Page - 96 - in Der Prozeß
Image of the Page - 96 -
Text of the Page - 96 -
aber zu Titorelli gehen? Auf meine Empfehlung hin wird er gewiß alles tun,
was ihm möglich ist. Ich denke wirklich, Sie sollten hingehen. Es muß
natürlich nicht heute sein, einmal, gelegentlich. Allerdings sind Sie - das will
ich noch sagen - dadurch, daß ich Ihnen diesen Rat gebe, nicht im geringsten
verpflichtet, auch wirklich zu Titorelli hinzugehen. Nein, wenn Sie Titorelli
entbehren zu können glauben, ist es gewiß besser, ihn ganz beiseite zu lassen.
Vielleicht haben Sie schon einen ganz genauen Plan, und Titorelli könnte ihn
stören. Nein, dann gehen Sie natürlich auf keinen Fall hin! Es kostet gewiß
auch Überwindung, sich von einem solchen Burschen Ratschläge geben zu
lassen. Nun, wie Sie wollen. Hier ist das Empfehlungsschreiben und hier die
Adresse.«
Enttäuscht nahm K. den Brief und steckte ihn in die Tasche. Selbst im
günstigsten Falle war der Vorteil, den ihm die Empfehlung bringen konnte,
unverhältnismäßig kleiner als der Schaden, der darin lag, daß der Fabrikant
von seinem Prozeß wußte und daß der Maler die Nachricht weiterverbreitete.
Er konnte sich kaum dazu zwingen, dem Fabrikanten, der schon auf dem Weg
zur Tür war, mit ein paar Worten zu danken. »Ich werde hingehen«, sagte er,
als er sich bei der Tür vom Fabrikanten verabschiedete, »Oder ihm, da ich
jetzt sehr beschäftigt bin, schreiben, er möge einmal zu mir ins Büro
kommen.« »Ich wußte ja«, sagte der Fabrikant, »daß Sie den besten Ausweg
finden würden. Allerdings dachte ich, daß Sie es lieber vermeiden wollen,
Leute wie diesen Titorelli in die Bank einzuladen, um mit ihm hier über den
Prozeß zu sprechen. Es ist auch nicht immer vorteilhaft, Briefe an solche
Leute aus der Hand zu geben. Aber Sie haben gewiß alles durchgedacht und
wissen, was Sie tun dürfen.« K. nickte und begleitete den Fabrikanten noch
durch das Vorzimmer. Aber trotz äußerlicher Ruhe war er über sich sehr
erschrocken; daß er Titorelli schreiben würde, hatte er eigentlich nur gesagt,
um dem Fabrikanten irgendwie zu zeigen, daß er die Empfehlung zu schätzen
wisse und die Möglichkeiten, mit Titorelli zusammenzukommen, sofort
überlege, aber wenn er Titorellis Beistand für wertvoll angesehen hätte, hätte
er auch nicht gezögert, ihm wirklich zu schreiben. Die Gefahren aber, die das
zur Folge haben könnte, hatte er erst durch die Bemerkung des Fabrikanten
erkannt. Konnte er sich auf seinen eigenen Verstand tatsächlich schon so
wenig verlassen? Wenn es möglich war, daß er einen fragwürdigen Menschen
durch einen deutlichen Brief in die Bank einlud, um von ihm, nur durch eine
Tür vom Direktor-Stellvertreter getrennt, Ratschläge wegen seines Prozesses
zu erbitten, war es dann nicht möglich und sogar sehr wahrscheinlich, daß er
auch andere Gefahren übersah oder in sie hineinrannte? Nicht immer stand
jemand neben ihm, um ihn zu warnen. Und gerade jetzt, wo er mit
gesammelten Kräften auftreten sollte, mußten derartige, ihm bisher fremde
Zweifel an seiner eigenen Wachsamkeit auftreten! Sollten die
96
back to the
book Der Prozeß"
Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155