunterhängend,
ein Lümmel sondergleichen. Und jetzt fängt es also wirklich an. Der Aufseher
ruft, als ob er mich wecken müßte, er schreit geradezu, ich muß leider, wenn
ich es Ihnen begreiflich machen will, auch schreien, es ist übrigens nur mein
Name, den er so schreit.« Fräulein Bürstner, die lachend zuhörte, legte den
Zeigefinger an den Mund, um K. am Schreien zu hindern, aber es war zu spät.
K. war zu sehr in der Rolle, er rief langsam: »Josef K.!«, übrigens nicht so
laut, wie er gedroht hatte, aber doch so, daß sich der Ruf, nachdem er
plötzlich ausgestoßen war, erst allmählich im Zimmer zu verbreiten schien.
Da klopfte es an die Tür des Nebenzimmers einigemal, stark, kurz und
regelmäßig. Fräulein Bürstner erbleichte und legte die Hand aufs Herz. K.
erschrak deshalb besonders stark, weil er noch ein Weilchen ganz unfähig
gewesen war, an etwas anderes zu denken als an die Vorfälle des Morgens und
an das Mädchen, dem er sie vorführte. Kaum hatte er sich gefaßt, sprang er zu
Fräulein Bürstner und nahm ihre Hand. »Fürchten Sie nichts«, flüsterte er,
»ich werde alles in Ordnung bringen. Wer kann es aber sein? Hier nebenan ist
doch nur das Wohnzimmer, in dem niemand schläft.« »Doch«, flüsterte
Fräulein Bürstner an K.s Ohr, »seit gestern schläft hier ein Neffe von Frau
Grubach, ein Hauptmann. Es ist gerade kein anderes Zimmer frei. Auch ich
habe es vergessen. Daß Sie so schreien mußten! Ich bin unglücklich darüber.«
»Dafür ist gar kein Grund«, sagte K. und küßte, als sie jetzt auf das Kissen
zurücksank, ihre Stirn. »Weg, weg«, sagte sie und richtete sich eilig wieder
auf, »gehen Sie doch, gehen Sie doch, was wollen Sie, er horcht doch an der
Tür, er hört doch alles. Wie Sie mich quälen!« »Ich gehe nicht früher«, sagte
K., »als Sie ein wenig beruhigt sind. Kommen Sie in die andere Ecke des
Zimmers, dort kann er uns nicht hören.« Sie ließ sich dorthin führen. »Sie
überlegen nicht«, sagte er, »daß es sich zwar um eine Unannehmlichkeit für
Sie handelt, aber durchaus nicht um eine Gefahr. Sie wissen, wie mich Frau
Grubach, die in dieser Sache doch entscheidet, besonders da der Hauptmann
ihr Neffe ist, geradezu verehrt und alles, was ich sage, unbedingt glaubt. Sie
ist auch im übrigen von mir abhängig, denn sie hat eine größere Summe von
mir geliehen. Jeden Ihrer Vorschläge über eine Erklärung für unser
Beisammen nehme ich an, wenn es nur ein wenig zweckentsprechend ist, und
verbürge mich, Frau Grubach dazu zu bringen, die Erklärung nicht nur vor
der Öffentlichkeit, sondern wirklich und aufrichtig zu glauben. Mich müssen
Sie dabei in keiner Weise schonen. Wollen Sie verbreitet haben, daß ich Sie
überfallen habe, so wird Frau Grubach in diesem Sinne unterrichtet werden
und wird es glauben, ohne das Vertrauen zu mir zu verlieren, so sehr hängt sie
an mir.« Fräulein Bürstner sah, still und ein wenig zusammengesunken, vor
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155