Page - 576 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Volume 1
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nozas, und ihr werdet an ihm auch nicht einen dunklen
Flecken, ihr werdet ihn, im Gegenteil, so hell und durch-
sichtig finden, daß ihr in ihm und durch ihn hindurch
nichts anderes erblickt als den reinen, klaren Himmel der
Substanz, die er als das Prinzip der Philosophie aussprach.
Haltet die strengste Haussuchung bei beiden, visitiert sie,
wenn ihr Lust habt, bis aufs Hemde aus, um zu sehen, ob
sie doch nicht vielleicht außer den einheimischen Pro-
dukten ihrer Anschauungen anderswoher eingeschwärzte
Waren bei sich führen, ja, ich rate euch noch ein andres
Mittel an, preßt ihr Herz, das Zentrum des individu-
ellen Lebens, wie einen mit Quecksilber gefüllten ledernen
Beutel zusammen, und aus allen seinen Poren werdet ihr
immer nur die Monade und die Substanz hervorquellen
sehen. Sollten euch diese Mittel auch nichts helfen, keine
Erleichterung und Besserung in eurem Kopfe verschaffen,
so will ich euch noch zwei Rezepte, die ganz für euren Zu-
stand passen, aus Spinoza und Leibniz selbst verschreiben.
Dieser sagt: „Nous sommes faits pour penser. II n'est pas
necessaire de vivre, mais il est necessaire de penser. [Wir
sind zum Denken gemacht. Es ist nicht nötig zu leben,
aber es ist nötig zu denken.]" Jener: "Nos eatenus tan-
tummodo agimus, quatenus intelligimus. Wir sind nur
insofern tätig, als wir erkennen." Wenn auch diese zwei
Medikamente nach gehörigem Gebrauche bei euch nicht
anschlagen, so seid ihr inkurabel, und ich sage euch Adieu.
Das Publikum schließt jederzeit mit seinen Favorit-
schriftstellern einen stillschweigenden Vertrag ab, wonach
diese sich verpflichten, nichts zu Papier zu bringen, als
was es ihnen in die Ohren flüstert, jenes dagegen ein
ansehnliches Honorar von Lobeserhebungen und Ehren-
bezeugungen aller Art verspricht. So verlangt die löbliche
Zeitgenossenschaft von ihren Philosophen nichts weiter
als eine handschriftliche Versicherung, daß sie in allen
ihren Ansichten und Meinungen vollkommen recht hat,
von ihren Dichtern, daß sie ihr solche Stückchen vor-
pfeifen, für die schon im voraus ihr Kehlkopf gestimmt ist
und die ganz zu ihrer dermaligen Gemütsdisposition passen.
Schriftsteller, die nicht diesen Kontrakt unterzeichnen,
werden als Vagabunden, die sich nicht gehörig zu legi-
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften