Page - 120 - in Der Prozeß
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etwa seit zwanzig Jahren, in meinem eigenen Prozeß, auf den Sie
wahrscheinlich anspielen, vertritt er mich auch seit Beginn, es ist schon länger
als fünf Jahre. Ja, weit über fünf Jahre«, fügte er dann hinzu und zog eine alte
Brieftasche hervor, »hier habe ich alles aufgeschrieben; wenn Sie wollen,
sage ich Ihnen die genauen Daten. Es ist schwer, alles zu behalten. Mein
Prozeß dauert wahrscheinlich schon viel länger, er begann kurz nach dem Tod
meiner Frau, und das ist schon länger als fünfeinhalb Jahre.« K. rückte näher
zu ihm. »Der Advokat übernimmt also auch gewöhnliche Rechtssachen?«
fragte er. Diese Verbindung der Gerichte und Rechtswissenschaften schien K.
ungemein beruhigend. »Gewiß«, sagte der Kaufmann und flüsterte dann K.
zu: »Man sagt sogar, daß er in diesen Rechtssachen tüchtiger ist als in den
anderen.« Aber dann schien er das Gesagte zu bereuen, er legte K. eine Hand
auf die Schulter und sagte: »Ich bitte Sie sehr, verraten Sie mich nicht.« K.
klopfte ihm zur Beruhigung auf den Schenkel und sagte: »Nein, ich bin kein
Verräter.« »Er ist nämlich rachsüchtig«, sagte der Kaufmann. »Gegen einen so
treuen Klienten wird er gewiß nichts tun«, sagte K. »O doch«, sagte der
Kaufmann, »wenn er aufgeregt ist, kennt er keine Unterschiede, übrigens bin
ich ihm nicht eigentlich treu.« »Wieso denn nicht?« fragte K. »Soll ich es
Ihnen anvertrauen?« fragte der Kaufmann zweifelnd. »Ich denke, Sie dürfen
es«, sagte K. »Nun«, sagte der Kaufmann, »ich werde es Ihnen zum Teil
anvertrauen, Sie müssen mir aber auch ein Geheimnis sagen, damit wir uns
gegenüber dem Advokaten gegenseitig festhalten.« »Sie sind sehr vorsichtig«,
sagte K., »aber ich werde Ihnen ein Geheimnis sagen, das Sie vollständig
beruhigen wird. Worin besteht also Ihre Untreue gegenüber dem Advokaten?«
»Ich habe«, sagte der Kaufmann zögernd und in einem Ton, als gestehe er
etwas Unehrenhaftes ein, »ich habe außer ihm noch andere Advokaten.« »Das
ist doch nichts so Schlimmes«, sagte K., ein wenig enttäuscht. »Hier ja«,
sagte der Kaufmann, der noch seit seinem Geständnis schwer atmete, infolge
K.s Bemerkung aber mehr Vertrauen faßte. »Es ist nicht erlaubt. Und am
allerwenigsten ist es erlaubt, neben einem sogenannten Advokaten auch noch
Winkeladvokaten zu nehmen. Und gerade das habe ich getan, ich habe außer
ihm noch fünf Winkeladvokaten.« »Fünf!« rief K., erst die Zahl setzte ihn in
Erstaunen, »fünf Advokaten außer diesem?« Der Kaufmann nickte: »Ich
verhandle gerade noch mit einem sechsten.« »Aber wozu brauchen Sie denn
soviel Advokaten?« fragte K. »Ich brauche alle«, sagte der Kaufmann.
»Wollen Sie mir das nicht erklären?« fragte K. »Gern«, sagte der Kaufmann.
»Vor allem will ich doch meinen Prozeß nicht verlieren, das ist doch
selbstverständlich. Infolgedessen darf ich nichts, was mir nützen könnte,
außer acht lassen; selbst wenn die Hoffnung auf Nutzen in einem bestimmten
Falle nur ganz gering ist, darf ich sie auch nicht verwerfen. Ich habe deshalb
alles, was ich besitze, auf den Prozeß verwendet. So habe ich zum Beispiel
alles Geld meinem Geschäft entzogen, früher füllten die Büroräume meines
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155