Page - 555 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Volume 1
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sind es nur1 die Werke der Literatur, nicht die Landstraßen,
die Posten und Handelsartikel, welche die Völker aus der
Borniertheit ihres Sektengeistes herausreißen, sie in eine
wahre Kommunikation, eine innige Berührung versetzen
und so die aparten Völkergeister in den gemeinschaft-
lichen Geist der Menschheit verschmelzen. Mit Recht sagt
daher Goethe: „Es gibt keine patriotische Kunst und keine
patriotische Wissenschaft. Beide gehören, wie alles hohe
Gute, der ganzen Welt an und können nur durch allge-
meine freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden, in
steter Rücksicht auf das, was uns vom Vergangnen übrig
und bekannt ist, gefördert werden."
Der Kohl, den wir selbst auf unserm eignen Boden
gebaut haben, schmeckt uns besser als der Kohl aus dem
Garten eines Fremden, nicht etwa deswegen, weil er wirk-
lich besser schmeckt und2 ist, Gott bewahre!, bloß des-
wegen, weil wir ihn selbst gezogen haben, weil er unter
unsern segensreichen Blicken herangewachsen ist. Es ist
nur die Selbstgefälligkeit, die Eitelkeit, die unserm Kohl
diesen Vorzug vor dem fremden gibt. Aus demselben
Grunde kommt es auch, daß die Gegenwart die Produkte,
die auf ihrem Boden entsprungen und gewachsen sind,
besser findet und mit größerem Appetite genießt als die
Produkte der Vergangenheit. So hätscheln wir die lite-
rarischen und sonstigen Zelebritäten unserer Tage, feiern
auf eine so kindische Weise den Geburtstag jedes neuen
Dichterleins und finden die matten Herbstzeitlosen unsrer
dermaligen Poesie so schön, ja vielleicht noch schöner
als die wohlduftenden, prachtvollen Rosen und Lilien ver-
gangener Dichter. Warum denn? Ach, bloß deswegen, weil
die neuen Gedichtchen die Gedichtchen unserer lieben
Zeitgenossen, weil sie auf unserm Mist gewachsen sind,
weil wir vermittelst der gemeinschaftlichen Atmosphäre,
in der wir mit ihnen leben, mit unsern eignen Ausdün-
stungen den Boden gedüngt haben, dem diese schönen
Pflänzchen entsprossen sind. Darum gilt auch der in der
Welt für einen Sonderling, der lieber einsam in den er-
1 hauptsächlich C
2 schmeckt und Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften