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infolge falscher Perspektive nur mühsam einander zuwendeten. K. blätterte
nicht weiter, sondern schlug nur noch das Titelblatt des zweiten Buches auf,
es war ein Roman mit dem Titel: »Die Plagen, welche Grete von ihrem
Manne Hans zu erleiden hatte.« »Das sind die Gesetzbücher, die hier studiert
werden«, sagte K., »von solchen Menschen soll ich gerichtet werden.« »Ich
werde Ihnen helfen«, sagte die Frau. »Wollen Sie?« »Könnten Sie denn das
wirklich, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen? Sie sagten doch vorhin, Ihr
Mann sei sehr abhängig von Vorgesetzten.« »Trotzdem will ich Ihnen helfen«,
sagte die Frau, »kommen Sie, wir müssen es besprechen. Über meine Gefahr
reden Sie nicht mehr, ich fürchte die Gefahr nur dort, wo ich sie fürchten will.
Kommen Sie.« Sie zeigte auf das Podium und bat ihn, sich mit ihr auf die
Stufe zu setzen. »Sie haben schöne dunkle Augen«, sagte sie, nachdem sie
sich gesetzt hatten, und sah K. von unten ins Gesicht, »man sagt mir, ich hätte
auch schöne Augen, aber Ihre sind viel schöner. Sie fielen mir übrigens gleich
damals auf, als Sie zum erstenmal hier eintraten. Sie waren auch der Grund,
warum ich dann später hierher ins Versammlungszimmer ging, was ich sonst
niemals tue und was mir sogar gewissermaßen verboten ist.« Das ist also
alles, dachte K., sie bietet sich mir an, sie ist verdorben wie alle hier rings
herum, sie hat die Gerichtsbeamten satt, was ja begreiflich ist, und begrüßt
deshalb jeden beliebigen Fremden mit einem Kompliment wegen seiner
Augen. Und K. stand stillschweigend auf, als hätte er seine Gedanken laut
ausgesprochen und dadurch der Frau sein Verhalten erklärt. »Ich glaube nicht,
daß Sie mir helfen können«, sagte er, »um mir wirklich zu helfen, müßte man
Beziehungen zu hohen Beamten haben. Sie aber kennen gewiß nur die
niedrigen Angestellten, die sich hier in Mengen herumtreiben. Diese kennen
Sie gewiß sehr gut und könnten bei ihnen auch manches durchsetzen, das
bezweifle ich nicht, aber das Größte, was man bei ihnen durchsetzen könnte,
wäre für den endgültigen Ausgang des Prozesses gänzlich belanglos. Sie aber
hätten sich dadurch doch einige Freunde verscherzt. Das will ich nicht.
Führen Sie Ihr bisheriges Verhältnis zu diesen Leuten weiter, es scheint mir
nämlich, daß es Ihnen unentbehrlich ist. Ich sage das nicht ohne Bedauern,
denn, um Ihr Kompliment doch auch irgendwie zu erwidern, auch Sie
gefallen mir gut, besonders wenn Sie mich wie jetzt so traurig ansehen, wozu
übrigens für Sie gar kein Grund ist. Sie gehören zu der Gesellschaft, die ich
bekämpfen muß, befinden sich aber in ihr sehr wohl, Sie lieben sogar den
Studenten, und wenn Sie ihn nicht lieben, so ziehen Sie ihn doch wenigstens
Ihrem Manne vor. Das konnte man aus Ihren Worten leicht erkennen.«
»Nein!« rief sie, blieb sitzen und griff nach K.s Hand, die er ihr nicht rasch
genug entzog. »Sie dürfen jetzt nicht weggehen, Sie dürfen nicht mit einem
falschen Urteil über mich weggehen! Brächten Sie es wirklich zustande, jetzt
wegzugehen? Bin ich wirklich so wertlos, daß Sie mir nicht einmal den
Gefallen tun wollen, noch ein kleines Weilchen hierzubleiben?« »Sie
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155