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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen gesichert ist“.
Jedoch betonte er, Österreich werde „jede weitere künftige Annäherung zwischen
den beiden deutschen Staaten begrüßen, insbesondere dann, wenn sie einer Mil-
derung der durch die Teilung bedingten menschlichen Härten dient“ und schloss
„die Möglichkeit einer Wiedervereinigung als Endziel dieses Prozesses“ nicht aus.
Mit Blick auf die kommenden Beziehungen erklärte er, dass die Anerkennung
nicht nur ein „Formalakt“ sei. Österreich werde in Hinkunft „nicht nur über
jene dringenden Probleme“ sprechen, die „als dringend verhandlungsbedürftig“
angesehen würden, sondern Österreich werde „das gesamte Verhältnis zur DDR“
im beiderseitigen Interesse mit einem der „neuen Situation im Zentrum Europas“
Rechnung tragenden Inhalt füllen.105 Dementsprechend gestaltete sich auch das
Verhältnis. Auch wenn man mit Übertreibungen vorsichtig sein sollte: Österreich
wurde zu einem diplomatischen „Eisbrecher“ für die DDR. Die Bundesrepublik
verfolgte diese Entwicklung in der Regel mit Wohlwollen, zeitweise aber auch mit
Sorge.
5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten
bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987)
Für Österreich hatte sich der Umgang mit den beiden deutschen Staaten ab 1972
grundlegend verändert. Obwohl die Bundesrepublik aufgrund von Außenhandel,
Arbeitsmarkt, Fremdenverkehr und Unternehmenskooperationen – um nur die
wirtschaftlichen Komponenten zu benennen – der bevorzugte und wichtigere
Partner blieb, begann Österreich zunehmend eine eigenständige Politik gegen-
über der DDR zu entwickeln.106 Zumindest in den ersten Jahren nach der An-
erkennung bestand allerdings eine enge Abstimmung – insbesondere zwischen
den beiden sozialdemokratischen Regierungschefs Bruno Kreisky und Willy
Brandt – fort. Dennoch nahmen die Beziehungen zur DDR rasch Fahrt auf, was
nach dem Rücktritt Brandts 1974 auch zu Konflikten mit Bonn führen konnte.
Dies lag daran, dass Österreich die DDR, trotz der aus der deutschen Zweistaat-
lichkeit resultierenden Besonderheiten, wie alle anderen sozialistischen Staaten
behandelte,107 gegenüber denen man im Rahmen des Möglichen im Sinne der
105 Auszug aus dem Vortag von Bundesminister Dr. Kirchschläger zum Thema „Österreichische
Außenpolitik – Rückblick und Ausblick“ am 6. Dezember 1972, in: ÖStA, AdR, BMAA,
II-Pol 1972, DDR 2, [o. Gr.Zl., o. GZ.], Karton Pol-72–15.
106 Hierzu mit Fokus auf die Rolle Kreiskys: Michael Gehler, Bruno Kreisky, Italien und die
Deutsche Frage, in: Michael Gehler / Maddalena Guiotto (Hg.), Italien, Österreich und die
Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen
Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Wien / Köln / Weimar
2012, S. 173–208.
107 Hierzu und dies gegen die bisherigen Darstellungen: Maximilian Graf, Ein verdrängtes bi-
laterales Verhältnis: Österreich und die DDR 1949–1989/90, in: Zeitgeschichte 39 (2012) 2,
S. 75–97, hier S. 88.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99