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nur nach dem Ausspruch der Weisen, sondern auch selbst
nach der Meinung des Volks nur ein törichter Mensch ein
schlechter sein kann, so wird gewiß nie aus einem Tor
ein Redner. Hiezu kommt, daß nur ein reines Gemüt sich
der edelsten Beschäftigung widmen kann, erstlich, weil
in einer und derselben Brust nicht das Gute und Schlechte
beisammen wohnen kann und das Vortrefflichste und das
Schlechteste ebensowenig zugleich ein und dasselbe Gemüt
in Anspruch nehmen kann, als ein und derselbe Mensch
zugleich gut und schlecht sein kann, zweitens, weil der auf
einen so erhabnen Gegenstand gerichtete Geist von allen
andern selbst unschuldigen Gedanken und Sorgen frei sein
muß. Denn nur mit dieser Freiheit und Ungeteiltheit, in
der kein andres Objekt ihn zerstreut und abzieht, kann er
das Ziel seines Bestrebens ins Auge fassen. Jeder sieht ein,
daß selbst schon zu ängstliche Besorgung des Hauswesens
und der Landwirtschaft, Jagdlust und Theaterbesuche die
Studien beeinträchtigen, denn die Zeit, die einer Be-
schäftigung gewidmet wird, geht für die andere verloren.
Man denke sich nun erst ein von Wollust, Geiz, Mißgunst
beherrschtes Gemüt, Leidenschaften, die selbst keinen
hohen Grad erreicht zu haben brauchen, um schon die
Ruhe der Nacht durch wilde Traumbilder zu verscheuchen.
Denn nichts ist so vielbeschäftigt, so unbeständig, von so
vielen und entgegengesetzten Leidenschaften zerstückelt
und zerrissen als ein böses Gemüt. Denn wenn es auch nur
Anschläge faßt, so wird es von Sorgen, von Unruhe und
Qualen zerrissen, und, wenn es sie vollends ausgeführt hat,
wie wird es da von Angst, Reue und Furcht gefoltert. Wo
ist in einem solchen Gemüte Platz für die Wissenschaft
oder irgendeine edle Kunst? Gewiß ebensowenig, als in
einem von Stauden und Dornsträuchen besetzten Acker
für Früchte Raum ist.
Bei einer Menge von Autoren ist freilich die Schrift-
stellerei nichts weiter als eine Koketterie mit dem Publi-
kum ; sie wollen gefallen; sie wollen das Publikum im eigent-
lichen Sinne in sich verliebt machen. Deswegen machen sie
aufs sorgfältigste ihre Toilette, werfen sich in die elegan-
testen Kleidungen nach dem neuesten Modeschnitte,
blicken bei jedem Worte, das sie niederschreiben, wohl-
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften