Page - 635 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Volume 1
Image of the Page - 635 -
Text of the Page - 635 -
herausgebracht haben und so durch unser tölpisches
Benehmen alle Hoffnungen und Ansprüche auf Achtung
und Gegenhebe für immer verscherzt zu haben glauben,
kurz, freue Dich, daß Du nichts weißt von allen jenen
unseligen Stimmungen und Leidenschaften, die sich
scharenweise in den Wunden der Liebe einwühlen, um als
wahre Nervenwürmer unsere besten Lebenskräfte zu
verzehren, und die ich Dir einzeln und ausführlich zu
schildern selber keine Lust habe. Freue Dich, sage ich
nochmals, lieber Schriftsteller, Deines idealen Wesens,
aber möchte ich auch gleich hinzusetzen, wenn ich Dich
nicht zu beleidigen fürchtete — freue Dich auch nicht
Deines idealen Wesens; denn Du weißt nichts von der
Seligkeit der Liebe, von den zahllosen Seligkeiten einer
stufenweise immer inniger werdenden, vom zartesten
Pianissimo bis zum furiosesten Fortissimo schwellenden
Berührung zweier lebendiger Wesen. Doch im ganzen
preise Dich glücklich, daß Du auch davon nichts weißt ;
denn die Liebe ist ein solches tolles Durch- und Unter-
einander von Lust und Pein, von Freude und Schmerz,
daß man nicht weiß, ob die bitter- oder wohlschmeckenden
Ingredienzien von ihr die vorherrschenden sind, und
selbst unsereiner herzlich froh ist, wenn er die harte
Schule der Liebe durchgemacht hat, wenigstens über die
ersten grammatikalischen Schwierigkeiten hinaus- und
mit heiler Haut davongekommen ist.
Verzeihe diese Episode! Du wirst Dich schön an ihr
gelangweilt haben. Aber ich geriet ganz unwillkürlich so
ins Feuer hinein. Ich will um so kürzer den Schluß zusam-
menfassen, um Dich nicht lange mehr mit Dingen hinzu-
halten, die Deinem stets in höhern Regionen schwebenden
Geiste so unendlich ferne liegen.
Als ich nun gestern abends, nachdem ich eben den
Brief an Dich auf die Post gegeben hatte, meiner Geliebten
den Entschluß entdeckte, sie verlassen zu wollen, um gänz-
lich nur Dir zu leben, da fiel sie mir verzweiflungsvoll
an die Brust, da entquoll ein Strom bittrer Tränen ihren
schönen Augen, da schluchzte sie, als wollte ihr der Atem
ausgehen, da stöhnte sie die Worte: ,Du, mich verlassen!'
mit einem Tone hervor, der, wie der letzte Seufzer eines
Sterbenden, mir durch die Seele drang. Kurz — was soll
635
Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Volume 1
(Gemeinfreie Teile)
- Title
- Ludwig Feuerbach
- Subtitle
- Gesammlte Werke
- Volume
- 1
- Editor
- Werner Schuffenhauer
- Publisher
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Date
- 1981
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.6 x 17.8 cm
- Pages
- 468
- Category
- Geisteswissenschaften