Page - 133 - in Der Prozeß
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denn jetzt fing Block wirklich zu zittern an. »Ich war gestern«, sagte der
Advokat, »beim Dritten Richter, meinem Freund, und habe allmählich das
Gespräch auf dich gelenkt. Willst du wissen, was er sagte?« »O bitte«, sagte
Block. Da der Advokat nicht gleich antwortete, wiederholte Block nochmals
die Bitte und neigte sich, als wolle er niederknien. Da fuhr ihn aber K. an:
»Was tust du?« rief er. Da ihn Leni an dem Ausruf hatte hindern wollen, faßte
er auch ihre zweite Hand. Es war nicht der Druck der Liebe, mit dem er sie
festhielt, sie seufzte auch öfters und suchte ihm die Hände zu entwinden. Für
K.s Ausruf aber wurde Block gestraft, denn der Advokat fragte ihn:»Wer ist
denn dein Advokat?« »Ihr seid es«, sagte Block. »Und außer mir?« fragte der
Advokat. »Niemand außer Euch«, sagte Block. »Dann folge auch niemandem
sonst«, sagte der Advokat. Block erkannte das vollständig an, er maß K. mit
bösen Blicken und schüttelte heftig gegen ihn den Kopf. Hätte man dieses
Benehmen in Worte übersetzt, so wären es grobe Beschimpfungen gewesen.
Mit diesem Menschen hatte K. freundschaftlich über seine eigene Sache reden
wollen! »Ich werde dich nicht mehr stören«, sagte K., in den Sessel
zurückgelehnt. »Knie nieder oder krieche auf allen vieren, tu, was du willst.
Ich werde mich darum nicht kümmern.« Aber Block hatte doch Ehrgefühl,
wenigstens gegenüber K., denn er ging, mit den Fäusten fuchtelnd, auf ihn zu,
und rief so laut, als er es nur in der Nähe des Advokaten wagte: »Sie dürfen
nicht so mit mir reden, das ist nicht erlaubt. Warum beleidigen Sie mich? Und
überdies noch hier, vor dem Herrn Advokaten, wo wir beide, Sie und ich, nur
aus Barmherzigkeit geduldet sind? Sie sind kein besserer Mensch als ich,
denn Sie sind auch angeklagt und haben auch einen Prozeß. Wenn Sie aber
trotzdem noch ein Herr sind, dann bin ich ein ebensolchen Herr, wenn nicht
gar ein noch größerer. Und ich will auch als ein solcher angesprochen werden,
gerade von Ihnen. Wenn Sie sich aber dadurch für bevorzugt halten, daß Sie
hier sitzen und ruhig zuhören dürfen, während ich, wie Sie sich ausdrücken,
auf allen vieren krieche, dann erinnere ich Sie an den alten Rechtsspruch: für
den Verdächtigen ist Bewegung besser als Ruhe, denn der, welcher ruht, kann
immer, ohne es zu wissen, auf einer Waagschale sein und mit seinen Sünden
gewogen werden.« K. sagte nichts, er staunte nur mit unbeweglichen Augen
diesen verwirrten Menschen an. Was für Veränderungen waren mit ihm nur
schon in der letzten Stunde vor sich gegangen! War es der Prozeß, der ihn so
hin und her warf und ihn nicht erkennen ließ, wo Freund und wo Feind war?
Sah er denn nicht, daß der Advokat ihn absichtlich demütigte und diesmal
nichts anderes bezweckte, als sich vor K. mit seiner Macht zu brüsten und
sich dadurch vielleicht auch K. zu unterwerfen? Wenn Block aber nicht fähig
war, das zu erkennen oder wenn er den Advokaten so sehr fürchtete, daß ihm
jene Erkenntnis nichts helfen konnte, wie kam es, daß er doch wieder so
schlau oder so kühn war, den Advokaten zu betrügen und ihm zu
verschweigen, daß er außer ihm noch andere Advokaten für sich arbeiten
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155