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doch nicht rührten, fügte er hinzu: »Sie können bei Ihrer Arbeit bleiben.« Um
sich in kein Gespräch mit den Dienern einlassen zu müssen, beugte er sich
aus dem Fenster. Als er nach einem Weilchen wieder in den Korridor sah,
waren sie schon weg. K. aber blieb nun beim Fenster, in die Rumpelkammer
wagte er nicht zu gehen und nach Hause gehen wollte er auch nicht. Es war
ein kleiner viereckiger Hof, in den er hinuntersah, ringsherum waren
Büroräume untergebracht, alle Fenster waren jetzt schon dunkel, nur die
obersten fingen einen Widerschein des Mondes auf. K. suchte angestrengt mit
den Blicken in das Dunkel eines Hofwinkels einzudringen, in dem einige
Handkarren ineinandergefahren waren. Es quälte ihn, daß es ihm nicht
gelungen war, das Prügeln zu verhindern, aber es war nicht seine Schuld, das
es nicht gelungen war, hätte Franz nicht geschrien - gewiß, es mußte sehr weh
getan haben, aber in einem entscheidenden Augenblick muß man sich
beherrschen - hätte er nicht geschrien, so hätte K., wenigstens sehr
wahrscheinlich, noch ein Mittel gefunden, den Prügler zu überreden. Wenn
die ganze unterste Beamtenschaft Gesindel war, warum hätte gerade der
Prügler, der das unmenschlichste Amt hatte, eine Ausnahme machen sollen,
K. hatte auch gut beobachtet, wie ihm beim Anblick der Banknote die Augen
geleuchtet hatten, er hatte mit dem Prügeln offenbar nur deshalb Ernst
gemacht, um die Bestechungssumme noch ein wenig zu erhöhen. Und K.
hätte nicht gespart, es lag ihm wirklich daran, die Wächter zu befreien; wenn
er nun schon angefangen hatte, die Verderbnis dieses Gerichtswesens zu
bekämpfen, so war es selbstverständlich, daß er auch von dieser Seite eingriff.
Aber in dem Augenblick, wo Franz zu schreien angefangen hatte, war
natürlich alles zu Ende. K. konnte nicht zulassen, daß die Diener und
vielleicht noch alle möglichen Leute kämen und ihn in Unterhandlungen mit
der Gesellschaft in der Rumpelkammer überraschten. Diese Aufopferung
konnte wirklich niemand von K. verlangen. Wenn er das zu tun beabsichtigt
hätte, so wäre es ja fast einfacher gewesen, K. hätte sich selbst ausgezogen
und dem Prügler als Ersatz für die Wächter angeboten. Übrigens hätte der
Prügler diese Vertretung gewiß nicht angenommen, da er dadurch, ohne einen
Vorteil zu gewinnen, dennoch seine Pflicht schwer verletzt hätte, und
wahrscheinlich doppelt verletzt hätte, denn K. mußte wohl, solange er im
Verfahren stand, für alle Angestellten des Gerichts unverletzlich sein.
Allerdings konnten hier auch besondere Bestimmungen gelten. Jedenfalls
hatte K. nichts anderes tun können, als die Tür zuschlagen, obwohl dadurch
auch jetzt noch für K. durchaus nicht jede Gefahr beseitigt blieb. Daß er noch
zuletzt Franz einen Stoß gegeben hatte, war bedauerlich und nur durch seine
Aufregung zu entschuldigen.
In der Ferne hörte er die Schritte der Diener; um ihnen nicht auffällig zu
werden, schloß er das Fenster und ging in der Richtung zur Haupttreppe. Bei
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155