Page - 634 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Volume 1
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erkennen, sie rieben, sie nimmer lassen können war eins.
Mir war's, als wäre ich bisher ein Fremdling in der Welt
gewesen, der nicht wußte woher, wozu, wohin, und jetzt
plötzlich von den unwiderstehlich fesselnden Banden des
Heimatlandes umschlungen.
Es geschah dies zu jener Zeit, wo ich, wie Du Dich noch
recht gut erinnern wirst, durchaus kein Sitzfleisch hatte,
wo ich bald heftig die Feder ergriff, um meinem gepreßten
Herzen Luft zu machen, bald [sie] wieder mit Unwillen
als ein bloßes Palliativmittelmeiner Krankheit hin wegwarf
und ins Freie hinaussprang, bald ausgelassen lustig, bald
übermäßig traurig und niedergeschlagen, so linkisch, so
geistesabwesend war, daß Du durchaus mit mir nichts
anzufangen wußtest, nichts in meinen: Kopf hinein-,
nichts aus ihm herausbringen konntest. Oh, lieber Freund,
freue Dich Deines ätherischen, idealen Wesens, freue
Dich, daß Du nichts von der Liebe und ihren Schmerzen
weißt, nichts von jener Beklommenheit des Herzens,1 von
den schrecklichen Martern der Eifersucht, von den Qualen
der Sehnsucht und den erbarmungswürdigen, verzweifelten
Mitteln, durch die wir den geliebten Gegenstand aus der
Entfernung in unsere Nähe zu zaubern versuchen, nichts
von jenen nagenden Zweifeln, wenn das eigne Gefühl
mit eindringlicher Stimme uns zuruft: ,Beruhigt euch:
Ihr seid geliebt, wenn euch gleich noch alle äußere [n]
Beweise mangeln*, und doch der süße Balsam der Gewiß-
heit nicht unsere Wunden heilt, nichts von jenen gewissen-
peinigenden Vorwürfen, wTenn wir, ach, bloß aus anbetender
Verehrung und Hingebung, bloß aus Versunkenheit
in den Gegenstand in der äußerlichen Form irgendwie
gefehlt haben und diesen unerheblichen Fehler nun
wie ein Majestätsverbrechen gegen die geheiligte Person der
Gehebten uns zu Gemüte ziehn, nichts von jener bangen
Erwartung einer einsamen Stunde, um ihr endlich sagen
zu können, was so schwer und so lange auf unsrer Seele
lastet, und jenem tödlichen Schamgefühl, jenem ver-
zehrenden Ärger, wenn uns endlich einmal eine solche
glückliche Stunde zuteil wurde und wir dennoch aus Über-
fülle, als wäre uns die Zunge gelähmt, dann nichts aus uns
1 von jener . . . Herzens, Fehlt in C.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften