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den Direktor-Stellvertreter für sich zu erobern, war es K., als werde über
seinem Kopf von zwei Männern, deren Größe er sich übertrieben vorstellte,
über ihn selbst verhandelt. Langsam suchte er mit vorsichtig aufwärts
gedrehten Augen zu erfahren, was sich oben ereignete, nahm vom
Schreibtisch, ohne hinzusehen, eines der Papiere, legte es auf die flache Hand
und hob es allmählich, während er selbst aufstand, zu den Herren hinauf. Er
dachte hierbei an nichts Bestimmtes, sondern handelte nur in dem Gefühl, daß
er sich so verhalten müßte, wenn er einmal die große Eingabe fertiggestellt
hätte, die ihn gänzlich entlasten sollte. Der Direktor-Stellvertreter, der sich an
dem Gespräch mit aller Aufmerksamkeit beteiligte, sah nur flüchtig auf das
Papier, überlas gar nicht, was dort stand, denn was dem Prokuristen wichtig
war, war ihm unwichtig, nahm es aus K.s Hand, sagte: »Danke, ich weiß
schon alles« und legte es ruhig wieder auf den Tisch zurück. K. sah ihn
verbittert von der Seite an. Der Direktor-Stellvertreter aber merkte es gar
nicht oder wurde, wenn er es merkte, dadurch nur aufgemuntert, lachte öfters
laut auf, brachte einmal durch eine schlagfertige Entgegnung den Fabrikanten
in deutliche Verlegenheit, aus der er ihn aber sofort riß, indem er sich selbst
einen Einwand machte, und lud ihn schließlich ein, in sein Büro
hinüberzukommen, wo sie die Angelegenheit zu Ende führen könnten. »Es ist
eine sehr wichtige Sache«, sagte er zu dem Fabrikanten, »ich sehe das
vollständig ein. Und dem Herrn Prokuristen« - selbst bei dieser Bemerkung
redete er eigentlich nur zum Fabrikanten - »wird es gewiß lieb sein, wenn wir
es ihm abnehmen. Die Sache verlangt ruhige Überlegung. Er aber scheint
heute sehr überlastet zu sein, auch warten ja einige Leute im Vorzimmer
schon stundenlang auf ihn.« K. hatte gerade noch genügend Fassung, sich
vom Direktor-Stellvertreter wegzudrehen und sein freundliches, aber starres
Lächeln nur dem Fabrikanten zuzuwenden, sonst griff er gar nicht ein, stützte
sich, ein wenig vorgebeugt, mit beiden Händen auf den Schreibtisch wie ein
Kommis hinter dem Pult und sah zu, wie die zwei Herren unter weiteren
Reden die Papiere vom Tisch nahmen und im Direktionszimmer
verschwanden. In der Tür drehte sich noch der Fabrikant um, sagte, er
verabschiede sich noch nicht, sondern werde natürlich dem Herrn Prokuristen
über den Erfolg der Besprechung berichten, auch habe er ihm noch eine
andere kleine Mitteilung zu machen.
Endlich war K. allein. Er dachte gar nicht daran, irgendeine andere Partei
vorzulassen, und nur undeutlich kam ihm zu Bewußtsein, wie angenehm es
sei, daß die Leute draußen in dem Glauben waren, er verhandle noch mit dem
Fabrikanten und es könne aus diesem Grunde niemand, nicht einmal der
Diener, bei ihm eintreten. Er ging zum Fenster, setzte sich auf die Brüstung,
hielt sich mit einer Hand an der Klinke fest und sah auf den Platz hinaus. Der
Schnee fiel noch immer, es hatte sich noch gar nicht aufgehellt.
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155