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sein müssen.« »Ja«, sagte der Gerichtsdiener, »es sind Angeklagte, alle, die
Sie hier sehn, sind Angeklagte.« »Wirklich!« sagte K. »Dann sind es ja meine
Kollegen.« Und er wandte sich an den nächsten, einen großen, schlanken,
schon fast grauhaarigen Mann. »Worauf warten Sie hier?« fragte K. höflich.
Die unerwartete Ansprache aber machte den Mann verwirrt, was um so
peinlicher aussah, da es sich offenbar um einen welterfahrenen Menschen
handelte, der anderswo gewiß sich zu beherrschen verstand und die
Überlegenheit, die er sich über viele erworben hatte, nicht leicht aufgab. Hier
aber wußte er auf eine so einfache Frage nicht zu antworten und sah auf die
anderen hin, als seien sie verpflichtet, ihm zu helfen, und als könne niemand
von ihm eine Antwort verlangen, wenn diese Hilfe ausbliebe. Da trat der
Gerichtsdiener hinzu und sagte, um den Mann zu beruhigen und
aufzumuntern: »Der Herr hier fragt ja nur, worauf Sie warten. Antworten Sie
doch.« Die ihm wahrscheinlich bekannte Stimme des Gerichtsdieners wirkte
besser: »Ich warte -« begann er und stockte. Offenbar hatte er diesen Anfang
gewählt, um ganz genau auf die Fragestellung zu antworten, fand aber jetzt
die Fortsetzung nicht. Einige der Wartenden hatten sich genähert und
umstanden die Gruppe, der Gerichtsdiener sagte zu ihnen: »Weg, weg, macht
den Gang frei.« Sie wichen ein wenig zurück, aber nicht bis zu ihren früheren
Sitzen. Inzwischen hatte sich der Gefragte gesammelt und antwortete sogar
mit einem kleinen Lächeln: »Ich habe vor einem Monat einige Beweisanträge
in meiner Sache gemacht und warte auf die Erledigung.« »Sie scheinen sich ja
viele Mühe zu geben«, sagte K. »Ja«, sagte der Mann, »es ist ja meine
Sache.« »Jeder denkt nicht so wie Sie«, sagte K., »ich zum Beispiel bin auch
angeklagt, habe aber, so wahr ich selig werden will, weder einen
Beweisantrag gestellt, noch auch sonst irgend etwas Derartiges unternommen.
Halten Sie denn das für nötig?« »Ich weiß nicht genau«, sagte der Mann
wieder in vollständiger Unsicherheit; er glaubte offenbar, K. mache mit ihm
einen Scherz, deshalb hätte er wahrscheinlich am liebsten, aus Furcht,
irgendeinen neuen Fehler zu machen, seine frühere Antwort ganz wiederholt,
vor K.s ungeduldigem Blick aber sagte er nur: »Was mich betrifft, ich habe
Beweisanträge gestellt.« »Sie glauben wohl nicht, daß ich angeklagt bin?«
fragte K. »O bitte, gewiß«, sagte der Mann, und trat ein wenig zur Seite, aber
in der Antwort war nicht Glaube, sondern nur Angst. »Sie glauben mir also
nicht?« fragte K. und faßte ihn, unbewußt durch das demütige Wesen des
Mannes aufgefordert, beim Arm, als wolle er ihn zum Glauben zwingen. Aber
er wollte ihm nicht Schmerz bereiten, hatte ihn auch nur ganz leicht
angegriffen, trotzdem schrie der Mann auf, als habe K. ihn nicht mit zwei
Fingern, sondern mit einer glühenden Zange erfaßt. Dieses lächerliche
Schreien machte ihn K. endgültig überdrüssig; glaubte man ihm nicht, daß er
angeklagt war, so war es desto besser; vielleicht hielt er ihn sogar für einen
Richter. Und er faßte ihn nun zum Abschied wirklich fester, stieß ihn auf die
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155