Page - 131 - in Der Prozeß
Image of the Page - 131 -
Text of the Page - 131 -
hatte die natürlichen Folgen: ich mußte fast alle Ansuchen um Vertretungen
abweisen und konnte nur denen nachgeben, die mir besonders nahegingen -
nun, es gibt ja genug Kreaturen, und sogar ganz in der Nähe, die sich auf
jeden Brocken stürzen, den ich wegwerfe. Und außerdem wurde ich vor
Überanstrengung krank. Aber trotzdem bereue ich meinen Entschluß nicht, es
ist möglich, daß ich mehr Vertretungen hätte abweisen sollen, als ich getan
habe, daß ich aber den übernommenen Prozessen mich ganz hingegeben habe,
hat sich als unbedingt notwendig herausgestellt und durch die Erfolge
belohnt. Ich habe einmal in einer Schrift den Unterschied sehr schön
ausgedrückt gefunden, der zwischen der Vertretung in gewöhnlichen
Rechtssachen und der Vertretung in diesen Rechtssachen besteht. Es hieß
dort: der Advokat führt seinen Klienten an einem Zwirnsfaden bis zum Urteil,
der andere aber hebt seinen Klienten gleich auf die Schultern und trägt ihn,
ohne ihn abzusetzen, zum Urteil und noch darüber hinaus. So ist es. Aber es
war nicht ganz richtig, wenn ich sagte, daß ich diese große Arbeit niemals
bereue. Wenn sie, wie in Ihrem Fall, so vollständig verkannt wird, dann, nun
dann bereue ich fast.« K. wurde durch diese Reden mehr ungeduldig als
überzeugt. Er glaubte irgendwie aus dem Tonfall des Advokaten
herauszuhören, was ihn erwartete, wenn er nachgäbe, wieder würden
Vertröstungen beginnen, die Hinweise auf die fortschreitende Eingabe, auf die
gebesserte Stimmung der Gerichtsbeamten, aber auch auf die großen
Schwierigkeiten, die sich der Arbeit entgegenstellten, - kurz, all das bis zum
Überdruß Bekannte würde hervorgeholt werden, um K. wieder mit
unbestimmten Hoffnungen zu täuschen und mit unbestimmten Drohungen zu
quälen. Das mußte endgültig verhindert werden, er sagte deshalb: »Was
wollen Sie in meiner Sache unternehmen, wenn Sie die Vertretung behalten?«
Der Advokat fügte sich sogar dieser beleidigenden Frage und antwortete: »In
dem, was ich für Sie bereits unternommen habe, weiter fortfahren.« »Ich
wußte es ja«, sagte K., »nun ist aber jedes weitere Wort überflüssig.« »Ich
werde noch einen Versuch machen«, sagte der Advokat, als geschehe das, was
K. erregte, nicht K., sondern ihm. »Ich habe nämlich die Vermutung, daß Sie
nicht nur zu der falschen Beurteilung meines Rechtsbeistandes, sondern auch
zu Ihrem sonstigen Verhalten dadurch verleitet werden, daß man Sie, obwohl
Sie Angeklagter sind, zu gut behandelt oder, richtiger ausgedrückt,
nachlässig, scheinbar nachlässig behandelt. Auch dieses letztere hat seinen
Grund; es ist oft besser, in Ketten, als frei zu sein. Aber ich möchte Ihnen
doch zeigen, wie andere Angeklagte behandelt werden, vielleicht gelingt es
Ihnen, daraus eine Lehre zu nehmen. Ich werde jetzt nämlich Block vorrufen,
sperren Sie die Tür auf und setzen Sie sich hier neben den Nachttisch!«
»Gerne«, sagte K. und tat, was der Advokat verlangt hatte; zu lernen war er
immer bereit. Um sich aber für jeden Fall zu sichern, fragte er noch: »Sie
haben aber zur Kenntnis genommen, daß ich Ihnen meine Vertretung
131
back to the
book Der Prozeß"
Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155