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Hand nach der Tür. »Ja«, sagte Frau Grubach und seufzte, »ich wollte ihr
helfen und auch vom Dienstmädchen helfen lassen, aber sie ist eigensinnig,
sie will alles selbst übersiedeln. Ich wundere mich über Fräulein Bürstner. Mir
ist es oft lästig, daß ich Fräulein Montag in Miete habe, Fräulein Bürstner
aber nimmt sie sogar zu sich ins Zimmer.« »Das muß Sie gar nicht
kümmern«, sagte K. und zerdrückte die Zuckerreste in der Tasse. »Haben Sie
denn dadurch einen Schaden?« »Nein«, sagte Frau Grubach, »an und für sich
ist es mir ganz willkommen, ich bekomme dadurch ein Zimmer frei und kann
dort meinen Neffen, den Hauptmann, unterbringen. Ich fürchtete schon längst,
daß er Sie in den letzten Tagen, während derer ich ihn nebenan im
Wohnzimmer wohnen lassen mußte, gestört haben könnte. Er nimmt nicht
viel Rücksicht.« »Was für Einfälle!« sagte K. und stand auf, »davon ist ja
keine Rede. Sie scheinen mich wohl für überempfindlich zu halten, weil ich
diese Wanderungen des Fräulein Montag - jetzt geht sie wieder zurück - nicht
vertragen kann.« Frau Grubach kam sich recht machtlos vor. »Soll ich, Herr
K., sagen, daß sie den restlichen Teil der Übersiedlung aufschieben soll?
Wenn Sie wollen, tue ich es sofort.« »Aber sie soll doch zu Fräulein Bürstner
übersiedeln!« sagte K. »Ja«, sagte Frau Grubach, sie verstand nicht ganz, was
K. meinte. »Nun also«, sagte K., »dann muß sie doch ihre Sachen
hinübertragen.« Frau Grubach nickte nur. Diese stumme Hilflosigkeit, die
äußerlich nicht anders aussah als Trotz, reizte K. noch mehr. Er fing an, im
Zimmer vom Fenster zur Tür auf und ab zu gehen und nahm dadurch Frau
Grubach die Möglichkeit, sich zu entfernen, was sie sonst wahrscheinlich
getan hätte.
Gerade war K. einmal wieder bis zur Tür gekommen, als es klopfte. Es war
das Dienstmädchen, welches meldete, daß Fräulein Montag gern mit Herrn K.
ein paar Worte sprechen möchte und daß sie ihn deshalb bitte, ins Eßzimmer
zu kommen, wo sie ihn erwarte. K. hörte das Dienstmädchen nachdenklich
an, dann wandte er sich mit einem fast höhnischen Blick nach der
erschrockenen Frau Grubach um. Dieser Blick schien zu sagen, daß K. diese
Einladung des Fräulein Montag schon längst vorausgesehen habe und daß sie
auch sehr gut mit der Quälerei zusammenpasse, die er diesen
Sonntagvormittag von den Mietern der Frau Grubach erfahren mußte. Er
schickte das Dienstmädchen zurück mit der Antwort, daß er sofort komme,
ging dann zum Kleiderkasten, um den Rock zu wechseln und hatte als
Antwort für Frau Grubach, welche leise über die lästige Person jammerte, nur
die Bitte, sie möge das Frühstücksgeschirr schon forttragen. »Sie haben ja fast
nichts angerührt«, sagte Frau Grubach. »Ach, tragen Sie es doch weg!« rief
K., es war ihm, als sei irgendwie allem Fräulein Montag beigemischt und
mache es widerwärtig.
Als er durch das Vorzimmer ging, sah er nach der geschlossenen Tür von
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155