Page - 127 - in Der Prozeß
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antwortete der Kaufmann, »es ist sehr vorteilhaft.« K. sah ihn lange an; der
erste Eindruck, den er von dem Kaufmann erhalten hatte, war vielleicht doch
der richtige gewesen; Erfahrungen hatte er, denn sein Prozeß dauerte schon
lange, aber er hatte diese Erfahrungen teuer bezahlt. Plötzlich ertrug K. den
Anblick des Kaufmanns nicht mehr. »Bring ihn doch ins Bett!« rief er Leni
zu, die ihn gar nicht zu verstehen schien. Er selbst aber wollte zum Advokaten
gehen und durch die Kündigung sich nicht nur vom Advokaten, sondern auch
von Leni und dem Kaufmann befreien. Aber noch ehe er zur Tür gekommen
war, sprach ihn der Kaufmann mit leiser Stimme an: »Herr Prokurist«, K.
wandte sich mit bösem Gesicht um. »Sie haben Ihr Versprechen vergessen«,
sagte der Kaufmann und streckte sich von seinem Sitz aus bittend K.
entgegen. »Sie wollten mir noch ein Geheimnis sagen.« »Wahrhaftig«, sagte
K. und streifte auch Leni, die ihn aufmerksam ansah, mit einem Blick, »also
hören Sie: es ist allerdings fast kein Geheimnis mehr. Ich gehe jetzt zum
Advokaten, um ihn zu entlassen.« »Er entläßt ihn!« rief der Kaufmann,
sprang vom Sessel und lief mit erhobenen Armen in der Küche umher. Immer
wieder rief er: »Er entläßt den Advokaten!« Leni wollte gleich auf K.
losfahren, aber der Kaufmann kam ihr in den Weg, wofür sie ihm mit den
Fäusten einen Hieb gab. Noch mit den zu Fäusten geballten Händen lief sie
dann hinter K., der aber einen großen Vorsprung hatte. Er war schon in das
Zimmer des Advokaten eingetreten, als ihn Leni einholte. Die Tür hatte er
hinter sich fast geschlossen, aber Leni, die mit dem Fuß den Türflügel
offenhielt, faßte ihn beim Arm und wollte ihn zurückziehen. Aber er drückte
ihr Handgelenk so stark, daß sie unter einem Seufzer ihn loslassen mußte. Ins
Zimmer einzutreten, wagte sie nicht gleich, K. aber versperrte die Tür mit
dem Schlüssel.
»Ich warte schon sehr lange auf Sie«, sagte der Advokat vom Bett aus,
legte ein Schriftstück, das er beim Licht einer Kerze gelesen hatte, auf das
Nachttischchen und setzte sich eine Brille auf, mit der er K. scharf ansah.
Statt sich zu entschuldigen, sagte K.: »Ich gehe bald wieder weg.« Der
Advokat hatte K.s Bemerkung, weil sie keine Entschuldigung war, unbeachtet
gelassen und sagte: »Ich werde Sie nächstens zu dieser späten Stunde nicht
mehr vorlassen.« »Das kommt meinem Anliegen entgegen«, sagte K. Der
Advokat sah ihn fragend an. »Setzen Sie sich«, sagte er. »Weil Sie es
wünschen«, sagte K., zog einen Sessel zum Nachttischchen und setzte sich.
»Es schien mir, daß Sie die Tür abgesperrt haben«, sagte der Advokat. »Ja«,
sagte K., »es war Lenis wegen.« Er hatte nicht die Absicht, irgend jemanden
zu schonen. Aber der Advokat fragte: »War sie wieder zudringlich?«
»Zudringlich?« fragte K. »Ja«, sagte der Advokat, er lachte dabei, bekam
einen Hustenanfall und begann, nachdem dieser vergangen war, wieder zu
lachen. »Sie haben doch wohl ihre Zudringlichkeit schon bemerkt?« fragte er
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155