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Mannes, für den es bestimmt ist, dann wird es auch der Türhüter nicht
schließen können. Darüber gehen die Meinungen auseinander, ob der
Türhüter mit der Ankündigung, daß er das Tor schließen wird, nur eine
Antwort geben oder seine Dienstpflicht betonen oder den Mann noch im
letzten Augenblick in Reue und Trauer setzen will. Darin aber sind viele
einig, daß er das Tor nicht wird schließen können. Sie glauben sogar, daß er,
wenigstens am Ende, auch in seinem Wissen dem Manne untergeordnet ist,
denn dieser sieht den Glanz, der aus dem Eingang des Gesetzes bricht,
während der Türhüter als solcher wohl mit dem Rücken zum Eingang steht
und auch durch keine Äußerung zeigt, daß er eine Veränderung bemerkt
hätte.« »Das ist gut begründet«, sagte K., der einzelne Stellen aus der
Erklärung des Geistlichen halblaut für sich wiederholt hatte. »Es ist gut
begründet, und ich glaube nun auch, daß der Türhüter getäuscht ist. Dadurch
bin ich aber von meiner früheren Meinung nicht abgekommen, denn beide
decken sich teilweise. Es ist unentscheidend, ob der Türhüter klar sieht oder
getäuscht wird. Ich sagte, der Mann wird getäuscht. Wenn der Türhüter klar
sieht, könnte man daran zweifeln, wenn der Türhüter aber getäuscht ist, dann
muß sich seine Täuschung notwendig auf den Mann übertragen. Der Türhüter
ist dann zwar kein Betrüger, aber so einfältig, daß er sofort aus dem Dienst
gejagt werden müßte. Du mußt doch bedenken, daß die Täuschung, in der
sich der Türhüter befindet, ihm nichts schadet, dem Mann aber tausendfach.«
»Hier stößt du auf eine Gegenmeinung«, sagte der Geistliche. »Manche sagen
nämlich, daß die Geschichte niemandem ein Recht gibt, über den Türhüter zu
urteilen. Wie er uns auch erscheinen mag, ist er doch ein Diener des Gesetzes,
also zum Gesetz gehörig, also dem menschlichen Urteil entrückt. Man darf
dann auch nicht glauben, daß der Türhüter dem Manne untergeordnet ist.
Durch seinen Dienst auch nur an den Eingang des Gesetzes gebunden zu sein,
ist unvergleichlich mehr, als frei in der Welt zu leben. Der Mann kommt erst
zum Gesetz, der Türhüter ist schon dort. Er ist vom Gesetz zum Dienst
bestellt, an seiner Würdigkeit zu zweifeln, hieße am Gesetz zweifeln.« »Mit
dieser Meinung stimme ich nicht überein«, sagte K. kopfschüttelnd, »denn
wenn man sich ihr anschließt, muß man alles, was der Türhüter sagt, für wahr
halten. Daß das aber nicht möglich ist, hast du ja selbst ausführlich
begründet.« »Nein«, sagte der Geistliche, »man muß nicht alles für wahr
halten, man muß es nur für notwendig halten.« »Trübselige Meinung«, sagte
K. »Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.«
K. sagte das abschließend, aber sein Endurteil war es nicht. Er war zu
müde, um alle Folgerungen der Geschichte übersehen zu können, es waren
auch ungewohnte Gedankengänge, in die sie ihn führte, unwirkliche Dinge,
besser geeignet zur Besprechung für die Gesellschaft der Gerichtsbeamten als
für ihn. Die einfache Geschichte war unförmlich geworden, er wollte sie von
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155