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dadurch vermieden werden. Deswegen eignen sich auch
wenigstens die vorderen' Aphorismen nicht zu einer un-
unterbrochenen Lektüre. Daß sie abwechselnd bald länger,
bald kürzer, überhaupt durchaus nicht nach irgendeinem
beschränkten ein- und gleichförmigen Maße verfaßt sind,
rechtfertigt die Freiheit des Humors.
Es erhellt übrigens schon aus dem Titel, in dem der
Humor als ein Prädikat der Philosophie bezeichnet ist,
daß Witz, Phantasie, Humor nur insofern in dieser Schrift
in Betracht kommen und für den Verfasser überhaupt
Wert haben, als sie einer höhern Macht, als sie selber sind,
dienen — der Wahrheit und dem Gedanken, durch welchen
sie sich allein dem Sterblichen in unzweideutigem Lichte
offenbart. Sehr häufig sind freilich Witz und Phantasie da,
wo sie nicht in ihrem eigentümlichen Elemente, dem der
Poesie, sind, nur vitia splendida [glänzende Laster], nur
Lückenbüßer des Gedankens. Etwas andres ist es dagegen,
wo sie die Früchte der Erkenntnis sind, denen nur die
innere Reife den reizenden Farbenschmuck der Schönheit
aufgedrückt hat, wo das Feuer der Sinnlichkeit nicht die
Glut der Begierde ist, die den ersehnten Gegenstand in
täuschenden Bildern vergebens zu erfassen strebt, sondern
die Glut des vollendeten Genusses, wo die Phantasie die
Geliebte des Gedankens ist, die die selige Gewißheit, daß
sie sein, daß er ihr Wesen ist, dem Geliebten in freude-
trunknen Blicken entgegenstrahlt.
Mit andern Werten und Bildern: Hier ist die Phantasie
selbst nur eine Phantasie, der Witz selbst nur ein Witz,
hier sind sie nichts weiter als der sich selbst erkennende
und klar durchschauende Gedanke, der sich freiwillig zum
Bilde entäußert, der sich anders ausdrücken könnte,
wenn er wollte, der nur aus dieser Ironie unter der Maske
des Scherzes und Bildes den bittern Ernst der Wahrheit
verbirgt. Ein wesentliches Attribut des Gedankens, der sich
so ausdrückt, ist aber der Humor, der jedoch hier keine
andere Bedeutung hat als che, daß er der Privatdozent der
Philosophie ist.
Bei dieser Versenkung" des Gedankens in das Element
1 vordem C. Geringfügige V er ander ung; wird im folgenden nicht
mehr vermerkt.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften