Page - 121 - in Der Prozeß
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Geschäfts fast ein Stockwerk, heute genügt eine kleine Kammer im
Hinterhaus, wo ich mit einem Lehrjungen arbeite. Diesen Rückgang hat
natürlich nicht nur die Entziehung des Geldes verschuldet, sondern mehr noch
die Entziehung meiner Arbeitskraft. Wenn man für seinen Prozeß etwas tun
will, kann man sich mit anderem nur wenig befassen.« »Sie arbeiten also auch
selbst bei Gericht?« fragte K. »Gerade darüber möchte ich gern etwas
erfahren.« »Darüber kann ich nur wenig berichten«, sagte der Kaufmann,
»anfangs habe ich es wohl auch versucht, aber ich habe bald wieder davon
abgelassen. Es ist zu erschöpfend und bringt nicht viel Erfolg. Selbst dort zu
arbeiten und zu unterhandeln, hat sich wenigstens für mich als ganz
unmöglich erwiesen. Es ist ja dort schon das bloße Sitzen und Warten eine
große Anstrengung. Sie kennen ja selbst die schwere Luft in den Kanzleien.«
»Wieso wissen Sie denn, daß ich dort war?« fragte K. »Ich war gerade im
Wartezimmer, als Sie durchgingen.« »Was für ein Zufall das ist!« rief K.,
ganz hingenommen und die frühere Lächerlichkeit des Kaufmanns ganz
vergessend. »Sie haben mich also gesehen! Sie waren im Wartezimmer, als
ich durchging. Ja, ich bin dort einmal durchgegangen.« »Es ist kein so großer
Zufall«, sagte der Kaufmann, »ich bin dort fast jeden Tag.« »Ich werde nun
wahrscheinlich auch öfters hingehen müssen«, sagte K., »nur werde ich wohl
kaum mehr so ehrenvoll aufgenommen werden wie damals. Alle standen auf.
Man dachte wohl, ich sei ein Richter.« »Nein«, sagte der Kaufmann, »wir
grüßten damals den Gerichtsdiener. Daß Sie ein Angeklagter sind, das wußten
wir. Solche Nachrichten verbreiten sich sehr rasch.« »Das wußten Sie also
schon«, sagte K., »dann erschien Ihnen aber mein Benehmen vielleicht
hochmütig. Sprach man sich nicht darüber aus?« »Nein«, sagte der
Kaufmann, »im Gegenteil. Aber das sind Dummheiten.« »Was für
Dummheiten denn?« fragte K. »Warum fragen Sie danach?« sagte der
Kaufmann ärgerlich. »Sie scheinen die Leute dort noch nicht zu kennen und
werden es vielleicht unrichtig auffassen. Sie müssen bedenken, daß in diesem
Verfahren immer wieder viele Dinge zur Sprache kommen, für die der
Verstand nicht mehr ausreicht, man ist einfach zu müde und abgelenkt für
vieles, und zum Ersatz verlegt man sich auf den Aberglauben. Ich rede von
den anderen, bin aber selbst gar nicht besser. Ein solcher Aberglaube ist es
zum Beispiel, daß viele aus dem Gesicht des Angeklagten, insbesondere aus
der Zeichnung der Lippen, den Ausgang des Prozesses erkennen wollen.
Diese Leute also haben behauptet, Sie würden, nach Ihren Lippen zu
schließen, gewiß und bald verurteilt werden. Ich wiederhole, es ist ein
lächerlicher Aberglaube und in den meisten Fällen durch die Tatsachen auch
vollständig widerlegt, aber wenn man in jener Gesellschaft lebt, ist es schwer,
sich solchen Meinungen zu entziehen. Denken Sie nur, wie stark dieser
Aberglaube wirken kann. Sie haben doch einen dort angesprochen, nicht? Er
konnte Ihnen aber kaum antworten. Es gibt natürlich viele Gründe, um dort
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155