Page - 132 - in Der Prozeß
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entziehe?« »Ja«, sagte der Advokat, »Sie können es aber heute noch
rückgängig machen.« Er legte sich wieder ins Bett zurück, zog das Federbett
bis zum Kinn und drehte sich der Wand zu. Dann läutete er.
Fast gleichzeitig mit dem Glockenzeichen erschien Leni, sie suchte durch
rasche Blicke zu erfahren, was geschehen war; daß K. ruhig beim Bett des
Advokaten saß, schien ihr beruhigend. Sie nickte K., der sie starr ansah,
lächelnd zu. »Hole Block«, sagte der Advokat. Statt ihn aber zu holen, trat sie
nur vor die Tür, rief: »Block! Zum Advokaten!« und schlüpfte dann,
wahrscheinlich weil der Advokat zur Wand abgekehrt blieb und sich um
nichts kümmerte, hinter K.s Sessel. Sie störte ihn von nun ab, indem sie sich
über die Sessellehne vorbeugte oder mit den Händen, allerdings sehr zart und
vorsichtig, durch sein Haar fuhr und über seine Wangen strich. Schließlich
suchte K. sie daran zu hindern, indem er sie bei einer Hand erfaßte, die sie
ihm nach einigem Widerstreben überließ.
Block war auf den Anruf hin gleich gekommen, blieb aber vor der Tür
stehen und schien zu überlegen, ob er eintreten sollte. Er zog die
Augenbrauen hoch und neigte den Kopf, als horche er, ob sich der Befehl,
zum Advokaten zu kommen, wiederholen würde. K. hätte ihn zum Eintreten
aufmuntern können, aber er hatte sich vorgenommen, nicht nur mit dem
Advokaten, sondern mit allem, was hier in der Wohnung war, endgültig zu
brechen und verhielt sich deshalb regungslos. Auch Leni schwieg. Block
bemerkte, daß ihn wenigstens niemand verjage und trat auf den Fußspitzen
ein, das Gesicht gespannt, die Hände auf dem Rücken verkrampft. Die Tür
hatte er für einen möglichen Rückzug offen gelassen. K. blickte er gar nicht
an, sondern immer nur das hohe Federbett, unter dem der Advokat, da er sich
ganz nahe an die Wand geschoben hatte, nicht einmal zu sehen war. Da hörte
man aber seine Stimme: »Block hier?« fragte er. Diese Frage gab Block, der
schon eine große Strecke weitergerückt war, förmlich einen Stoß in die Brust
und dann einen in den Rücken, er taumelte, blieb tief gebückt stehen und
sagte: »Zu dienen.« »Was willst du?« fragte der Advokat, »du kommst
ungelegen.« »Wurde ich nicht gerufen?« fragte Block mehr sich selbst als den
Advokaten, hielt die Hände zum Schutze vor und war bereit, wegzulaufen.
»Du wurdest gerufen«, sagte der Advokat, »trotzdem kommst du ungelegen.«
Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Du kommst immer ungelegen.«
Seitdem der Advokat sprach, sah Block nicht mehr auf das Bett hin, er starrte
vielmehr irgendwo in eine Ecke und lauschte nur, als sei der Anblick des
Sprechers zu blendend, als daß er ihn ertragen könnte. Es war aber auch das
Zuhören schwer, denn der Advokat sprach gegen die Wand, und zwar leise
und schnell. »Wollt ihr, daß ich weggehe?« fragte Block. »Nun bist du einmal
da«, sagte der Advokat. »Bleib!« Man hätte glauben können, der Advokat
habe nicht Blocks Wunsch erfüllt, sondern ihm, etwa mit Prügeln, gedroht,
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155