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K. unmittelbare Freude, denn er schien von den Worten sofort getroffen zu
werden. Er hatte bisher stehend zugehört, denn er war von K.s Ansprache
überrascht worden, während er sich für die Galerie aufgerichtet hatte. Jetzt, in
der Pause, setzte er sich allmählich, als sollte es nicht bemerkt werden.
Wahrscheinlich um seine Miene zu beruhigen, nahm er wieder das Heftchen
vor.
»Es hilft nichts«, fuhr K. fort, »auch Ihr Heftchen, Herr
Untersuchungsrichter, bestätigt, was ich sage.« Zufrieden damit, nur seine
ruhigen Worte in der fremden Versammlung zu hören, wagte es K. sogar,
kurzerhand das Heft dem Untersuchungsrichter wegzunehmen und es mit den
Fingerspitzen, als scheue er sich davor, an einem mittleren Blatte
hochzuheben, so daß beiderseits die engbeschriebenen, fleckigen,
gelbrandigen Blätter hinunterhingen. »Das sind die Akten des
Untersuchungsrichters«, sagte er und ließ das Heft auf den Tisch
hinunterfallen. »Lesen Sie darin ruhig weiter, Herr Untersuchungsrichter, vor
diesem Schuldbuch fürchte ich mich wahrhaftig nicht, obwohl es mir
unzugänglich ist, denn ich kann es nur mit zwei Fingern anfassen und würde
es nicht in die Hand nehmen.« Es konnte nur ein Zeichen tiefer Demütigung
sein oder es mußte zumindest so aufgefaßt werden, daß der
Untersuchungsrichter nach dem Heftchen, wie es auf den Tisch gefallen war,
griff, es ein wenig in Ordnung zu bringen suchte und es wieder vornahm, um
darin zu lesen.
Die Gesichter der Leute in der ersten Reihe waren so gespannt auf K.
gerichtet, daß er ein Weilchen lang zu ihnen hinuntersah. Es waren durchwegs
ältere Männer, einige waren weißbärtig. Waren vielleicht sie die
Entscheidenden, die die ganze Versammlung beeinflussen konnten, welche
auch durch die Demütigung des Untersuchungsrichters sich nicht aus der
Regungslosigkeit bringen ließ, in welche sie seit K.s Rede versunken war?
»Was mir geschehen ist«, fuhr K. fort, etwas leiser als früher, und suchte
immer wieder die Gesichter der ersten Reihe ab, was seiner Rede einen etwas
fahrigen Ausdruck gab, »was mir geschehen ist, ist ja nur ein einzelner Fall
und als solcher nicht sehr wichtig, da ich es nicht sehr schwer nehme, aber es
ist das Zeichen eines Verfahrens, wie es gegen viele geübt wird. Für diese
stehe ich hier ein, nicht für mich.«
Er hatte unwillkürlich seine Stimme erhoben. Irgendwo klatschte jemand
mit erhobenen Händen und rief: »Bravo! Warum denn nicht? Bravo! Und
wieder Bravo!« Die in der ersten Reihe griffen hier und da in ihre Bärte,
keiner kehrte sich wegen des Ausrufs um. Auch K. maß ihm keine Bedeutung
bei, war aber doch aufgemuntert; er hielt es jetzt gar nicht mehr für nötig, daß
alle Beifall klatschten, es genügte, wenn die Allgemeinheit über die Sache
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155