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mit nervöser Hand über seinen graublauen, buschigen Schnurrbart fuhr.
Dieser Bart war offenbar parfümiert, man war fast versucht, sich zu nähern
und zu riechen. Als sich alle gesetzt hatten und ein kleines, einleitendes
Gespräch begann, bemerkte K. mit großem Unbehagen, daß er den Italiener
nur bruchstückweise verstand. Wenn er ganz ruhig sprach, verstand er ihn fast
vollständig, das waren aber nur seltene Ausnahmen, meistens quoll ihm die
Rede aus dem Mund, er schüttelte den Kopf wie vor Lust darüber. Bei solchen
Reden aber verwickelte er sich regelmäßig in irgendeinen Dialekt, der für K.
nichts Italienisches mehr hatte, den aber der Direktor nicht nur verstand,
sondern auch sprach, was K. allerdings hätte voraussehen können, denn der
Italiener stammte aus Süditalien, wo auch der Direktor einige Jahre gewesen
war. Jedenfalls erkannte K., daß ihm die Möglichkeit, sich mit dem Italiener
zu verständigen, zum größten Teil genommen war, denn auch dessen
Französisch war nur schwer verständlich, auch verdeckte der Bart die
Lippenbewegungen, deren Anblick vielleicht zum Verständnis geholfen hätte.
K. begann viel Unannehmlichkeiten vorauszusehen, vorläufig gab er es auf,
den Italiener verstehen zu wollen - in der Gegenwart des Direktors, der ihn so
leicht verstand, wäre es unnötige Anstrengung gewesen -, und er beschränkte
sich darauf, ihn verdrießlich zu beobachten, wie er tief und doch leicht in dem
Fauteuil ruhte, wie er öfters an seinem kurzen, scharf geschnittenen Röckchen
zupfte und wie er einmal mit erhobenen Armen und lose in den Gelenken
bewegten Händen irgend etwas darzustellen versuchte, das K. nicht begreifen
konnte, obwohl er vorgebeugt die Hände nicht aus den Augen ließ.
Schließlich machte sich bei K., der sonst unbeschäftigt, nur mechanisch mit
den Blicken dem Hin und Her der Reden folgte, die frühere Müdigkeit
geltend, und er ertappte sich einmal zu seinem Schrecken, glücklicherweise
noch rechtzeitig, dabei, daß er in der Zerstreutheit gerade hatte aufstehen, sich
umdrehen und weggehen wollen. Endlich sah der Italiener auf die Uhr und
sprang auf. Nachdem er sich vom Direktor verabschiedet hatte, drängte er
sich an K., und zwar so dicht, daß K. seinen Fauteuil zurückschieben mußte,
um sich bewegen zu können. Der Direktor, der gewiß an K.s Augen die Not
erkannte, in der er sich gegenüber diesem Italienisch befand, mischte sich in
das Gespräch, und zwar so klug und so zart, daß es den Anschein hatte, als
füge er nur kleine Ratschläge bei, während er in Wirklichkeit alles, was der
Italiener, unermüdlich ihm in die Rede fallend, vorbrachte, in aller Kürze K.
verständlich machte. K. erfuhr von ihm, daß der Italiener vorläufig noch
einige Geschäfte zu besorgen habe, daß er leider auch im ganzen nur wenig
Zeit haben werde, daß er auch keinesfalls beabsichtige, in Eile alle
Sehenswürdigkeiten abzulaufen, daß er sich vielmehr - allerdings nur, wenn
K. zustimme, bei ihm allein liege die Entscheidung - entschlossen habe, nur
den Dom, diesen aber gründlich, zu besichtigen. Er freue sich ungemein,
diese Besichtigung in Begleitung eines so gelehrten und liebenswürdigen
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155