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Du sagst: Daran kann ich nicht zweifeln, daß Gott,
daß Unendliches ist, aber ebensowenig kann ich daran
zweifeln, daß Ich und überhaupt Endliches ist. Gott ist,
die Natur ist, ich bin. Richtiger aber den 1 Satz nach der
Rangordnung ausgesprochen, so lautet er: Ich bin, denn
du bist die erste Person; Gott, du bist, er ist die zweite
Person; die Natur, sie ist, denn die dritte und letzte Person
ist sie; du unterscheidest also wohl Unendliches, Unbeding-
tes und Endliches, Bedingtes; indem aber für dich das
Sein des Endlichen und Bedingten ebenso unbedingte und
unendliche Gewißheit hat als das Sein des Unendlichen,
so hebst du also im Sein und dem Sein nach den Unter-
schied zwischen dem Endlichen und Unendlichen auf; soll-
test du auch diesem gleichsam ein größeres Quantum von
Sein zuschreiben als jenem, so gibt dieses doch in der Sache
keinen Ausschlag, das Sein ist das Gemeinschaftliche, an
dem du Unendliches und Endliches teilnehmen läßt. Aber
leider ratifiziert nicht das Unendliche selbst diesen Con-
tract social, welchen du zwischen dem Endlichen und Un-
endlichen schließt, die du so verträglich innerhalb des ge-
meinschaftlichen Bezirks des Sein[s] zusammen bestehen
und beisammen wohnen läßt. Dem Unendlichen kommt
auch unendliches Sein zu; es kann nicht unendlich dem We-
sen nach, endlich aber dem Sein nach sein, ohne aufzuhören,
Unendliches zu sein. Wie das Wesen, so das Sein; die End-
lichkeit des Seins hebt die Unendlichkeit des Wesens auf.
Hat das Unendliche in seinem Wesen kein Ende und keine
Grenze am Endlichen, so hat auch sein Sein keine Grenze
am Sein des Endlichen; indem du daher das Sein des Un-
endlichen neben das Sein des Endlichen hinstellst, so machst
du also2 sein Sein zu einem endlichen, es hat seine Grenze
an dem Sein des Endlichen. Stelle dir das Sein als eine
Sphäre, als einen Raum vor, so ist klar, daß das Unendliche
nicht einen Teil dieser Sphäre einnimmt, nicht etwas davon
in Beschlag nimmt, etwas unausgefüllt übrigläßt, sondern
daß es den ganzen Raum ausfüllt, ohne daß ein unbesetzter
Platz für anderes noch sich findet. Das Sein des Unend-
lichen ist also das Nichtsein, der Untergang3 des Endlichen,
1 der A; korrigiert nach H, B.
2 H gestrichen 3 , der Untergang H gestrichen
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften