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das nicht kann — wenigstens so lange zu verschieben sucht,
bis durch das spanische Fliegenpflaster der Zeit der Blut-
andrang nach dem Herzen gehoben oder doch vermindert
wurde, dagegen die Ehen, die, selbst mit Widerwillen,
nur infolge eines physischen, moralischen oder pekuniären
Bankerotts geschlossen werden, auf alle mögliche Weise
begünstigt, um dadurch die Zahl unglückseliger Körper-
und Geisteskrüppel bis ins Unendliche zu vermehren. Übri-
gens hat allerdings die Welt, das muß man ihr lassen,
ihre guten Gründe zu ihren Vorurteilen gegen die Liebe
und die natürlichen Kinder. Denn die Kinder der Liebe,
seien sie nun außer- oder innereheliche, machen der Welt
gar zu viel zu schaffen, weil ihr Blut nicht in dem lauen
Wasser eines bloßen pflicht- und schulgerechten ehelichen
Amtseifers überschlagen, sondern aus dem Brunnen der
Natur frisch herausgeschöpft worden ist, weil sie nur selten
in ihrem Temperamente und Charakter die Beschaffen-
heit ihres Vaterlandes, die Glut des südlichen Himmels
verleugnen, weil die noch immer lebenslustigen Götter und
Göttinnen des griechischen Olympus bei jedem neuen
Sprößling der Liebe ihre alten Ansprüche auf den Thron
der Welt erneuern und ihn als eine höchst willkommne
Gelegenheit benutzen, um1 aus allen ihnen noch zu Gebote
stehenden Kräften ad hominem zu demonstrieren, daß nur
unter ihrer Regierung glückliche, an Geist und Leib gesunde
Menschen entstehen und gedeihen können. Es läßt sich
daher hieraus abnehmen, ohne besonders seinen Kopf an-
strengen zu müssen, was es für eine Sensation in der Welt
machen muß, wenn ihr der Geist geradezu ohne alle Um-
stände ins Gesicht sagt, daß er ein Kind der Liebe ist, das
ganz seiner Mutter nachschlägt, und daher nichts als lauter
natürliche Kinder, d. h. gute Bücher und Schriftsteller, in
Hülle und Fülle in die Welt setzt.
Pro primo ist also — wir müssen es wiederholen, denn
repetitio est mater Studiorum [Wiederholung ist die Mutter
des Studiums] — der Geist ein Vagabund, pro secundo
ein uneheliches Kind, folglich von unehrlicher Herkunft,
pro tertio [drittens] — es kommt jetzt immer ärger — ein
entsetzlicher Verschwender. Wozu die Welt Jahre braucht,
1 Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften