Page - 147 - in Der Prozeß
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den Boden schleifte. »Weißt du, daß dein Prozeß schlecht steht?« fragte der
Geistliche. »Es scheint mir auch so«, sagte K. »Ich habe mir alle Mühe
gegeben, bisher aber ohne Erfolg. Allerdings habe ich die Eingabe noch nicht
fertig.« »Wie stellst du dir das Ende vor?« fragte der Geistliche. »Früher
dachte ich, es müsse gut enden«, sagte K., »jetzt zweifle ich daran manchmal
selbst. Ich weiß nicht, wie es enden wird. Weißt du es?« »Nein«, sagte der
Geistliche, »aber ich fürchte, es wird schlecht enden. Man hält dich für
schuldig. Dein Prozeß wird vielleicht über ein niedriges Gericht gar nicht
hinauskommen. Man hält wenigstens vorläufig deine Schuld für erwiesen.«
»Ich bin aber nicht schuldig«, sagte K., »es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein
Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie
der andere.« »Das ist richtig«, sagte der Geistliche, »aber so pflegen die
Schuldigen zu reden.« »Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?« fragte K.
»Ich habe kein Vorurteil gegen dich«, sagte der Geistliche. »Ich danke dir«,
sagte K., »alle anderen aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein
Vorurteil gegen mich. Sie flößen es auch den Unbeteiligten ein. Meine
Stellung wird immer schwieriger.« »Du mißverstehst die Tatsachen«, sagte
der Geistliche, »das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht
allmählich ins Urteil über.« »So ist es also«, sagte K. und senkte den Kopf.
»Was willst du nächstens in deiner Sache tun?« fragte der Geistliche. »Ich
will noch Hilfe suchen«, sagte K. und hob den Kopf, um zu sehen, wie der
Geistliche es beurteile. »Es gibt noch gewisse Möglichkeiten, die ich nicht
ausgenutzt habe.« »Du suchst zuviel fremde Hilfe«, sagte der Geistliche
mißbilligend, »und besonders bei Frauen. Merkst du denn nicht, daß es nicht
die wahre Hilfe ist?« »Manchmal und sogar oft könnte ich dir recht geben«,
sagte K., »aber nicht immer. Die Frauen haben eine große Macht. Wenn ich
einige Frauen, die ich kenne, dazu bewegen könnte, gemeinschaftlich für
mich zu arbeiten, müßte ich durchdringen. Besonders bei diesem Gericht, das
fast nur aus Frauenjägern besteht. Zeig dem Untersuchungsrichter eine Frau
aus der Ferne, und er überrennt, um nur rechtzeitig hinzukommen, den
Gerichtstisch und den Angeklagten.« Der Geistliche neigte den Kopf zur
Brüstung, jetzt erst schien die Überdachung der Kanzel ihn niederzudrücken.
Was für ein Unwetter mochte draußen sein? Das war kein trüber Tag mehr,
das war schon tiefe Nacht. Keine Glasmalerei der großen Fenster war
imstande, die dunkle Wand auch nur mit einem Schimmer zu unterbrechen.
Und gerade jetzt begann der Kirchendiener, die Kerzen auf dem Hauptaltar,
eine nach der anderen, auszulöschen. »Bist du mir böse?« fragte K. den
Geistlichen. »Du weißt vielleicht nicht, was für einem Gericht du dienst.« Er
bekam keine Antwort. »Es sind doch nur meine Erfahrungen«, sagte K. Oben
blieb es noch immer still. »Ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte K. Da
schrie der Geistliche zu K. hinunter: »Siehst du denn nicht zwei Schritte
weit?« Es war im Zorn geschrien, aber gleichzeitig wie von einem, der
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155