Page - 577 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Volume 1
Image of the Page - 577 -
Text of the Page - 577 -
timieren wissen, ohne Barmherzigkeit auf dem Schub über
die Grenze gebrächt. Wenn das gerade etwas Gescheutes
ist, was die Zeitgenossenschaft im Sinne hat und ihren
Kabinettsekretären und Skribenten in die Feder diktiert,
so kann man es ihr wahrlich nicht übelnehmen, im Gegen-
teil, man muß es ihr Dank wissen, daß sie so verfährt,
denn nur dadurch Übermacht sie der Nachwelt ein unver-
fälschtes, wohlgetroffnes Ebenbildnis von ihrem Wesen.
Leider sind aber nur zu oft die beliebten Skribenten der
Zeitgenossenschaft nichts weiter als ihre Beichtväter, denen
sie nichts anzuvertrauen hat als ihre Schwächen, ihre
Sünden und dummen Streiche, die sie im Leben begangen
hat.
Die guten Bücher, d. h. solche, die uns etwas zu den-
ken geben, sind in fremden Sprachen1 geschrieben. In der
Lektüre übersetzen wir sie in unsere Muttersprache. Aber
die wenigsten verstehen sich auf die Kunst zu übersetzen,
wissen die Freiheit der Aneignung mit der Gebundenheit
der Treue auf schickliche Weise zu verbinden. Die meisten
Leser sind entweder nur wortgetreue, steife, sklavische
Pedanten oder leichtsinnige Paraphrasten, die, oft selbst
wider Wissen und Willen, den Autor sogar nur parodieren.
Dieses Schicksal hatten von jeher vor allen die philoso-
phischen Werke. Sie wurden immer so verstanden, wie zur
Zeit der ehrwürdigen Allongeperücken die griechischen und
lateinischen Klassiker übersetzt wurden. Natürlich macht
der römische oder griechische Held, der mit der Perücke
in dem spießbürgerlichen Kostüm des Bürgermeisters einer
philiströsen Reichsstadt auftritt, eine lächerliche Figur.
Aber wer hat die Schuld davon?
Der alte französische Romanschreiber, Monsieur de
Scudery, hatte einst auf einer Reise in der Provence, die
er in Gesellschaft seiner Schwester machte, ein höchst
sonderbares Abenteuer zu bestehen. Sie waren in einem
Gasthause eingekehrt und hatten zu ihrem Nachtquartier
eine Kammer genommen, in der zwei Betten standen. Vor
dem Einschlafen fragte der Monsieur de Scudery seine
1 fremden Sprachen: fremder Sprache C
577
Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften